Turbo-Theaterspaß in Coburg Mut zum Ulk

Mit rasantem Klassiker-Klamauk startet das Landestheater auf der Studiobühne. „Shakespeares sämtliche Werke (leicht gekürzt)“ haben das Zeug zum Reithallen-Renner der Saison.

 
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„Faust“ fliegt aus dem Lehrplan, dem Genitiv sein Tod ist nahe und Shakespeare suchen Menschen unter 40 bestenfalls auf der Getränkekarte. Die Dichter und Denker stehen auf verlorenem Posten und die Theaterleute vor leeren Rängen, wenn ihnen nicht schleunigst die Zauberformel einfällt, mit der sie in diesen vernetflixten Zeiten Menschen aus dem Heimkino locken können. Drei wackere Mimen stellen sich der Herausforderung: Niveau runter, Fun-Faktor hoch und alles schön schnell, bunt und laut - so muss es doch klappen. Um dem Kulturverdruss Einhalt zu gebieten, laden Frederik, Nils und Tobias in marktschreierischer RTL-Manier zum „Theater-Live-Event-Erlebnisabend“, der sich eines spektakulären Superlativs brüstet: „Shakespeares sämtliche Werke“ verheißt die Show. Ein Unterfangen, das trotz des Zusatzes „leicht gekürzt“ naturgemäß zum Scheitern verurteilt ist.

Und weil kaum etwas mehr Spaß macht und Quote bringt, als das Scheitern anderer Leute zu beobachten, hat sich dieses Stück der Amerikaner Adam Long, Daniel Singer und Jess Winfield zum Bühnenhit entwickelt, seit es 1987 beim Edinburgh Festival uraufgeführt wurde. Zehn Jahre später begann die von Dorothea Renckhoff übersetzte Klamauk-Komödie im Münchner Residenztheater ihren Siegeszug durch Deutschland, der sie 2008 erstmals nach Coburg führte.

Nun geht es Shakespeare wieder an den Rüschchenkragen – und was die Klassikerfledderer Leberle, Liebscher und Bode mit enormer Energie, wildem Witz und Mut zum Ulk auf der Studiobühne veranstalten, hat das Zeug zum Reithallen-Renner der Saison. Gut zwei Stunden lang (immerhin gönnt Regisseur Robert Notsch Akteuren und Publikum eine Verschnaufpause) wirbeln die Drei über die aufs Wesentliche reduzierte Bühne (Ausstattung: Susanne Wilczek), schlüpfen im fliegenden Wechsel in zig Rollen und die dazugehörigen kuriosen Kostüme und hauen auf den Theaterputz, bis er bröckelt.

Maximaldramatisch wird geliebt, gekämpft, gelitten, gemordet und in mit Hingabe gestorben. Tobias Bode setzt in Sachen herzerschütternden Dahinscheidens Maßstäbe, an denen sich alle künftigen Julias und Ophelias werden messen lassen müssen. Die gebührende Portion Wahnsinn lässt Nils Liebscher den Paradehelden Macbeth und Hamlet angedeihen, seinen Hang zum Morbiden darf er als „Horst Titus Andronicus Lichter“ in einer Splatter-Kochshow genüsslich ausleben. Frederik Leberle wird bei der Gelegenheit fachgerecht geschlachtet und zu „Schänderkopfpastete“ verarbeitet, was ihn glücklicherweise nicht daran hindert, als stürmischer Romeo, verratener Cäsar und wirrer König Lear heroische Höchstleistungen zu vollbringen.

Mit Shakespeares Lustspielen halten sich die Drei nicht lange auf, wohlwissend, dass „die Tragödien wesentlich lustiger sind als die Komödien“. Was sie furios beweisen mit wüstem Gemetzel, bebendem Knallchargenpathos und klassischem Slapstick.

Der auf Komödien spezialisierte österreichische Regisseur Robert Notsch setzt auf rasanten Klamauk und zieht alle Register von Clownerie bis Puppenspiel, Trash bis Theatralik – effektvoll ausgeleuchtet von Thilo Schneider. Die schräge Show würzt er mit Zitaten und Anspielungen von Tschernobyl bis Trapattoni. Und er versteht etwas von Fallhöhe: Unversehens leuchtet die menschliche Botschaft des shakespeareschen Welttheaters aus der pointenprallen Persiflage.

Ein gerüttelt Maß an liebevoll-süffisanter Selbstbespiegelung darf auch nicht fehlen: Rührendes Deklamationstheater alter Schule und krasses Regietheater werden parodiert, Eitelkeiten und Zickenkriege vor die Kulissen geholt („Du musst nicht gut sein. Sei wie immer!“). Und auch das Publikum kommt nicht ungeschoren davon: Ophelias Seelenqualen sind so groß, dass sie nach vereinter tiefenpsychologischer Behandlung samt Urschreitherapie verlangen.

Gut zwei Stunden währt der Gaudi-Galopp durch 38 Dramen, 154 Sonette und fünf Versdichtungen – doch wer das für rekordverdächtig hält, wird von Frederik Leberle, Nils Liebscher und Thomas Bode eines Besseren belehrt. Sie können’s noch schneller. Viel schneller!

Rein oder nicht rein? Für Fans krachender Comedy und selbstironischen Theaters ist das keine Frage.

Weitere Vorstellungen: 2., 13., 15., 16., 28., 30. Oktober, 1., 19., 20. November, 3., 4.,31. Dezember, Theater in der Reithalle. Karten an der Theaterkasse und bei der Neuen Presse, Tel. 09561/850170.

Weitere Fotos: www.np-coburg.de

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