"Corona hat die Digitalisierung unserer Arbeit massiv beschleunigt", sagt Seidel. Bisher sei es so, dass junge Menschen, die zu Hause rausgeflogen, zunächst mal in ihrem Heimatort umhergeirrt und dann Richtung Großstädte gezogen seien, um sich dort der Obdachlosenszene anzuschließen. "Über Internet und Social Media kommen wir früher an diese verzweifelten jungen Menschen ran." Damit würden auch die Chancen steigen, jemandem wieder auf die Beine zu helfen. "Die, die sich online melden, sind meist noch am Ort, woher sie stammen." Ob vorübergehende Unterbringung bei den Großeltern oder der Tante - das soziale Auffangsystem sei noch existent.
Corona habe aber nicht nur negative Folgen: "Viele Familien haben sich sicher auch gefunden in der Krise, weil sie viel Zeit füreinander hatten", schätzt Seidel. Ob Zerwürfnis, Vernachlässigung, Misshandlung oder Missbrauch - nicht nur ärmere Kinder verlassen ihr Zuhause. "Das geht kreuz und quer durch alle gesellschaftlichen Schichten. Aber räumliche Enge wirkt natürlich als Katalysator."
Die Hilfsorganisation mit Stiftungssitz München wurde 1993 im südbadischen Bad Dürrheim von dem Journalisten und Buchautoren Markus Seidel gegründet. Ziel: Not leidenden jungen Menschen langfristig helfen - von der Schulausbildung über das Besorgen eines Jobs bis hin zur Wohnmöglichkeit. "Off Road Kids"-Sozialarbeiter hätten bislang 7100 Betroffene bis 27 Jahre vor Obdachlosigkeit bewahrt. Nach einer früheren Erhebung des Deutschen Jugendinstituts haben in Deutschland etwa 37 000 junge Menschen (bis 26 Jahre) keinen festen Wohnsitz.
© dpa-infocom, dpa:210404-99-80506/3