Ungarn mal anders Langos, Liszt und Lebenslust

Günther Geiling

Land und Leute hautnah statt Kluburlaub und Standard-Sightseeing standen auf dem Programm einer Reisegruppe aus den Haßbergen. Dabei blickte man bewusst hinter die Kulissen eines nicht immer einfachen Lebens.

 
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Blick von der Fischerbastei auf Budapest mit einem der größten Parlamente der Welt. Foto: Günther Geiling

„Land und Leute kennenlernen“ ist seit vielen Jahren das Ziel für die Erlebnisreisen der Fahrtengruppe „mit der Union durch Europa“. Bei der siebentägigen Reise durch Südungarn ist das den 40 Reiseteilnehmern aus dem Haßbergkreis in eindrucksvoller Weise gelungen, denn sie waren auf du und du mit den Bauern oder Bäuerinnen auf ihren Höfen, mit Winzern auf ihren Kellerhäusern, bei den waghalsigen Csikos mit ihren Pferden und im Gespräch mit dem “Pincér“ (Kellner) über die landestypischen Spezialitäten am Büfett oder in der Bar. Schon die Anfahrt zum Hotel nach knapp 1000 Kilometern war ein Erlebnis, denn plötzlich musste der Bus die liebevoll gepflegten kleinen Dörfer und Hauptwege verlassen und drang immer tiefer über Sand- und Schotterwege und durch Wald in eine Landschaft ein, wo sich niemand mehr ein Hotel vorstellen konnte. Plötzlich sah man wie in einer grünen Oase die schöne Hotelanlage mit neun reetgedeckten Häusern mit Blick auf den Reitstall und den Wellnessbereich, in dem man bei Temperaturen bis 40 Grad allabendlich eintauchen konnte. Das Hotel strahlte eine unglaubliche Harmonie und Ruhe aus und man spürte gleich die herzliche Gastfreundschaft der Mitarbeiter beim ersten „Egészségedre“, dem deutschen Prost, das nicht leicht über die Lippen ging. Und so ging es die nächsten Tage weiter mit der schwierigen ungarischen Sprache.

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Reiseleiter Ferenz war stolz, gleich am nächsten Tag seine Heimatstadt Kecskemét zeigen zu dürfen. Sie war in den letzten Jahren im Zeichen des Mercedes-Stern aufgeblüht, weil dort die Fahrzeuge der A-Klasse mit Robotern und 4 700 Mitarbeitern produziert werden, zu denen noch einmal so viele Arbeiter in Zulieferfirmen kommen und auch Hotels oder Logistikunternehmen aus dem Boden schießen. Mercedes, Audi (in Győr), BMW (in Debrecen) und Bosch gehören inzwischen zu den größten Unternehmen in Ungarn.

Viele Ungarn sind darüber froh, auch wenn ihr Verdienst nur ein Viertel dem eines deutschen Arbeiters entspricht. Aber auch ein Lehrer muss mit einem Gehalt von etwas über 500 Euro auskommen und deswegen arbeiten rund 600 000 Ungarn auch in anderen EU-Ländern. Doch bleiben wir bei Mercedes. Die Durchschnittsrente liegt bei rund 415 Euro. In diesem Zusammenhang ging man auch politischen Fragen nach wie der, warum Viktor Orbán den Euro für sein Land nicht notwendig hält und es um den ungarischen Forint sehr still ist.

Während solche Städte florieren, lebt aber die Landbevölkerung teilweise in großer Armut und der wirtschaftliche Aufschwung kommt nicht überall an. Dies bekam man deutlich am anderen Tag zu sehen, bei dem die Gruppe mit vier Planwagen direkt zu zwei Bauernhöfen fuhr, um sich mit den Menschen über ihre Situation und ihr Leben auszutauschen. Der erste Bauernhof, der weitab vom nächsten Dorf lag, gehört Olga mit ihrem Mann, die dort ihr Vieh und ihre Äcker haben, während die Kinder an anderen Orten wohnen.

Olga war beschäftigt an einem großen Kessel mit heißem Öl, in dem sie ihre selbst gefertigten Langosch/Langos drehte, eine ungarische Spezialität mit Käse und Knoblauch gewürzt, die man üblicherweise mit den Händen isst. Dazu reichte der 70-jährige Bauer einen guten Rotwein und verriet, dass er auch schon einmal auf dem Oktoberfest in München war und dass es ihm durchaus gefallen habe.

Mit den Pferdegespannen ging es dann zu einem Biohof, auf dem sich die Bäuerin auf uralte Tierrassen wie dem Wollschwein (Mangalica) und auf Zackelschafe verlegt hat, die korkenzieherartig gedrehte Hörner mit einer Länge bis zu einem Meter haben. Sie sprach gut Deutsch, was sie nach ihren Worten erst in den letzten Jahren gelernt habe. „Nun lerne ich noch Englisch mit einer Ungarin, die nach vielen Jahren aus Amerika in ihre Heimat zurückgekehrt ist. Sie bringt mir Englisch bei und ich bezahle sie dafür mit Fleisch“, erklärte sie, wie man dort mit Austausch von Naturalien und Dienstleistungen zurechtkommt. Dabei bewirtete sie mit Humor ihre Gäste und einige ihrer Produkte wie Honig, Wurst, Tee und anderes mehr gingen als Souvenir mit auf die Reise.

