Wie viel Zeit verbringen Sie in Berlin?
Im Schnitt etwa zehn Wochen pro Jahr. Wir haben uns vor kurzem sogar eine Wohnung gekauft, eine ziemlich große sogar, mit einem kleinen Studio drin.
Sie und Neil Tennant leben in einer WG?
Ja! Wir wollten endlich eine eigene Bleibe haben. Unser Freund, der Fotograf Wolfgang Tilmans, hat eine ganz ähnliche Wohnung. Gut hundert Jahre alt, mit einem „Berliner Zimmer“ in der Mitte. Das war ganz schön schwierig und hat lange gedauert, überhaupt eine Wohnung in Berlin zu ergattern. Und ja, während wir in London an entgegengesetzten Enden der Stadt leben und uns meist in der Mitte treffen, wohnen wir in Berlin zusammen und verbringen auch unsere Freizeit gemeinsam.
Was treiben Sie so?
Wir haben Fahrräder, mit denen radeln wir gerne im Tiergarten. Besonders herrlich ist natürlich der Sommer. Im Sommer ist in Berlin alles toll. Wir sind dann viel draußen mit unseren Rädern, entweder in den Wäldern oder an den Seen im Umland, den Schlachtensee mögen wir besonders gern, denn der hat die perfekte Größe, Wir haben im Sommer ein sehr vergnügliches Leben in Berlin.
Fahren Sie mit den Rädern von der Innenstadt bis an die Seen?
Nein, wir nehmen die Bikes mit in die Bahn. Ein Auto haben wir in Berlin nicht, brauchen wir auch nicht. Die Bahn ist top. Wir haben in unserem Stück „„Will-O-The-Whip“ sogar die Ansagen aus der U1 eingebaut. Die U1 ist total der Party-Zug, er führt vom Westen, wo wir wohnen, bis nach Friedrichshain, wo die Leute feiern.
Die Berliner schimpften oft über ihre Stadt, viele finden sie unpraktisch und siffig. Sie sehen das anders, oder?
Komplett. Berlin ist so ein offener Ort. In London ist es undenkbar, dass die Leute mit Bierflaschen in der Tube sitzen. Aber in Berlin geht alles. Wir mögen es, wenn es nicht so viele Regeln gibt. Berlin ist das totale Gegenteil zu München, dieser extrem sauberen und aufgeräumten Stadt. Die Leute in Berlin sind anarchisch und teilweise auch echt bekloppt. Wie die parken! Auf dem Bürgersteig, mitten auf der Straße, einfach überall (lacht).
Sie haben „Hotspot“ auch in Berlin aufgenommen, und zwar in den berühmten „Hansa Studios“ am Potsdamer Platz.
Ja. Wir wollten die Platte in Berlin machen, und da kamen uns die Hansa Studios wegen der großen Geschichte, wegen David Bowie, Brian Eno, Depeche Mode, in den Sinn. Zudem liegen dort all diese phantastischen analogen Keyboards herum, die wir alle genutzt haben. Der ganze Sound ist viel dichter, wärmer und analoger als wenn wir zum Beispiel in Los Angeles aufgenommen hätten.
Zu welcher Jahreszeit waren Sie im Studio?
Im Winter. In den Pausen sind wir oft auf den Weihnachtsmarkt gegangen und haben Thüringer Würste gegessen.
Sie geben auf den neuen Liedern ordentlich Gas. Sollte „Hotspot“ eine dynamische Disco-Platte werden?
Nun, Dance Music und elektronische Musik prägen uns seit jeher. Wir haben traditionell ein Faible für Euphorie und kombinieren diese gern mit schönen Melodien und interessanten Texten. So auch dieses Mal. Einen wichtigen Anteil an der Energie des Albums hatte unser Produzent Stuart Price. Stuart ist ein Disco-Kid, er liebt es, mit Streichern, Bässen und allgemeiner Ausgelassenheit zu arbeiten.
„Hotspot“ klingt nach klassischen Pet Shop Boys. Macht es Ihnen Spaß, zeitlosen Pop mit modernen Sounds zu vermengen?
Das geschieht automatisch. Diese Kombination steckt tief in unserer DNA. Schütte noch ein Tütchen Melancholie dazu, dann hast du alles beisammen. Wir denken darüber gar nicht mehr nach.
Eine der Uptempo-Nummern heißt „Happy People“. Diese leben, so der Text, in einer traurigen Welt. Was dachte sich Neil bei diesen Zeilen?
