Valeo in Ebern 112 Mitarbeiter wollen gehen

Wie steht es um die Zukunft von Valeo in Ebern? Die Stimmung scheint schlecht. Foto: R. Ruprecht

So etwas gibt es selten: Valeo will in Ebern 52 weitere Stellen abbauen – doch zum Abschied sind sogar noch viel mehr bereit.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Die Begriffe klingen immer harmlos: Von „Umstrukturierungen“ ist oft die Rede, wenn ein Unternehmen Personalabbau plant, „Freiwilligenprogramm“ heißt es, wenn der Arbeitgeber dabei auf einen geräuschlosen Abschied der betroffenen Mitarbeiter hofft. Vereinbart werden in diesem Fall Abfindungen oder Modelle für den vorzeitigen Ruhestand; statt einer Kündigung gibt es dann den Aufhebungsvertrag. Ein solches Verfahren ist auch bei FTE/Valeo in Ebern üblich, wo in den vergangenen fünf Jahren rund 450 Arbeitsplätze verloren gingen und auch aktuell wieder 52 Stellen abgebaut werden sollen. Weniger üblich ist, dass sich für dieses Freiwilligenprogramm weit mehr Arbeitnehmer melden, als um ihren Job fürchten müssten.

112 Bewerbungen seien bis Freitag bei ihr eingegangen, berichtet Betriebsratsvorsitzende Sonja Meister am Vormittag des 15. Juli gegenüber der Neuen Presse. Bis zu diesem Datum hatte der Betrieb seine Frist gesetzt, bis zu der sich Freiwillige für einen geregelten Abschied vom Unternehmen melden konnten. Schon einmal hatte dies gut geklappt: Erst Anfang dieses Jahres waren erneut 67 Stellen abgebaut worden, ohne dass ein Sozialplan zur Anwendung kommen musste. Doch das „Sterben auf Raten“, wie Sonja Meister und ihre Betriebsratskollegen das fortwährende Stellenschrumpfen eines der größten Arbeitgeber im Landkreis Haßberge nennen, geht weiter. Im Juli 2021 hatte der Konzern bekannt gegeben, dass er weitere 80 Arbeitsplätze streichen wolle; Betriebsratsverhandlungen hatten die Zahl auf 52 senken können. Doch offenbar wollen nun noch mehr Mitarbeiter den Eberner Standort verlassen.

„Dass es so viele Bewerbungen für das Freiwilligenprogramm geben wird, hätte ich nicht gedacht“, zeigt sich Betriebsratsvorsitzende Sonja Meister am Freitag überrascht. Man habe daher bereits mit betriebsbedingten Kündigungen rechnen müssen. Die Meldungen seien quer durch alle Abteilungen gegangen. „Das war beim letzten Mal auch schon so“, sagt Meister. Wenn sich nun aber Kollegen für den Ausstieg bewerben, deren Arbeitsplatz gar nicht gefährdet ist? „Dann gibt es die Ringtausch-Option“, erklärt die Betriebsratsvorsitzende. Heißt: Deren Arbeitsplatz kann dann jemand einnehmen, dem selbst die betriebsbedingte Kündigung droht. Hierfür soll es in der nächsten Woche Gespräche geben. Denn klar ist: Nicht jeder, der gerne gehen möchte, wird dafür eine Abfindung erhalten.

Bereits auf jene 67 Stellen, die zu Jahresbeginn abgebaut wurden, waren knapp 95 Bewerbungen für den freiwilligen Ausstieg eingegangen. Die Arbeitnehmer zieht es weg vom einst so blühenden Konzern, der zu Spitzenzeiten in Ebern bis zu 2800 Menschen beschäftigt hat. Heute spricht das Unternehmen auf seiner Homepage von derzeit 1340 Beschäftigten am Standort – und nicht alle scheinen dort noch gern ihrer Arbeit nachzugehen. „Die Stimmung ist schlecht“, fasst es Betriebsratsvorsitzende Sonja Meister zusammen. Sie erinnert sich noch an Zeiten, in denen die Kollegen erhobenen Hauptes nach Schichtende aus dem Werkstor gelaufen seien, lachend in muntere Gespräche vertieft. „Heute ist das ein Trauerspiel“, sagt Meister.

