Therapiehund in Zahnarztpraxis Doktor Peppi nimmt Kindern die Angst

Steve Przybilla

Therapiehunde gibt es in vielen Bereichen. Aber beim Zahnarzt? Mit dieser Idee betritt eine Berliner Praxis neues Terrain – und macht ängstliche Kinder glücklich. Ein Besuch in einer Praxis am Berliner Kurfürstendamm.

 
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Die sechsjährige Mira im Behandlungsstuhl beim Zahnarzt – Therapiehund Peppi nimmt ihr die Angst. Foto: Steve Przybilla

Berlin - Als Doktor Peppi die Praxis betritt, bekommt sie als Erstes ein Kompliment. „Schöner Mantel“, sagt eine Frau. „Ist der selbst gestrickt?“ Doc Peppi antwortet, indem sie mit dem Schwanz wedelt und sich auf die Hinterbeine stellt. Während ihrer Schicht trägt sie Dienstkleidung, so wie ihre menschlichen Kollegen auch. Nur dass es bei ihr nicht bloß um die Optik geht, sondern auch um Hygiene: Hundehaare in einer Zahnarztpraxis sind tabu.

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Doc Peppi ist eine kleine Mischlingshündin mit großen Fledermausohren, vermutlich eine Kreuzung aus Chihuahua und Pinscher, vielleicht steckt auch ein Dackel in ihr. Sie ist etwa sechs Jahre alt, ganz sicher weiß das niemand, weil sie auf einer spanischen Müllkippe zur Welt kam. Mithilfe einer Tierschutzorganisation kam sie nach Deutschland und legte als Quereinsteigerin eine steile Karriere hin. Als Therapiehund beruhigt sie Kinder, die Angst vor dem Zahnarzt haben. Natürlich heißt sie nicht wirklich „Doc“, aber der Zusatz kommt gut an bei den Patienten und deren Eltern.

Vor Dienstbeginn wird Peppi sauber geputzt

Es ist Donnerstagmittag, 12.30 Uhr: Arbeitsbeginn für Peppi und ihr Frauchen, die Zahnärztin Birte Habedank (42). In der am Berliner Kurfürstendamm gelegenen Praxis wissen die kleinen Patienten schon, dass sie heute eine vierbeinige Seelentrösterin zur Seite gestellt bekommen. Wenn Peppi da ist, weist ein Schild am Empfangstresen auf die Therapiehündin hin. Doch Geduld. Bevor Peppi in den Behandlungsraum stürmen darf, holt Frauchen eine Kiste aus dem Schrank. Als Erstes kramt sie einen Massagehandschuh hervor, mit dem sie Peppi über den Rücken streichelt. An ihm sollen lose Haare hängen bleiben. Dann reinigt sie Peppi mit Feuchttüchern Füße und Po.

Das Beste: Leberwurst-Zahnpasta. Ein bisschen davon auf die Ultraschall-Zahnbürste, dann surrt es in Peppis Mund – auch das eine Vorsichtsmaßnahme, Peppi soll den Schmutz der Straße nicht nach drinnen bringen. „Fein!“, sagt Habedank, als Peppi die Prozedur regungslos über sich ergehen lässt. Peppi schüttelt sich und läuft zielsicher ins Wartezimmer, wo die sechsjährige Mira wartet. „Kannst du mir helfen und sie an die Leine nehmen?“, fragt Habedank. Die Augen des Mädchens strahlen.

Wenn Peppi etwas richtig macht, bekommt sie ein Leckerli

„Ich habe mich schon lange gefragt, warum es beim Zahnarzt eigentlich keine Hunde gibt“, erzählt Habedank. Schon ihren zweiten Hund habe sie immer mit ins Altersheim genommen, wenn sie ihre Oma besuchte. Aber im Job? „Da gab’s das allenfalls in den USA“, sagt die Zahnärztin. „In Deutschland hatte noch niemand etwas davon gehört.“ Sie fragte bei Kollegen, bei der Ärztekammer und schließlich bei ihrem Chef. Der sei skeptisch gewesen, sagt Habedank, aber er willigte ein. „Natürlich ist Peppi entwurmt und geimpft“, betont ihr Frauchen. „Und wir achten streng auf Sauberkeit.“ Sie lacht. „Peppi ist sauberer als viele Kinder, die zu uns kommen. Die bringen den halben Sandkasten mit zum Zahnarzt.“

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Seit Sommer 2019 ist Peppi offiziell im Dienst. Habedank gewöhnte sie langsam an ihren Arbeitsplatz. Am ersten Tag besuchte sie nur kurz die Praxis. Am zweiten durfte Peppi herumschnüffeln, am dritten den Behandlungsraum betreten. Und schließlich mit Kollegen und Patienten interagieren. „Ich wollte sie nicht überfordern“, sagt Habedank, die zusammen mit Peppi eine Therapiehund-Ausbildung absolviert hat. „Dort lernt man, als Team zu arbeiten“, erklärt die Zahnärztin. Viel laufe über Belohnungen: Wenn Peppi etwas richtig macht, bekommt sie ein Leckerchen.

Viele Kinder wollen gar nicht mehr gehen

Im Behandlungsraum haben sich Mira und Peppi schon angefreundet. Kaum liegt das Mädchen auf dem Behandlungsstuhl, springt Peppi dazu und legt sich auf ihren Schoß. Allein Peppis Anwesenheit beruhigt. „Wollen wir ihr mal deine Zähne zeigen?“, fragt Habedank und holt einen Mundspiegel hervor. Mira nickt, während ihr Peppi die Hände leckt – von Angst keine Spur. Und auch sonst herrscht kein Grund zur Besorgnis. „Sehr saubere Zähne“, freut sich Habedank. Die Untersuchung ist innerhalb weniger Minuten vorbei.

Zur Belohnung dürfen Kind und Hund nun spielen. „Solche Phasen sind wichtig“, erklärt die Zahnärztin. Maximal drei bis vier Stunden ist Peppi täglich im Einsatz, zwischendurch gibt’s eine Pipi-Pause. Würde sie übermäßig gähnen, an den Pfoten knabbern oder gar zittern, könnte dies ein Anzeichen für Überforderung sein. Auch das hat Habedank in ihrem Therapiehund-Kurs gelernt. „Tierschutz steht an oberster Stelle“, heißt es daher in den Behandlungsregeln, die die Zahnarztpraxis eigens für Peppi aufgestellt hat. Umgekehrt profitieren ängstliche Kinder von der unkonventionellen Behandlung. „Viele wollen gar nicht mehr gehen, wenn sie fertig sind“, sagt Habedank.

Therapiehunde öfter einsetzen?

Nach der guten Resonanz, die Peppi verursacht hat, gibt es womöglich schon bald Nachahmer. Der Deutsche Berufsverband für Therapie- und Behindertenbegleithunde sieht darin nur eine logische Entwicklung. „In anderen Bereichen sind solche Hunde ja auch aktiv“, sagt Ines Pawlitzki, die Vorsitzende des Verbandes. Im Prinzip sei jeder Hund geeignet, solange er lernfreudig, menschenbezogen und neugierig sei. Auch die Größe müsse passen. „Wenn ein riesiger Irischer Wolfshund bei der Oma im Altersheim auf den Schoß springt, wäre das schmerzhaft“, sagt Pawlitzki. Bei Reha-Patienten, die das Gehen wieder lernen, könnten sie hingegen ihre Größe ausspielen. „Wichtig ist in jedem Fall, dass die Hunde eine gute Ausbildung erhalten. Dann profitieren am Ende alle.“