Veranstaltungstipps Matthias Reim: "Ich bin der coolste Daddy der Welt"

Das Gespräch führte Steffen Rüth

Matthias Reim hat den Schlager-Deutschrock der letzten drei Jahrzehnte maßgeblich mitgepräg. Im Sommer geht er mit neuen Songs auf Tour.

 
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 Foto: Mischa Lorenz

Herr Reim, ist der Titel „MR20“ in einem Anflug von leichtem Größenwahn von Cristiano Ronaldos Kürzel „CR7“ inspiriert?
Nee, auch wenn das eine gute Geschichte wäre (lacht). Mir ist einfach nur kein besserer Name für mein zwanzigstes Album eingefallen.

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Der neue Song „Hauptstadt“ ist ein Loblied auf Berlin. Was schätzen Sie an der Stadt?
Berlin ist für mich mit Abstand die geilste Stadt Deutschlands. Ich möchte hier trotzdem nicht wohnen. Ich bin ein Kleinstadtjunge und fühle mich am Bodensee extrem wohl. In Berlin laufe ich am liebsten einfach in der Gegend herum und genieße das Durcheinander an unterschiedlichsten Leuten. In Berlin kann jeder sein, wie er will, das finde ich cool. Ich mag auch den Menschenschlag als solchen, was unter anderem daran liegt, dass meine Mutter in Berlin aufgewachsen ist.

Werden Sie nachher noch um die Häuser ziehen?
Heute nicht mehr. Der Tag war lang. Gleich kommen noch zwei Freunde vorbei, und ich werde drei Bier trinken, von 22 Uhr bis um halb 12. Dann gehe ich schlafen.

Das wissen Sie jetzt schon so genau?
Ja, ich habe meine festen Rituale. In meinem Job bist du viel alleine und langweilst dich. Es gibt genug Kollegen, die dem Alkohol verfallen sind. Durch strenge Stundenpläne meinerseits konnte ich das immer vermeiden.

Welche Rituale sind Ihnen heilig?
Ich gehe abends zum Beispiel sehr ungerne essen, das mache ich jetzt nur aus Vernunftgründen. Zuhause schmiere ich mir abends ein Salamibrot. Essen macht müde, und ich bin lieber topfit. Daheim in Stockach am Bodensee esse ich mittags, mache abends von halb acht bis halb neun Sport in meiner privaten Muckibude, gehe nochmal arbeiten bis etwa um 23 Uhr, kraule zum Runterkommen ein paar Bahnen in meiner Schwimmhalle, dusche – und dann gehe ich an meinen beleuchteten Kühlschrank und nehme mir mein erstes und einziges Bier des Tages raus.

Sind Sie insgesamt ein Abendmensch?
Ja. Aufstehen um 10, frühstücken um 11, abends nicht vor 2 Uhr ins Bett. Das ist mein Rhythmus.

Und Ihre Freundin?
Hat sich sehr schnell daran gewöhnt. Es bleibt ihr auch nichts anderes übrig, denn in dieser Frage bin ich dominant. Ich lasse mich auf nichts anderes ein. Ich kenne mich und meinen Körper. Als ich vor vier Jahren mit meinen Herzbeschwerden ein bisschen darniederlag, hat mir mein Arzt gesagt, ich solle jetzt bloß nicht auf die Idee kommen, Frühaufsteher zu werden, nur weil ich in der Reha zwei Wochen lang früh raus bin. Jedenfalls ist meine Lebensgefährtin zwei Stunden vor mir auf und leider auch mindestens eine Stunde vor mir müde. Wenn ich um 1 Uhr plötzlich meinen Sabbelflash kriege, geht sie schon mal ins Bett.

Schlagerhören war Hochverrat“ singen Sie in Ihrer nostalgischen Jugenderinnerungsnummer „Deep Purple und Led Zeppelin“.
Ja, das war es wirklich. Zumindest in meinen Kreisen. Wenn Besuch kam, habe ich meine Stefan-Waggershausen-Platten unterm Bett versteckt. Heute ist Schlager gesellschaftlich völlig akzeptiert und normal. Das Publikum, das früher mit mir zu Pink Floyd gegangen war, steht jetzt bei den Schlagernächten und findet es dufte. So etwas wäre vor dreißig Jahren undenkbar gewesen. Hinzu kommt, dass auch der Schlager durch Leute wie Helene Fischer und selbst Andrea Berg einen Entwicklungssprung gemacht hat.

Auf „MR20“ experimentieren Sie mit Classic Rock und Synthesizern, „Stärker“ klingt nach Irish Folk, und „Karma“ hat der Rapper Eko Fresh geschrieben. Sind Sie ein Schlagersänger für Leute, die eigentlich lieber etwas anderes hören?
Das ganze Album ist meine Quadratur des Kreises. Ich muss und will der Matthias Reim von vor dreißig Jahren bleiben, der mit „Verdammt, ich lieb‘ Dich“ durch die Decke gegangen ist. Aber ich muss auch nach einer ständigen Erneuerung suchen, sonst kommt bald keiner mehr. Anders und gleichzeitig derselbe bleiben, das erfordert eine Menge Gefühls- und Kopfarbeit.

