Veranstaltungstipps Albert Hammond: "Bei mir hören die Menschen den Soundtrack ihres Lebens"

Das Gespräch führte Rainer Maier
 Foto: David von Becker

Albert Hammond hat viele Welthits geschrieben – für sich und für andere Künstler. Jetzt bringt er alle seine großen Erfolge bei der „Songbook“-Tournee mit nach Deutschland.

 
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Mr. Hammond, Sie sind im Mai 74 Jahre alt geworden. Und es scheint, Sie waren noch nie präsenter in Deutschland als in den vergangenen zwei, drei Jahren. Was treibt Sie noch an?

Die Musik. Und die Menschen. Wenn ich auf der Bühne stehe, vergesse ich alle Probleme, seien sie nun persönlich, familiär oder weltpolitisch. Ich sehe, wie die Menschen im Publikum lächeln und das Konzert genießen. Die sind ja auch nicht mehr jung. Einige schon, aber die meisten sind in meinem Alter oder gar noch älter. Wenn ich dann hinterher Autogramme gebe, sagen sie mir: „Albert, du hast es geschafft, dass ich mich wieder wie 18 gefühlt habe.“ Es ist doch großartig, so etwas von jemandem gesagt zu bekommen, der 60, 70 oder 80 ist. Das ist meine Motivation. Außerdem: Ich glaube nicht, dass ich meinen besten Song schon geschrieben habe.

Es gab aber gut dreißig Jahre, in denen Sie nicht live aufgetreten sind, lieber viel Zeit mit der Familie verbrachten. Haben Sie das Gefühl, das jetzt nachholen zu müssen?

Ich versuche es, ja (lacht). Aber es wird wohl nicht klappen. Es ist wie mit dem Schlaf: Hatte man zuwenig davon, kann man ihn nicht mehr hereinholen. Oder mit der Zeit ganz allgemein: Alle Zeit, die man irgendwie verloren hat, wird man nie wieder zurückbekommen. Deswegen glaube ich auch, dass Zeit das wertvollste Geschenk ist, das man jemandem geben kann. Weil man sie nicht kaufen kann. Weil sie einfach verstreicht, ohne dass man sie zurückdrehen kann. Also: Nutze deine Zeit weise!

Live aufzutreten hat viel mit Interaktion zwischen Künstler und Publikum zu tun. Haben Sie das Gefühl, es fällt Ihnen leicht, eine Verbindung zum deutschen Publikum aufzubauen?

Oh ja, das funktioniert großartig. Aber ich weiß nicht, ob es mir nur leicht fällt. Ich glaube eher, die Leute hier machen es mir besonders leicht. Das deutsche Publikum hat mich immer schon mit offenen Armen aufgenommen, schon seit meinen ersten Konzerten Anfang der Siebziger. Und heute ist es noch besser. Die Leute kommen aus ganz Deutschland, um mich spielen zu sehen. Eben habe ich ein zwei Konzerte mit dem Sinfonieorchester in Wuppertal gespielt. Am ersten Abend gab es fünfzehn Minuten lang stehende Ovationen. Ich konnte nicht mal Danke sagen, so heftig haben die applaudiert. Das war überwältigend. Es ist ein großartiges Gefühl, diese Verbindung zu spüren – von mir zum Publikum und von den Leuten zu mir. Denn nur wenn das da ist, kann man in den Zuhörern mit seinen Songs all die unterschiedlichen Emotionen auslösen, sei es nun Rock oder Pop oder Rhythm’n’Blues oder Klassik. Es sind alles wunderbare Songs, die die Menschen in der Zeit zurückreisen lassen. Sie hören bei mir den Soundtrack ihres Lebens.

Ist es also wichtig für Sie als Musiker, Menschen glücklich zu machen?

Das ist das Wichtigste überhaupt! Das muss der Grund sein, weshalb ein Musiker auf die Bühne geht. Es geht doch nicht darum, berühmt zu sein. Das ist nicht wichtig. Aber die Menschen glücklich zu machen, das ist sehr wichtig.

Sie werden am 20. Juli in Kulmbach auf der Plassenburg auftreten. Das ist eine Festung mit 900-jähriger Geschichte. Und der “Schöne Hof”, wo sie spielen werden, ist auch schon fast 500 Jahre alt. Welche Wirkung hat eine solche Umgebung auf Sie?