Der Grund liegt nicht nur in einer aktuell schlechten Gemütslage, sondern vor allem in einer fehlenden Zukunftsperspektive. Freilich belasten die branchenüblichen Probleme wie Lieferschwierigkeiten, zurückhaltende Auftraggeber, die wirtschaftliche Krise und die generelle Mobilitätswende auch das Werk in Ebern. Zusätzlich fehlt es hier aber an neuen Produkten, die am Standort hergestellt würden, und mit denen man sich im Wettbewerb behaupten könnte.

Dabei ist der Mutterkonzern mit Hauptsitz in Frankreich, der bereits seit rund zehn Jahren Produkte für Elektromobilität und jüngst auch Technologien für autonomes Fahren entwickelt, eigentlich respektabel aufgestellt. Von „guten Zukunftsaussichten“ des Betriebs hatte Deutschland-Chef Andreas Heinrich kürzlich bei einer Werksführung am Bad Rodacher Standort gesprochen. Hier stellen die Mitarbeiter unter anderem Klimaanlagen und Bauteile für die Temperaturregelung in Autos her sowie Bedienelemente wie Knöpfe und Einstellleisten: Dinge also, die durchaus auch in künftigen Elektroautos verbaut sein können.

In Ebern dagegen hängt das Wohl und vielmehr Wehe am Verbrennungsmotor, dem bekanntlich weniger gute Zukunftsaussichten beschert sind. Mit der Produktion von Kupplungs- und Getriebetechnik scheint der Standort ein Auslaufmodell zu werden angesichts der unaufhaltsamen Transformation im Automobilbereich. „Ob Valeo den Wandel auch in Ebern mitgeht, wird man sehen“, sagt Sonja Meister. Einen kleinen Schritt Richtung Zukunft hat man wenigstens gemacht und zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmervertretung eine sogenannte „Zukunftsvereinbarung“ abgemacht. Teil eins dieser Vereinbarung sieht vor, dass ein Team von Mitarbeitern, die ebenfalls von den Entlassungen betroffen wären, Ansätze für neue, zukunftsträchtige Produkte für den Eberner Standort entwickeln darf. Bis Ende 2023 hat es dafür Zeit. Hier habe es bereits erste Gespräche gegeben, die sehr konstruktiv gewesen seien, berichtet Sonja Meister. Nach der Sommerpause soll im September dazu ein erster Workshop starten.

Sehr viel schneller geht es nun an die Gespräche mit den abschiedsfreudigen Kollegen. Derjenige unter den Bewerbern im Freiwilligenprogramm, dessen Arbeitsplatz ohnehin wegfällt, wird den Zuschlag problemlos erhalten. Nachdem sich auf der anderen Seite aber auch nicht alle beworben haben, deren Job auf der Abschussliste steht, wird es darüber hinaus auch Ringtausch-Gespräche geben. Auch hierüber will man bereits in der kommenden Woche Klarheit erhalten.

Fest steht aber: Nur jeder Zweite, der mit seiner Bewerbung für das Freiwilligenprogramm signalisiert hat, dass er das Unternehmen verlassen will, kann dies auch auf diesem Wege tun. „Mit Sicherheit wird es unter den anderen dann aber auch einige geben, die trotzdem gehen werden“, ist sich Betriebsratsvorsitzende Sonja Meister sicher.

Zum 31. Oktober 2017 hatte der französische Großkonzern Valeo SE mit Hauptsitz in Frankreich den Automobilzulieferer FTE automotive aus Ebern übernommen. Zuvor war der US-amerikanische Finanzinvestor Bain Capital Eigentümer des Eberner Automobilzulieferers gewesen. 1943 war das Werk in Ebern gegründet worden, damals als Tochterwerk von FAG Kugelfischer in Schweinfurt, was ihm den landläufigen Namen „Kufi“ einbrachte. Nach dem Verkauf des Eberner Standorts durch die FAG im Jahr 1993 wechselte der Name zur „Fahrzeug Technik Ebern“, kurz „FTE“.

Autor

Bilder