Umweltbundesamt schlägt Alarm Wie kommt giftiger Weichmacher in Kinder-Urin?

/Markus Brauer

Das Umweltbundesamt weist eine gefährliche Substanz in teils jahrealten Urinproben in ungewöhnlich hoher Menge nach. Der Stoff ist seit langem größtenteils verboten. Wie also kommt es zu der Belastung?

 
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Projektleiterin Yvonni Chovolou, Toxikologin des Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv) Nordrhein-Westfalen nimmt tiefgefrorene Urinproben aus einem Gefrierschrank in einem Labor. Mit ihrem Team konnte sie den Weichmacher Di-n-hexyl-Phthalat, in zahlreichen Urinproben von Kleinkindern nachweisen. Foto: dpa/Bernd Thissen

Das Umweltbundesamt (Uba) hat im Urin zahlreicher Menschen in Deutschland Hinweise auf einen gefährlichen Weichmacher entdeckt, der seit Jahren inder EU streng reglementiert und größtenteils verboten ist.

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In der aktuell noch laufenden 6. Deutschen Umweltstudie zur Gesundheit sei bislang in 28 Prozent der Proben der Metabolit MnHexP entdeckt worden, sagt Uba-Toxikologin Marika Kolossa.

Was ist MnHexP?

MnHexP wird als Weichmacher für Kunststoffe verwendet. Foto: Imago/Science Photo Library

MnHexP ist ein Abbauprodukt des Weichmachers Di-n-hexyl-Phthalat (DnHexP), eine chemische Verbindung aus der Gruppe der Phthalsäureester, die als Weichmacher für Kunststoffe wie PVC, Nitrocellulose oder synthetisches Gummi verwendet werden. DnHexP ist eine farblose Flüssigkeit, die quasi unlöslich in Wasser ist.

Erst kürzlich waren Ergebnisse einer Untersuchung zu Proben in Nordrhein-Westfalen bekannt geworden. „Es ist ein Problem größeren Ausmaßes“, warnt die Toxikologin. Die Herkunft des Weichmachers sei bisher unbekannt. Das Umweltbundesamt arbeite auch eng mit EU-Behörden zusammen, um die Quelle ausfindig zu machen.

Warum ist MnHexP so gefährlich?

Martin Kraft, Leiter des Fachbereichs Umweltmedizin, Toxikologie und Epidemiologie des Lanuv, nimmt tiefgefrorene Urinproben aus einem Gefrierschrank in einem Labor. Foto: dpa/Bernd Thissen

Der Metabolit – darunter versteht man das Zwischenprodukt eines Zellstoffwechsels – ist demzufolge nach Ergebnissen von Tierversuchen ein fortpflanzungsschädigender Stoff. Die Substanz wurde erstmals 2023 in Proben entdeckt.

Phthalate sollen auf Hormone wirken und beispielsweise Unfruchtbarkeit, Übergewicht, Diabetes und Herzkrankheiten beim Mann hervorrufen. Sie wirken vor allem auf die Fortpflanzungsorgane männlicher Föten im Mutterleib. Marika Kolossa:„So einen Stoff dürfte man nicht im Körper finden und wir finden ihn.“

Er kann aber auch für Erwachsene schädlich sein und das Risiko für Diabetes, Bluthochdruck und Fettleibigkeit erhöhen. In einzelnen Menschen seien Konzentrationen entdeckt worden, „die so hoch sind, dass eine Gesundheitsgefährdung nicht auszuschließen ist“, warnt Marika Kollosa.

Wie kommt MnHexP in Urin von Kleinkindern?

Tiefgefrorene Urinproben liegen in einem Lanuv-Labor in einem Kühlschrank. Foto: dpa/Bernd Thissen

In Nordrhein-Westfalen hatten Experten des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv) rückwirkend alte Urinproben von Kindergartenkindern untersucht. Das Ergebnis ist alarmierend: Im Untersuchungszeitraum habe sich der Anteil der mit MnHexP belasteten Proben von 26 Prozent (2017/18) auf 61 Prozent (2020/21) erhöht, heißt es einer Mitteilung des Lanuv vom 31. Januar 2024.

Die Konzentration bei hochbelasteten Kindern habe sich in etwa verzehnfacht. Die Ursache dafür sei völlig unklar. Die Ergebnisse hingen nicht mit den Wohnorten der Kinder zusammen, so eine Lanuv-Sprecherin. Deutlich erhöhte Werte gebe es im ganzen Bundesland.

Wie kann ein in der EU verbotener Stoff in Deutschland auftauchen?

Seit dem Jahr 2013 steht der Weichmacher DnHexP in der Europäischen Union laut Lanuv auf der Liste der besonders besorgniserregenden Stoffe. Als Weichmacher sei dieses Phthalat in kosmetischen Mitteln, Lebensmittelkontaktmaterialien und in Spielzeug deshalb nicht mehr zugelassen.

Unter bestimmten Umständen könne die Substanz dennoch in der EU auftreten, etwa in Importerzeugnissen, die den Stoff enthalten, erklärt Chemikalien-Experte Lars Tietjen vom Uba. Er könne möglicherweise auch in alten in der EU produzierten Produkten erhalten sein. „Hinweise auf größere verarbeitete Mengen liegen mir nicht vor, aber ausschließen kann man es nicht.“