Wie groß sind Bedeutung und Einfluss der Kirchen überhaupt noch?
Seit Jahren sind die Austrittszahlen in evangelischer und katholischer Kirche hoch. Auch in Bayern. Und wenn die Fronleichnamsprozession noch so prachtvoll ist und jedes bayerische Feuerwehrauto noch den kirchlichen Segen abbekommt - an vielen Sonntagen bleiben die Kirchenbänke inzwischen leer.
Zudem mangelt es an Personal. Verwaltungseinheiten werden größer, das Geld wird knapp. Dazu kommen Missbrauchsskandale, die beide Konfessionen erschüttern. Tatsächlich herrscht zuweilen der Eindruck, die Kirchen sind so mit sich selbst beschäftigt, dass ihr öffentlicher Einfluss immer geringer wird. Offen Kritik an den Kirchen zu üben - von welcher Seite auch immer - ist normal geworden.
Und trotzdem: Aus Bayern kommen zwei der profiliertesten Kirchenmänner der vergangenen Jahre, nämlich der Münchner Erzbischof Kardinal Reinhard Marx und der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm. Sie haben sich auch immer wieder zu gesellschaftlichen und politischen Themen geäußert.
Bedford-Strohm, inzwischen Vorsitzender des Weltkirchenrates, ist bislang auch der einzige prominente Kirchenmann, der sich öffentlich und deutlich zu Söders Forderungen geäußert hat, wenn auch ohne explizit seinen Namen zu nennen.
Bedford-Strohm: Haltung wie in autokratischen Ländern
"Die Rechte der Kirchen gar von ihrem Wohlverhalten gegenüber denen abhängig machen zu wollen, die die politische Macht haben, wäre geradezu absurd. Aus meiner Arbeit im Weltkirchenrat kenne ich solche Haltungen aus autokratisch regierten Ländern", sagte Bedford-Strohm bei einem Gesprächsabend zum Thema "Flucht, Asyl und Migration" in Stendal in Sachsen-Anhalt. "In Demokratien haben sie keinen Platz." Er betonte: "Kirchen haben nicht die Aufgabe, den politisch Verantwortlichen nach dem Munde zu reden. Sie würden damit die Sache, für die sie stehen, im Kern verraten."
Eine demokratische Gesellschaft brauche "Kirchen, die sich öffentlich zu Wort melden, die sich besonders für die Schwachen und Verletzlichen einsetzen und die sich genau durch das Aussprechen von Wahrheiten, auch unbequemen Wahrheiten, am gesellschaftlichen Diskurs beteiligen und so zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beitragen".
"Lebensschutz" - was steckt dahinter?
Söders Tipp an die Kirchen: Sie sollten sich doch auf andere Themen konzentrieren, zum Beispiel auf den Lebensschutz. Gemeint ist damit der Paragraf 218, in dem die Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen geregelt ist. Auch die AfD spricht interessanterweise oft vom Lebensschutz und will die Möglichkeiten zur Abtreibung stark einschränken.
Regelmäßig sorgt der "Marsch für das Leben" für Aufsehen, an dem katholische Bischöfe teilnehmen, obwohl dort auch Menschen aus dem rechtsextremen Spektrum dabei sind.
Gleichwohl ist die Abgrenzung der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) von der AfD sehr deutlich. Vor rund einem Jahr verabschiedeten die Bistumschefs eine klare Absage an Politik und Ideologie der AfD.
Ist Migration also wirklich kein kirchliches Thema?
Sich um den Abtreibungs-Paragrafen sorgen, aber bitteschön nicht um Migration? Das dürften die Kirchen eigentlich so nicht auf sich sitzen lassen. Auf katholischer Seite ist es immerhin der Papst höchstpersönlich, der sich immer wieder mit dem Thema Flucht und Vertreibung beschäftigt und zu einem menschenwürdigen Umgang mit Geflüchteten aufruft.
Gleich nach seinem Amtsantritt 2013 reiste Franziskus auf die Insel Lampedusa, auf der zahlreiche Menschen nach ihrer gefährlichen Flucht über das Mittelmeer gestrandet waren. Zehn Jahre später sagte er in Marseille: "Das mare nostrum schreit nach Gerechtigkeit, denn an seinen Ufern herrschen auf der einen Seite Überfluss, Konsum und Verschwendung, auf der anderen Seite hingegen Armut und Prekarität." Mare Nostrum - im Lateinischen "unser Meer" - war eine römische Bezeichnung für das Mittelmeer.
Natürlich seien die Schwierigkeiten bei der Aufnahme der Migranten nicht zu übersehen. "Aber das Hauptkriterium kann nicht der Erhalt des eigenen Wohlstandes sein, sondern vielmehr die Wahrung der Menschenwürde." Den Papst besuchte Markus Söder übrigens zuletzt im Mai 2024 - und befand nach der Audienz, es komme für die Kirche darauf an, die Attraktivität ihrer Botschaft zu steigern.