So deutet schon die anatomische Lage des Gleichgewichtsorgans darauf hin, dass das Gehör des Menschen den aufrechten Gang erleichtert: Denn die wichtigsten Informationen darüber, wie und wo sich der Körper in einem Raum bewegt, liefere das sogenannte Vestibularorgan, das paarig angelegte Organ des Gleichgewichtssinns, sagt Seiwerth. Es kann auf Drehbewegungen reagieren und registriert vertikale oder horizontale Bewegungen. „Diese Strukturen befinden sich in unmittelbarer Nähe zur rechten und linken Hörschnecke und stehen mit diesen in Verbindung.“ Ein weiterer Grund, der dafür spricht, dass das Gehör den Gleichgewichtssinn beeinflusst, ist die Beobachtung, dass ein zunehmender Hörverlust im Alter mit einem Ansteigen des Sturzrisikos einhergeht, so der HNO-Facharzt. Viele Patienten würden bestätigen, dass ihr Gang durch das Tragen eines Hörgeräts sicherer geworden sei.
Sturzgefahr im Alter steigt
Welche Mechanismen dabei wirksam werden, ist noch weitgehend unklar. Es hat sich aber in Versuchen mit gesunden Menschen gezeigt, dass Höreindrücke wie auditorische Landmarken wirken und die Orientierung im Raum erleichtern können. Je reichhaltiger diese klangvollen Höreindrücke waren, umso besser hielten die Menschen ihr Gleichgewicht. Wurden den Versuchsteilnehmern dagegen diese Höreindrücke per Kopfhörer eingespielt, kam dieser Effekt nicht zustande. „Man kann also sagen, dass die Reize, die über das Gehör wahrgenommen werden, die anderen Sinnesorgane, die für das Gleichgewicht wichtig sind, stimulieren.“ Der stabilisierende Effekt sei gerade dann besonders hoch, wenn eine der anderen drei Achsen beeinträchtigt sei – etwa bei Sehstörungen oder einer krankhaften Veränderung im Gleichgewichtsorgan. „In diesen Fällen ist es denkbar, dass etwa Hörgeräte über die reine Hörverbesserung hinaus auch die Gleichgewichtsregulation unterstützen könnten“, sagt Seiwerth. Um diese Fragen wissenschaftlich fundiert beantworten zu können, seien weitere Studien notwendig.
Schwindelattacken immer medizinisch abklären lassen
Grundsätzlich gilt: Schwindelattacken müssen nicht zwangsläufig auf eine schlimme Erkrankung hindeuten, gleichzeitig darf man leichte Anfälle auch nicht verharmlosen. Hilfreich für die Diagnose ist es, wenn man den Typus des Schwindels beschreiben kann: Tritt er beispielsweise nach dem Aufwachen auf? Beim schnellen Aufstehen vom Stuhl? Handelt es sich um eine Gangunsicherheit? Wird einem schwarz vor Augen? Diese Einteilung hilft Ärzten, um dem Schwindel auf die Spur zu kommen. Die gute Nachricht ist: Fast immer lässt sich die Drehbewegung stoppen – je nach Diagnose mithilfe von Medikamenten, Gleichgewichtsübungen und Psychotherapie.
Wo Betroffene Hilfe finden
Forschung
Das Deutsche Schwindel- und Gleichgewichtszentrum am Klinikum der LMU München versucht, neueste wissenschaftliche Erkenntnisse zu Schwindelattacken, deren Ursachenforschung sowie Therapie möglichst schnell in die Patientenversorgung unterzubringen: www.lmu-klinikum.de/schwindelzentrum.
Ambulanzen
Es gibt an nahezu allen Universitätskliniken Schwindel-ambulanzen – so auch in Heidelberg, Tübingen, Ulm, Freiburg, sowie die Universitätsmedizin Mannheim. Aber auch Kliniken wie etwa das Klinikum Stuttgart, das HNO-Zentrum Sinsheim oder das Städtische Klinikum Karlsruhe bieten Hilfe.
Ansprechpartner
Erster Ansprechpartner für Betroffene sollte der Hausarzt sein. Er klärt die wichtigen Punkte bei der Diagnosestellung: die Art des Schwindels, die Dauer, Auslöser sowie die damit assoziierten Symptome – etwa Übelkeit und Erbrechen, aber auch Hörstörungen, Kopfschmerzen, Angst und Panik.