Warnung vor russischer Desinformationskampagne
Schon Ende Februar verbreitete der ukrainische Militärgeheimdienst eine Warnung, dass Russland zwischen März und Mai eine Desinformationskampagne zur Legitimität Selenskyjs nach dem 20. Mai starten werde. "Der Plan des Feindes sieht vor, dass in der ersten Junihälfte die Lage in unserem Land erschüttert wird und dann unter Ausnutzung der Situation die Ukraine im Osten militärisch besiegt wird", teilte die Behörde mit. Für den Plan mit dem Namen "Maidan 3" habe Moskau umgerechnet fast 1,4 Milliarden Euro bereitgestellt, behauptete der Geheimdienst. Das sei somit die teuerste Aktion der russischen Geheimdienste in der Geschichte. Beweise legte der Geheimdienst keine vor.
Doch nicht nur die russische Propaganda will in dem Konflikt, der auch ein Informationskrieg ist, mit solchen Debatten Selenskyjs Autorität auf internationaler Bühne schwächen. Auch im Land selbst sind sie längst Gegenstand innerpolitischer Grabenkämpfe.
Das Lager um Selenskyjs Widersacher Petro Poroschenko, der nach seiner Niederlage 2019 bei der nächsten Wahl wieder antreten will, stellt den Rückhalt für den Präsidenten ebenso in Frage wie frühere Weggefährten des einstigen Schauspielers. Ex-Parlamentschef Dmytro Rasumkow, der Selenskyjs Wahlkampf und auch die Partei Diener des Volkes geführt hatte, meinte in einem Videoblogeintrag, dass der Präsident seine Vollmachten abgeben müsse nach dem 20. Mai. Zwar könne nur das Verfassungsgericht eine endgültige Antwort auf die Frage geben, doch ducke sich Selenskyj da weg.
Bröckelnde Unterstützung im Parlament und drohende Unregierbarkeit
"Das schafft Unsicherheit im Inneren des Landes und nach außen", warnte Rasumkow. Vor allem Kriegsgegner Russland werde das ausnutzen. Ähnlich äußerte sich ein weiterer Abgeordneter, der frühere Selenskyj-Gefolgsmann Olexander Dubinskyj, der wegen des Vorwurfs des Hochverrats in Untersuchungshaft sitzt. Legitim sei nur noch das Parlament, die Oberste Rada, sagte er.
Doch bröckelt auch die Unterstützung im Parlament für Selenskyj immer weiter. Formell gehören seiner Fraktion noch 235 von einmal 254 Abgeordneten. Doch faktisch nehmen nur noch 170-180 der Abgeordneten an den Abstimmungen teil; Präsident und Regierung sind auf Stimmen anderer Fraktionen oder Gruppen angewiesen. Von den verbliebenen 401 Parlamentariern wollen Selenskyjs Fraktionschef David Arachamija zufolge allein bei der Präsidentenpartei mindestens 17 ihr Mandat abgeben. Experten erwarten, dass die schon jetzt nicht einfache Suche nach Abgeordnetenstimmen sich nach dem 20. Mai weiter erschweren wird. Es könnte zu einer Form von Unregierbarkeit kommen.
Selenskyj baut indes nach Meinung von Experten einem möglichen Machtverlust vor, wie auch die jüngsten Entlassungen von Wegbegleitern und die Einsetzung von handzahmen Gefolgsleuten zeigten. Selenskyj wappne sich durch den Umbau seines Apparats für die schwierigere außen- und innenpolitische Lage, meinte der Carnegie-Experte Skorkin.
Gestärkt wird nach Einschätzung von Beobachtern vor allem der Leiter der Präsidialverwaltung, Andrji Jermak, der seit Langem als eine Art Präsident im Verborgenen gilt. An die Stelle des entlassenen Sekretärs des Sicherheitsrates, Olexij Danilow, und Selenskyjs Berater Serhij Schefir seien Leute Jermaks getreten, heißt es.
Sinkende Unterstützung in der Bevölkerung
Umfragen von Meinungsforschungsinstituten sehen zwar weiter Rückhalt in der Bevölkerung für Selenskyjs Entscheidungen, aber die Unterstützung sinkt zusehends. "Natürlich werden für sich genommen die Vorwürfe einer Illegitimität Selenskyjs einfache Ukrainer nicht beunruhigen", sagt Skorkin, "aber wenn diese von schweren militärischen und sozialen Problemen begleitet werden, dann können sie ernster werden."