Eine große! Das war schon jetzt in Wuppertal so, wo ich in einem Hotel wohnte, das früher mal ein großes Herrenhaus war, gebaut ungefähr 1906. Diese Wände! Man kann dort wirklich eine Aura spüren. Ganz anders als alles, was heutzutage gebaut wird. Wenn man auf einer Burg spielt, in einem Hof, der 500 Jahre alt ist, dann spürt man das. Es löst tiefe Emotionen aus. Ich bin überzeugt, dass die Umgebung beim Konzert eine große Wirkung auf mich hat.

Ist es grundsätzlich etwas Besonderes, Open Air zu spielen?

Das Besondere ist, dass man normalerweise anfängt, wenn es noch hell ist. Das bedeutet, deine Lichtanlage bringt erst mal gar nichts (lacht). Dann kommen noch die Unwägbarkeiten des Wetters hinzu. Es kann regnen, es kann unangenehm kalt sein. Aber davon abgesehen, ist es einfach ein ganz wunderbares Gefühl zu singen mit nichts als dem Sternenzelt über dir. Und auch das Publikum sitzt im Freien und lauscht. Welch ein grandioses Bild!

Sie sind ja in Gibraltar aufgewachsen, sind also alte, geschichtsträchtige Gemäuer gewohnt. Hat Sie das beeinflusst, auf einer kleinen Insel groß zu werden, mit einem nicht ganz so wohlgesonnenen Nachbarn auf dem gegenüberliegenden Festland?

Das ist doch nur Politik. Meine tatsächlichen spanischen Nachbarn waren nicht so. Das waren sehr nette, gute Leute. Aber zu Ihrer Frage: An einem derart kleinen, abgeschlossenen Ort aufzuwachsen, bedeutete für mich zweierlei. Auf der einen Seite habe ich mich dort immer sicher, behütet und geliebt gefühlt. Man konnte überall einfach an die Tür klopfen und nach einem Glas Wasser fragen. Dann hörte man es von irgendwo im Haus rufen: “Klar, komm rein, hol Dir eins aus der Küche, das ist schon in Ordnung.” Es hat sich immer angefühlt, als würde ich in einer 20.000-Menschen-Familie leben (lacht). Auf der anderen Seite, und das war ein Problem: Man hat dort keine Möglichkeiten. Irgendwann muss man weggehen. Man muss sich irgendwann entscheiden, zu gehen und erst wiederzukommen, wenn man erreicht hat, was man erreichen wollte. Wenn man dann zurückkommt, dann ist es nicht mehr wie früher. Die Menschen sehen dich anders an, fast, als hättest du sie im Stich gelassen (lacht). Tja, so ist das. Ich habe immer noch viele Freunde in Gibraltar und es gibt viele Menschen, die bewundern, was ich geschafft habe. Aber ich habe in Gibraltar nie eine öffentliche Anerkennung meiner Leistung erhalten. Den symbolischen Schlüssel zur Stadt zum Beispiel haben schon eine Menge Leute bekommen. Sie alle haben Großes geleistet. Aber: Sie alle sind auch nie dort weggezogen. Ich nehme das der Stadt nicht übel. Solche Auszeichnungen sind doch nur etwas für Sammler zum Auf-den-Kaminsims-Stellen.

Gibraltar hat ja auch noch etwas Zeit …

Etwas schon, ja (lacht). Aber vielleicht sollten sie mal in die Gänge kommen. Ich meine, ich bin ja jetzt schon 74 (lacht).

Sie sind als Kind dort zweisprachig aufgewachsen, mit Englisch und Spanisch. Sie haben auch viele Alben auf Spanisch aufgenommen.

Stimmt. Meine Karriere im Latin-Markt ist ebenso erfolgreich wie die in englischer Sprache. Ich habe zehn Alben auf Spanisch aufgenommen. Ich toure in Südamerika und in Spanien, genauso wie ich im Vereinigten Königreich oder – nächstes Jahr – in den USA toure.

Haben Sie denn auch bei Ihren Deutschland-Konzerten einen spanischen Song im Programm?

Habe ich tatsächlich. Der Song heißt “Aléjate”.

Und was heißt das?

Es bedeutet: Geh weg! Sie würden vielleicht sagen: Schleich dich! Ich habe den Song geschrieben, Celine Dion hat ihn auf Englisch aufgenommen und berühmt gemacht. Die Single “Just Walk Away” wurde vierzig Millionen Mal verkauft. Die spanische Version hat dann der amerikanische Opernsänger Josh Groban aufgenommen – und ebenfalls fast 15 Millionen Stück verkauft. Jetzt singe ich diese spanische Version live. Und die Leute lieben es.

Weil Sie die Emotionen so gut transportieren?

