Theater im Schlick Der sanfte Sog des Grauens

Edgar Allen Poe im Schlachthaus: Der junge Schauspieler Hans Ehlers macht das Theater im Schlick zum Gruselkabinett.

 
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Blutrot führt die leuchtende Spur von der verwaisten Fleischtheke hinab ins Gedärm des Gebäudes. Gespenstisch schimmert’s rechts aus dem vergitterten Verlies, auffällig diskret lauert zur Linken der Fleischwolf. Edgar Allen Poe hätte seine diabolische Freude an diesem „lost place“, der wie geschaffen scheint für seine düsteren Fantasien. Dabei diente der Ort ehedem ehrbarem Handwerk, Rostbratwürste wurde hier fabriziert und der Saftschinken des Hofschlachters Schlick erfreute auch bürgerliche Gaumen.

Lange schon ist dieses Kapitel des Hauses Steinweg 29 abgeschlossen. Aber es wirkt nach, denn das morbide Flair macht die marode Manufaktur zum inspirierenden Kunstlabor. Junge Mitglieder des Landestheaters haben die Experimentierbühne in dieser Spielzeit aus dem Coronaschlaf gerissen und füllen sie mit Leben. Zu dem bekanntlich auch der Tod gehört, der nie weit ist, wenn Edgar Allen Poe seine Finger im Spiel hat. Auch 173 Jahre nach seinem mysteriösen Tod rangiert er weit oben auf der Hitliste des Horrors und lässt die schwarzen Herzen höher schlagen.

Auch in Coburg verfügt er offenkundig über eine treue Fanbase: Das Schlick’sche Gruselkabinett füllt sich restlos an diesem Schauergeschichtenabend, mit dem Zoé Lorenz und Philippe Roth einen alternativen Adventsakzent setzen. Sie führen Regie bei dieser szenischen Lesung, die sich als großes Solo für ein junges Talent entpuppt: Hans Ehlers, 24, der seit März zum Schauspielensemble des Landestheater zählt, saugt sein Publikum mit der sanften Suggestivkraft von Körper und Stimme in die Abgründe der Poe’schen Texte.

Aus dem Reich der Finsternis taucht er auf, nimmt vor dem Wurstkessel platz und lüftet „Die Maske des roten Todes“. Die gleichnamige Erzählung führt ins Schloss des Prinzen Prospero, der die High Society seines Reichs zum ausschweifenden Fest geladen hat, derweil draußen vor den verschlossenen Toren eine tödliche Seuche wütet. Mit erzählerischer Raffinesse schürt Poe die Spannung und führt das dekadente Treiben peu a peu ins Verderben. Mit subtiler Mimik und humanoider Gestik beschwört Ehlers die Apokalypse, die Philippe Roth mit elektronischen Klängen untermalt.

Suspense pur ist angesagt in der Erzählung „Das verräterische Herz“, einem Klassiker des Grusel-Genres, der tief in die wahnhafte Welt eines Mörders führt. Mit enervierender Behutsamkeit und eindringlicher Körpersprache wird dieser Monolog von Hans Ehlers geradezu choreografiert.

Nach diesem Psychotrip endet der Schauerabend mit einer „gerechten“ Bluttat geradezu versöhnlich: Nach Jahren der Demütigung ersinnt der kleinwüchsige Hofnarr „Hopp-Frosch“ einen letzten Scherz, um sich und die Welt vom sadistischen König und dessen Schranzen zu befreien. Mit pantomimischen Elementen und surrealem Puppenspiel setzt Ehlers die fantasievolle Rache des kleinen Mannes in Szene. Kräftiger Applaus für eine intensive Gruselstunde, die am Dienstag, 13. Dezember, ab 20 Uhr ein zweites Mal im Theater im Schlick über die Bühne gehen wird.

Weitere Fotos: www.np-coburg.de

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