Es geht um das Spannungsverhältnis zwischen uns und der Welt. Neil und ich sind weitgehend glückliche und optimistische Gesellen. Zugleich scheint die Welt so missmutig geworden zu sein, trauriger als früher. Manchmal übermann einen dieses Gefühl der Niedergeschlagenheit, und zwar umso stärker, je mehr Zeit du an deinem Handy verbringst. Ohne Pause informiert es dich darüber, was wieder Schreckliches passiert ist, das schafft und überfordert dich. Früher dominierte das Weltgeschehen dein Leben nicht annähernd so wie heute. Du hast dir abends um 10 Uhr die Nachrichten angeguckt und wusstest Bescheid.
Auch die Ballade „Hoping For A Miracle“ handelt von dieser Mischung aus Verzweiflung und Hoffnung.
Ja. Wir warten immer noch darauf, dass irgendeine Lichtgestalt uns aus der selbstverursachten Misere holt. Aber wir werden wohl vergeblich warten.
Ende Januar steht der Brexit auf dem Programm.
Und das Komische ist: Er kümmert niemanden mehr. Das ist alles eine höchst unangenehme, unnötige Geschichte, aber man scheint die Situation akzeptiert zu haben. Jedenfalls lese ich nichts mehr vom Chaos an den Grenzen, von fehlenden Lebensmitteln oder Medikamenten. Meine Vermutung ist, dass wir nicht viel von diesem Brexit spüren werden, zumindest vorerst nicht.
Ist „Dreamland“, auf dem Olly Alexander von Years & Years mitsingt, Ihre Hymne auf eine bessere Welt?
Der Text ist relativ konkret und beschäftigt sich mit den Ängsten und Träumen der Flüchtlinge aus Syrien und anderswo. Diese Menschen sind dem Schrecken entfleucht und auf der Suche nach einem Umfeld, in dem sie sich sicher und aufgehoben fühlen können. Aber das ist für sie schwer zu erreichen.
Als „Hotspot“ bezeichnet man die elenden großen Flüchtlingslager, etwa in Griechenland.
Lowe: Das stimmt, aber das war uns noch nicht klar, als wir das Album betitelten. „Hotspot“ ist ein wunderbar altmodischer Begriff für einen angesagten Ort, und während des Kalten Krieges war Berlin der Hotspot der Welt. So einfach ist das.
Sie und Neil wirken zusammen immer so sympathisch stoisch. Ist das eigentlich eine Masche?
Gott ja, das ist unsere Aura. Wir lachen sehr viel zusammen, wir haben unglaublich viel Spaß. Vor allem auch mit Stuart Price, er ein wirklich überschwänglicher Bursche ist. Im Studio verbringen wir mehr Zeit quatschend und lachend als mit Musikmachen. Die Grundstimmung der Pet Shop Boys ist eine furios gut gelaunte.
Sie kennen sich seit ungefähr 40 Jahren. Wie sehr ähnelt Ihr Verhältnis dem eines alten Ehepaares?
Bleiben verheiratete Paare denn überhaupt so lange zusammen wie wir? Nicht viele, oder? Das mit uns ist allerdings eher eine Freundschaft als eine Ehe. Wir mögen uns, aber wir haben keinen Sex. Okay, manche Ehepartner vielleicht auch nicht. Jedenfalls: Die Basis unserer Beziehung ist die Musik. Und wir lieben beide gute Essen. Ständig probieren wir neue Restaurants aus.
Gerade in der Anfangszeit der Pet Shop Boys dürften viele gedacht haben, ihr wärt ein Paar. Hat Sie das je gestört?
Nein, warum sollte es? Aber wir waren nie ein Paar. Wir haben ein Verhältnis wie Mick Jagger und Keith Richards. Oder wie Paul McCartney und John Lennon – obwohl, die haben sich ja irgendwann zerstritten. Dadurch, dass wir nur zu zweit sind, ist es einfacher, zusammenzubleiben. In einer Band gibt es automatisch mehr Spannungen, weil mehr Leute involviert sind.
Der letzte Song auf „Hotspot“ heißt „Wedding In Berlin“. Ein wildes Techno-Stück, das den Hochzeitsmarsch von Mendelssohn Bartholdy aufgreift und dessen Refrainzeile „We are getting married, because we love each other“ lautet. Wieviel Ironie steckt in dem Lied?
Gar keine! „Wedding In Berlin“ haben wir als Hochzeitssong für einen guten Freund geschrieben. Wir pressten genau ein Vinyl-Exemplar und schenkten es den beiden. Das Lied bildet einen schönen Abschluss unserer Berlin-Abenteuer-Platte. Wenn du es hörst, stellst du dir vor, die Hochzeit hätte im Berghain stattgefunden.
Die Pet Shop Boys auf Tour
Die Synth-Pop-Band geht auf „Dreamworld – The Greatest Hits Live“-Tour und tritt am 19. Mai um 20 Uhr in der Olympiahalle in München auf. Karten gibt es in unserem m Ticketshop.