„Urban Sketchers“ in Coburg Zeichenstift statt Handy

Heitere Gelassenheit auf dem Coburger Marktplatz: Vornehmlich die schönen Seiten des Alltags hält Ingo Seydel mit Stift und Pinsel fest. Foto: Seydel

In aller Welt erzählen „Urban Sketcher“ Alltagsgeschichten mit dem Zeichenstift. Ingo Seydel hat den Trend nach Coburg gebracht und zeigt derzeit in der Stadtbücherei seine zauberhaften Impressionen.

 
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Aus der Vogelperspektive lockt der Marktplatz zur Punktlandung im Straßencafe. Unten angekommen begrüßt uns ein luftig-buntes Altstadtpanorama und lädt uns zum Chillen und Flanieren ein. Durch ein liebenswertes und lebendiges Städtchen führt Ingo Seydel die Betrachter seiner Zeichnungen, die derzeit in der Stadtbücherei zu sehen sind.

Die Motive, die er mit Füller und Aquarellstift so kunst- wie stimmungsvoll zu Papier bringt, liegen gleich ums Eck: Alt-Coburg mit seinen charmanten Plätzen und Winkeln, den mittelalterlichen Stadthäusern und Jugenstil-Villen und natürlich mit seinen Wahrzeichen Veste, Ehrenburg und Landestheater inspiriert den leidenschaftlichen Zeichner immer wieder. Aber Seydel porträtiert nicht einfach nur die Sehenswürdigkeiten seiner Heimat: „Wir möchten Geschichten erzählen“, erklärt Seydel.

Mit „wir“ meint er die „Urban Sketchers“, die in aller Welt durch Städte streifen, um das Leben um sie herum in ihren Skizzenbüchern festzuhalten. „We show the world, one drawing at a time!“ („Wir zeigen die Welt, Zeichnung für Zeichnung!“) lautet das Motto der Bewegung, die 2007 auf der Online-Fotoplattform Flickr startete und sich mittlerweile als loses Netzwerk kunstbegeisterter Amateure und Profis rund um den Globus zieht.

„Es geht nicht um Perfektion, sondern um den Spaß und die Gemeinschaft“, erklärt Ingo Seydel, der 2018 zu den urban sketchers stieß und seither diese Idee auch in der Region verbreitet, unter anderem in VHS-Kursen. 82 Mitglieder zählt seine Facebook-Gruppe „Urban Sketchers Coburg“, in der sich die Stadt-Zeichner/innen austauschen und ihre Impressionen posten.

Erlaubt ist nicht alles, was gefällt: „Du hast die Bilder vor Ort gezeichnet, nicht nach Fotos oder Fantasie“ lautet die wichtigste Spielregel. Skizzen von Aktzeichen-Veranstaltungen oder posierenden Models passen ebenso wenig ins Format wie reine Stillleben ohne Bezug zum Ort. „Unsere Zeichnungen erzählen die Geschichte unserer Umgebung, der Orte, an denen wir leben oder zu denen wir reisen“, heißt es im Manifest der Urban Sketchers.

Obwohl die Bewegung ihren Ursprung im Internet hat und sich dort international vernetzt, ist die reale Begegnung ein wichtiges Element für Ingo Seydel: „Am schönsten ist es in der Gruppe“, meint der 53-Jährige, der sich gern mit Gleichgesinnten zum gemeinsamen Zeichnen verabredet – an das sich natürlich ein gemütlicher Kaffeeklatsch anschließt. Oft besucht er die sehr aktiven Forchheimer Urban Sketcher, auch in Coburg möchte er regelmäßige Treffen der Gruppe organisieren.

Auch allein schnappt sich der Diplom-Verwaltungswirt (FH), der als Geschäftsleiter der Gemeinde Dörfles-Esbach arbeitet, in seiner Freizeit häufig den Rucksack mit den Zeichenutensilien, schwingt sich aufs Rad und begibt sich auf die Pirsch. Es muss nicht immer ein Idyll sein, das seinen Blick fängt: Auch ein Marktstand, eine Baustelle oder der Union Jack mit Trauerflor, der am Todestag der Queen auf dem Markt gehisst wurde, können ihn dazu anregen, sein Dreibein aufzustellen, den Block zu zücken und sich ganz in den Augenblick zu versenken: „Dann verschwindet die Welt um mich herum“, sagt der talentierte Zeichner, der 2021 mit dem Förderpreis der VR-Bank Coburg ausgezeichnet wurde.

Gerade in Zeiten allgemeiner Rastlosigkeit ist es ihm wichtig, Eindrücke nicht schnell mit dem Handy abzuknipsen, sondern liebevoll mit geschickter Hand zu notieren: „Es geht auch um Entschleunigung“, erklärt der Künstler. Das sieht man seinen zauberhaften Momentaufnahmen an.

Die Ausstellung in der Stadtbücherei, in der neben Coburger Motiven auch Eindrücke aus Wangen, Nürnberg und Berlin zu sehen sind, dauert bis 4. Februar. Öffnungszeiten: Montag, Dienstag, Donnerstag, Freitag 12 - 17.30 Uhr, Mittwoch 9 - 13 Uhr, Samstag 9 - 12 Uhr.

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