Überreste von 50 000 Jahre alter Sumpfschildkröte Schildkröten als Konserven der Steinzeit-Menschen

Markus Brauer/
Fragmente von Schildkrötenpanzern (oben rechts) der europäischen Sumpfschildkröte liegen im Hörsaal des Landesmuseums für Archäologie in Halle/Saale neben dem Oberschenkelknochen einer Hyäne, dem Zahn eines Mammuts und Feuersteingeräten. Foto: dpa/Hendrik Schmidt

Wovon haben sich Menschen in der Steinzeit ernährt? Baggerfunde aus dem Kieswerk Barleben-Adamsee in Sachsen-Anhalt geben Einblicke in die Lebensgewohnheiten unserer Vorfahren vor mehr als 40 000 Jahren.

 
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Im Kieswerk Barleben-Adamsee (Landkreis Börde) sind fünf etwa 50 000 bis 42 000 Jahre alte Fragmente aus Schildkrötenpanzer der europäischen Sumpfschildkröte (Emys orbicularis) geborgen worden. Zudem wurden zahlreiche Feuersteingeräte entdeckt. „Die Schildkrötenpanzerfragmente geben wahrscheinlich einen Einblick in die Lebensweise unserer frühen Vorfahren.

Susanne Friederich, Leiterin der Abteilung Bodendenkmalpflege beim Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, zeigt das Fragment eines Schildkrötenpanzers der europäischen Sumpfschildkröte. Foto: dpa/Hendrik Schmidt

Es könnte sich um leicht transportable Frischfleischvorräte, quasi steinzeitliche Konserven, gehandelt haben“, sagt die Leiterin der Abteilung Bodendenkmalpflege beim Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Susanne Friederich. „Durch jahrelange Beobachtung des durch Schwimmbagger zutage geförderten Materials ist es gelungen, einzigartige Belege zur frühen Anwesenheit des Menschen in Mitteldeutschland zu sichern.“

Schildkröten dienten als steinzeitliches Reiseproviant

Aufgefallen sind die Stücke im Rüttelsieb des Baggers dem ehrenamtlichen Bodendenkmalpfleger Uwe Beye. „Die Funde aus dem Kieswerk Barleben-Adamsee zeigen in hervorragender Weise den Beitrag, den ehrenamtliche Bodendenkmalpfleger in unserem Land leisten“, erklärt Friederich.

Alle Fragmente wurden jeweils zweimal mit der Radiokarbonmethode datiert. Danach lebten die Schildkröten in der Weichselkaltzeit. Das ist eine für Mitteleuropa unerwartete Datierung. Denn die in der Erde abgelegten Eier der europäischen Sumpfschildkröte benötigen eine Temperatur von über 18 bis 20 Grad Celsius, damit die Jungtiere sich entwickeln können.

Drei Panzerfragmente der Europäischen Sumpfschildkröte aus dem Kieswerk Barleben-Adamsee. Foto: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt /Uwe Beyer
Die etwa 50 000 bis 42 000 Jahre alte Schildkrötenpanzerfragmente und die weiteren Funde wurden im Kieswerk entdeckt Foto: dpa/Hendrik Schmidt
Möglicherweise haben eiszeitliche Jäger, Neandertaler oder moderne Menschen die Schildkröten in nördliche, kühle Gefilde mitgebracht. Foto: dpa/Hendrik Schmidt

Ethnografische und historische Vergleiche zeigen, dass Menschen Schildkröten häufig als Proviant auf Reisen mitnahmen. Die Tiere sind leicht zu transportieren und bieten auch bei ausbleibendem Jagderfolg eine Versorgung mit frischem Fleisch. Möglicherweise haben eiszeitliche Jäger, Neandertaler oder moderne Menschen die Schildkröten in nördliche, kühle Gefilde mitgebracht.

Eines der ältesten geschliffenen Knochengeräte

Fragment eines blattspitzenartigen, flächenretuschierten Feuersteingeräts vom Adamsee. Foto: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt/Juraj Lipták

Aus dem Adamsee liegen bislang etwa 180 Feuersteinartefakte vor. Bereits in den Jahren 1998/99 wurde eine 41,8 Zentimeter lange, aus der Rippe eines Boviden (Ur oder Wisent) angefertigte Spitze entdeckt. Die zum Brustbein weisende Partie des Knochens ist in Form einer langen, schlanken Spitze auf ungefähr zwölf Zentimeter Länge sehr sorgfältig zugerichtet worden.

Die Radiokarbondatierung verortet den Todeszeitpunkt des Tieres mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit zwischen 32 992 und 32 406 v. Chr., in die späte mittlere oder frühe jüngere Altsteinzeit. Das macht den Fund zu einem der ältesten geschliffenen Knochengeräte Mitteldeutschlands.

Ähnlichkeiten mit Steinspitzen aus der Ilsenhöhle

In dieselbe Zeit gehören die Steingeräte. Darunter etwa das Fragment einer sogenannten Blattspitze, das mit Funden aus der Ilsenhöhle bei Ranis in Thüringen verglichen werden kann. Dort wurden von einem Forscherteam unter Beteiligung des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt kürzlich frühe moderne Menschen als Hersteller dieser Geräte bereits vor 45 000 Jahren ausgemacht. Zuvor waren Blattspitzen häufig mit dem Neandertaler in Verbindung gebracht worden.

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