Theater im Schlick Kafka am Fleischwolf

Bei Schlick geht’s nicht mehr um die Wurst, sondern um die Kunst. Surreal und spannungsvoll startet die neue Theaterreihe in der alten Hofschlachterei im Steinweg.

 
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So fühlt sich Underground an: Steinerne Stufen führen hinab ins Ungewisse, vorbei an mysteriösen Kabinetten und einer Nische mit Nervennahrung: Bier und Cola, Selbstbedienung. Vergilbte Kacheln, bröckelnder Putz, rostige Leitungen: Der morbide Charme eines Unortes saugt uns nach unten, ein „Lost Place“ mitten in der Stadt – das hat schon was. Raffiniert ins Zwielicht getaucht verheißt er absonderliche Begegnungen „von Mitternacht bis Morgengrauen“, so titelt der blutgesprenkelte Programmflyer. Spuken gar die Geister der armen Schweine, die Hofschlachter Schlicks Metzgergesellen hier einst verwurstet haben, noch durch die Gänge?

Entwarnung: Zwischen Fleischwolf und Wurstkessel sitzt ein richtiger Mensch vor einem echten Laptop, dem sphärische Klänge entströmen. Es ist Philippe Roth, der mit seinem Team an diesem Abend das „Theater im Schlick“ wiederbeleben wird. Mit frischem Konzept entern sie die 2019 eröffnete Experimentierbühne des Landestheaters. Hybridformate aus Schauspiel, Tanz, Literatur, Film und Musik möchten sie entwickeln und partizipative Projekte mit anderen Kreativen aus der Stadt in Szene setzen.

Zum Auftakt sitzt neben Dorothee Höhn auch die Design-Studentin Maren Günther mit im Boot, die als Werkstudentin am Landestheater tätig ist. Federführend bei der Schlick-Premiere ist der Regieassistent Philippe Roth, der mit stimmungsvollem Lichtdesign und elektronischen Klängen die kafkaeske Stimmung dieser Nacht grundiert, die keineswegs von Mitternacht bis zur Dämmerung dauert, sondern zumindest zeitlich mit 90 Minuten im klassischen Theaterrahmen bleibt. Das Format verbindet szenische Lesung mit Livemusik der Theaterband Die 5. Sparte und einem cineastischen Akzent: einem Schwarz-Weiß-Kurzfilm, mit dem Roth den expressionistischen Geist beschwört, der auch Kafkas Werk durchweht. Dass ihm Psychothriller-Qualitäten zu eigen sind, demonstriert gleich zu Beginn Frederik Leberle mit der plastischen Schilderung einer schaurigen Bluttat in mondklarer Nacht: „Ein Brudermord“ lässt in seelische Abgründe blicken. Hübsch absurd und für Kafkas Verhältnisse geradezu erheiternd begegnet der einsame Erzähler in „Unglücklichsein“sich selbst in Gestalt eines kindlichen Gespensts.

Die beiden von Leberle deliziös interpretierten Texte rahmen einen Kafka-Klassiker, den Nils Liebscher mit fein dosierter Mimik und Gestik spannungsvoll zelebriert: Als vermenschlichter Affe „Rotpeter“ schildert er im „Bericht für eine Akademie“ sein „äffisches Vorleben“, seine Gefangennahme und seine Assimilation, die ihn zur Varieté-Attraktion werden ließ. Packend zeigt Liebscher das Ringen um Würde einer gedemütigten, traumatisierten Kreatur, die zwischen Verbitterung und Stolz laviert und die ihre Natur verleugnen muss, um zu bestehen.

Melancholisch, doch nicht ganz so düster tönt es aus dem weißen Vorhang, hinter dem Die 5. Sparte lauert. Wohl der surrealen Aura halber rockt die Theaterband im Verborgenen: Songs von Amy Winehouse und Pattie Smith, Hole und The Pierces streut das Quartett um die stimmgewaltige Eva Lehner zwischen die Textvorträge.

Das Publikum verfolgt die Performance gespannt und gebannt – und hebt sich den kräftigen Applaus bis zum Ende auf. Wer’s verpasst hat, bekommt am Dienstag, 11. Oktober, eine zweite Chance. Fortgesetzt wird das Theater im Schlick am 3. und 9. November sowie 7. und 13. Dezember.

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