Vermutlich. Ich gehe auf der Bühne aus mir heraus. Ich sitze nicht nur auf einem Hocker und spiele Gitarre. Ich rocke, ich tanze, ich bin immerzu in Bewegung. Das Energielevel ist enorm hoch. Wenn ich dann Balladen spiele, dann bringe ich sie mit viel Gefühl, so, dass auch die Menschen im Publikum sie fühlen und die Emotionen nachvollziehen können. Und das lieben sie. Ich höre das oft nach meinen Konzerten. Die Leute sagen: “Wir haben schon viele Künstler gesehen, schon viele Shows erlebt, aber Sie sind etwas Besonderes.” Das zu hören, ist für mich die schönste Belohnung.

Die “Songbook”-Tournee ist wie ein Kaleidoskop aus Liedern, die Sie selbst aufgenommen haben, und aus Hits, die Sie für andere Künstler geschrieben haben. Wie fühlt es sich an, sein ganzes Lebenswerk auf diese Weise zu präsentieren?

Deswegen habe ich die Tour ja “Songbook” genannt. Es geht nicht um Albert Hammond, den Sänger. Es geht um Albert Hammond, den Songwriter. Viele Leute wissen nicht, was ich alles geschrieben habe. Deswegen gehe ich auf die Bühne und erzähle, das ich dieses Lied für diesen Künstler geschrieben habe und jenes andere Lied für einen anderen. Das funktioniert. So versuche ich, den Bogen über meinen Katalog zu spannen.

Haben Sie es je bereut, einen Song für jemand anderen geschrieben und nicht selbst aufgenommen zu haben?

Nein! Nein, nein, nein. Ich versinke voller Wonne darin, meine Songs zu hören, gesungen von Diana Ross oder Whitney Houston oder Tina Turner oder Julio Iglesias oder Willie Nelson oder Joe Cocker. Großartige Künstler. Johnny Cash, Roy Orbison. Ich bin einfach nur glücklich, dass meine Songs sie so stark berühren konnten, dass sie sie aufgenommen haben. Ich bin der glücklichste Mensch der Welt, wenn ich das höre. Und jetzt darf ich meine Songs, die andere zu Hits gemacht haben und die die Menschen auf der ganzen Welt deswegen kennen, auch noch selbst live spielen. Das ist ein wundervolles Gefühl. Ich kann den Bogen spannen von Country zu Pop zu Rhythm’n’Blues zu Balladen zu Gospel zu Ich-weiß-nicht-Was (lacht). Das ist Wahnsinn. Diese zwei Stunden auf der Bühne kommen mir wirklich oft nur vor wie eine halbe Stunde. Bei “Songbook” spiele ich knapp dreißig Songs. Mit dem Sinfonieorchester mache ich 22, 23.

Wie fühlt man sich denn, wenn jemand wie Johnny Cash anfragt: “Hey, hast du nicht für mich auch mal einen Song?”

Oh Gott. Man fühlt sich … Ich weiß nicht. Es war, als hätte ich plötzlich Magenschmerzen bekommen (lacht). Na ja, man wird da schon ein bisschen nervös. Da kommen Künstler, weltberühmte Künstler und bitten dich um einen Song, weil sie deine Platten gehört haben und mögen, was du machst. Dieser Respekt, den ich da von ihnen spüre, gibt mir ein sehr gutes Gefühl. Ich hatte einmal beinahe die Chance, mit Neil Diamond einen Song zu schreiben. Am ersten Tag, an dem wir zusammen arbeiteten, hatte ich auf der Heimfahrt einen Autounfall. Danach lag ich fast sechs Monate lang flach. Aber Neil rief mich an und sagte: “Such einfach einen deiner Songs aus, und den mache ich dann.” Ich wählte “Don’t turn around”. Und er hat ihn tatsächlich aufgenommen. Diese Bescheidenheit, dieses Vertrauen, diese Zuneigung eines Kollegen, das macht einen …

… stolz?

Stolz, ja. Man fühlt sich als Teil der Familie. Das ist großartig.

2008 sind Sie in die “Songwriters Hall of Fame” aufgenommen worden. Das ist ja auch ein Grund, stolz zu sein, wenn man mit George Gershwin, Cole Porter oder Lennon/McCartney in eine Reihe gestellt wird.