Am nächsten Tag ging es in die Paprikastadt Kalocsa, deren Kennzeichen das „rote Gold“, der Paprika ist. Im Museum erfuhr man vieles über den Paprikaanbau, aber auch über die ungarische Küche und dabei ging viel Paprikapulver über die Verkaufstheke. Der Burgplatz, der auch Sitz einer der vier römisch-katholischen Erzbistümer ist, glich einer einzigen Baustelle, sodass auch der Dom, das Wahrzeichen der Stadt, abgesperrt war.

Plötzlich öffnete sich das Eingangsportal dann doch für die Haßbergler und Reiseleiter Ferenz stellte einen über das Land hinaus bekannten Organisten vor, der für ein Orgelkonzert bereitstand. Auf der riesigen Orgel, auf der auch schon Franz Liszt spielte, bot er auf den 64 Registern bei drei Manualen und 4668 Pfeifen eine Klangvielfalt von ganz leisen Tönen bis hin zu einem Aufbrausen, mit dem das große Klangvolumen und Tonspektrum den Raum erfüllte. Schließlich fragte der Organist, ob er auch noch ein Stück von einem deutschen Komponisten zum Besten geben dürfe. Dagegen gab es keine Einwände und zur Überraschung der deutschen Gruppe spielte er das Werk von Joseph Haydn, das vom „Hoch auf den Kaiser“ oder der „Kaiserhymne“ zur Melodie der deutschen Nationalhymne wurde, die am Schluss von der Gruppe mitgesungen wurde.

Von diesem Kulturgenuss begeistert, ging es mit guter Stimmung nach Hajós, einem der bekanntesten Weindörfer Ungarns mit 1200 Kellern. Diese baute man sogar auf eine Anhöhe, weil man im Dorf aufgrund des hohen Grundwasserstandes keine Weinkeller errichten konnte. Nach einem Spaziergang durch die Gassen hatte eine Familie ihren Garten für die anschließende Brotzeit schon gerichtet und dazu gab es Eigenbau-Weine. Für die Franken gehörte selbstverständlich ein Blick in das sogenannte „Kellerloch“ dazu, das weit über 20 Meter in den Löss hineinreichte, von Hand gehauen und ohne Ziegelboden.

Der alte Winzer ließ bereitwillig einen Blick in diese Art von Keller werfen und aus so manchem Fass durfte sogar der Wein gekostet werden. Die ganze Familie, von der Oma bis zum Urenkel, war auf den Beinen, um ihre Gäste zu bewirten und auch einen Einblick in ihr Leben zu geben. Für die musikalische Stimmung war bald gesorgt durch Oldies mit Gitarrenbegleitung und als zum Abschluss das „Frankenlied“ und „Die Juliska aus Budapest “ erklangen, wurde es emotional und manchem standen die Tränen in den Augen.

Ein Tag galt der Besuch der Hauptstadt Budapest mit ihrer wunderschönen Fischerbastei, wo gerade die Wachablösung stattfand. Nach dem herrlichen Blick vom Burgberg auf die Stadt an der Donau mit dem Parlament ging es in die Markthalle und die Fußgängerzone und auch der Nationale Historische Gedenkpark „Öpusztar“ mit dem weltberühmten Feszty-Panorama-Bild mit einer Größe von 120 m Länge und 15 m Höhe stand noch auf dem Programm. Begeistert war die Reisegruppe auch von Szeged, der südöstlichen Stadt Szeged durch ihr modernes und gepflegtes Erscheinungsbild sowie ihre Jugendstilbauten und der Kathedrale „unsere liebe Frau von Ungarn“. Die Backstein-Basilika überragte dort mit ihren 91 Meter hohen Türmen alles und ist mit einem Fassungsvermögen von 5 000 Personen eine der größten Kirchen. Der Höhepunkte nicht genug, stand dort noch der Besuch in einer Csarda auf dem Programm, aber niemand kam auf die Idee, Szegediner Gulasch zu essen. „Wer hier nicht Fischsuppe ist, war nicht in Szeged“, hatte man die Devise ausgegeben und das war nicht zu viel versprochen. Die weltberühmte Fischsuppe „Halászlé“ war ein Highlight der Reise.

Mit dem typischen Käsegebäck „Pogácsa“ begann schließlich auch die Vorführung „Puszta live“, bei der die Pferdehirten mit spektakulären Reitervorführungen wie der „ungarischen Post“ auftraten, während im Hintergrund typische Graurinder grasten. Selbst der Abschlussabend erhielt noch eine besondere Note, weil man hautnah eine ungarische Hochzeit miterleben durfte, die sich mit Tänzen und Spielen bis weit in den frühen Morgen hinzog. An gleichen Morgen hieß es dann auch für die Reisegruppe mit vielen Eindrücken die Heimreise in die Haßberge anzutreten.