Oh Gott, ja. Das ist doch unglaublich. Wenn ich mir meinen Song-Katalog anschaue, dann bin ich nicht nur stolz darauf, dass sie mich dort aufgenommen haben, sondern dann habe ich auch das Gefühl, dass meine Songs das verdient haben. Fünf Jahrzehnte voller wunderbarer Hits – und es geht immer noch weiter. Es lässt ja nicht langsam nach. Und es ist nicht so, dass man bei einem meiner Songs erst überlegen muss und dann sagt: Ach ja, ich erinnere mich. Die Lieder haben die Menschen damals berührt und berühren sie noch.

2015 erhielten Sie den hoch dekorierten Ivor-Novello-Award für Ihre „Outstanding Song Collection“.

Auch das hat mich sehr gefreut. Ich nehme diese Auszeichnungen entgegen, genieße den Moment – und lebe dann mein Leben weiter. Denn das muss man machen. Man kann nicht in der Vergangenheit leben. Man muss am Ball bleiben, muss arbeiten, muss Neues entdecken, muss immer darauf bedacht sein, aus sich selbst einen besseren Menschen zu machen.

Aber viele Künstler in Ihrem Alter leben doch von der Vergangenheit. Um nicht zu sagen: in der Vergangenheit. Die haben seit zwanzig, dreißig Jahren keinen einzigen neuen Song aufgenommen.

Aber so bin ich nicht. Ich habe gerade erst einen neuen Song aufgenommen. Es ist ein Lied über jemanden, der nie damit gerechnet hätte, dass ihn mal jemand besingt. Es ist ein Lied für die Iren, benannt nach ihrem Schutzheiligen. Es heißt “Hey, Saint Patrick”. Alle, die ihn bisher gehört haben, lieben den Song. Jetzt müssen wir mal sehen, wann und wie wir den herausbringen.

Sie haben mal gesagt, Sie möchten nicht auf der Couch sterben, die Fernseh-Fernbedienung in der Hand haltend…

Ja, das stimmt (lacht). Deswegen mache ich ja, was ich mache. Ich würde lieber auf der Bühne sterben, mitten in einer Tour.

Wie viele Jahre wird Ihre Energie dafür noch reichen?

Das ist eine lustige Sache. Wissen Sie, zwei Tage vor diesen Symphonie-Konzerten in Wuppertal hatte ich diese Darm-Geschichte, eine sehr schmerzhafte Colitis. Aber ich habe die beiden Shows gespielt. Während ich auf der Bühne war, kam so ein unglaublicher Schwall von Adrenalin, dass ich überhaupt keine Schmerzen mehr spürte. Und ich dachte bei mir: Schau an, Musik kann sogar die Schmerzen von dir nehmen. Noch ein Beispiel: Neulich kam eine Frau zu mir und bat mich um ein Autogramm. Die Frau weinte. Ich fragte sie, warum sie denn weine. Sie antwortete: “Vor zwei Monaten haben sie meinen Sohn in Las Vegas umgebracht. Ich konnte einfach nicht darüber hinwegkommen, ich weinte den ganzen Tag. Aber eben, bei Ihrem Konzert, habe ich alles um mich herum vergessen. Ihre Musik hat es geschafft, dass ich mich endlich besser fühle.” Das zu hören, ist doch eine großartige Belohnung für einen Künstler. Ich konnte durch meine Musik jemandes Schmerz lindern. Das bestätigt mich wieder in meiner Überzeugung: Es gibt mehr als diese Welt, auf der wir leben, und das Universum da draußen. Ich denke, wir sind Teil von etwas Größerem. Deshalb sind wir nie allein.

Sie glauben also, Musik hat eine Heilkraft – für Sie selbst und für andere?

Absolut! Denken Sie doch nur an die Sklaven: Die sangen auf den Feldern, nur so konnten sie ihr Elend ertragen. Musik ist überall. Wenn der Wind durch die Baumwipfel streicht, das ist Musik. Wenn auf hoher See die Wellen brechen, das ist Musik. Man muss einfach nur hinhören. Musik ist Leben. Musik ist die eine Sprache, die wir alle verstehen. Wir können ein Liedchen pfeifen, singen, summen, oder nur fühlen. Es wird uns anfüllen mit einer heilenden Kraft. Ich bin überzeugt, dass Musik eine Heilwirkung hat.

Dann freuen wir uns also darauf, am 20. Juli in Kulmbach von Ihren Songs geheilt zu werden.

Sehr gerne (lacht). Ich freue mich schon sehr auf dieses Konzert auf der Burg.

Albert Hammond live

Am 20. Juli um 20 Uhr tritt Albert Hammond beim Plassenburg-Open-Air in Kulmbach auf. Karten dafür gibt es im Ticketshop unserer Zeitung.

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