Was war damals das Geheimnis von „Verdammt, ich lieb‘ Dich“, mit dem Sie vier Monate die Nummer-Eins-Single in Deutschland hatten?
Ich habe mir nicht reinreden lassen. Die Leute sagten mir, der Song würde nicht funktionieren. Aber wenn du auf andere hörst, verlierst du jede Freiheit und künstlerische Unabhängigkeit. Auch bei „MR20“ habe ich mir nichts sagen lassen und alles so gemacht, wie ich es für richtig halte. Ich habe mich auf meinen Instinkt verlassen und meine Art, Geschichten zu erzählen. Und ich wollte keinesfalls auf Gitarren verzichten.

„Deep Purple und Led Zeppelin“ ist ja eher eine Rocknummer.
Absolut. Ich war und bin ein Rocker. Selbst meine Hits basieren mehr auf Rock- als auf typischen Schlagerharmonien. „Deep Purple“ kann zu einer echten Hymne werden. Die Idee hatte ich wie so oft ganz spät abends, alle anderen waren schon im Bett, und ich saß in meinem Herrenstübchen und geriet in so einen musikalischen Erinnerungsrausch. Ich hörte mir alte Platten von The Who an und hatte plötzlich meinen alten VW Käfer und den R4 von meiner Freundin wieder vor Augen. Das war Wahnsinn. Ich nahm meine Gitarre und schrieb auf, was mir einfiel. Als ich fertig war, dachte ich „Das ist einer der schönsten Songs meines Lebens“.

Haben Sie wirklich in dem rostigen R4 Ihrer Freundin geknutscht, so wie in dem Lied beschrieben?
Ja, und es war saukalt. Ich habe mir dabei den Arsch abgefroren. Das war schon schön. Wenig später habe ich mir einen VW Bus gekauft und zu einer Art fahrendem Liebesnest ausgebaut. Das war bequemer.

Die Frauen haben in Ihrem Leben seit jeher eine große Rolle gespielt, kann man das sagen?
Naja, so wie bei den meisten anderen auch, oder? Ich war immer auf der Suche nach der ewigen und endlosen Liebe. Dabei bin ich ein paar Mal aufs Maul gefallen. Das war aber nicht schlimm, denn so hatte ich immer genug Stoff für meine Songs.

Aus Ihrer Erfahrung: Wann ist es besser, eine Beziehung zu beenden?
Ich kann kein Glück schenken, wenn ich selbst unglücklich bin. Manchmal habe ich Entscheidungen getroffen, die mir aber selbst meist noch weher taten als denen, die es erwischt hat. Ich war immer ehrlich zu mir und zu den Partnerinnen. Ich glaube an das Recht, glücklich lieben zu dürfen.

Wie ist der Stand heute, mit der 30-jährigen Kollegin Christin Stark?
Ich bin sehr zufrieden und glücklich. Ich hoffe, dass es diesmal für immer ist. Vor zwei Jahren haben wir uns sogar ein gemeinsames Tattoo stechen lassen. Ein Herz, eine Musiknote, ein Anker, sehr schön. Meins ist groß, ihres kleiner, sie hat ja auch einen schmaleren Arm als ich.

Sie haben sechs Kinder von fünf Frauen. Wollen Sie nochmal Vater werden?
Ich selbst brauche das ganz bestimmt nicht mehr. Etwas in mir schreit „Um Himmels willen“. Auf der anderen Seite liebe ich meine Lebensgefährtin, und sie hat schon hin und wieder angeklopft, ob ich mir ein Kind wirklich nicht vorstellen könnte. Denn wenn ich irgendwann gehe, hat sie bestimmt noch fünfzig Jahre ohne mich, und ein Blick in meine Augen auch im Alter wäre für sie wunderschön.

Ergo?
Ich denke darüber nach. Ich kann ihr nicht verwehren, was ich fünf oder sechs Mal (von seinem sechsten Kind erfuhr Reim erst Jahrzehnte später, d. Aut.) erlebt habe. Ich genieße das Leben mit den Kids wirklich. Vor kurzem waren sie in den Herbstferien bei mir.

Wie sind Sie als Vater?
Entspannt. Ich bin der coolste Daddy der Welt. Ich bin sogar ein bisschen verantwortungslos und lasse mich immer wieder um den Finger wickeln. Die Kinder wissen genau, dass ich so gut wie gar nicht nein sagen kann. Während der Zeit mit Papa ist Open House für jeden Scheiß. Die sagen selbst, dass sie mich total ausnutzen.

Sie singen mit Ihrer Ex-Partnerin Michelle, mit der Sie die 19-jährige Tochter Marie haben, in „Nicht verdient“ davon, dass sie eigentlich noch immer das perfekte Paar sind. Warum?
Weil wir es witzig finden, dass die Leute so viele Jahre nach unserer Trennung immer noch spekulieren, ob wir nicht mal wieder zusammenkommen. Werden wir natürlich nicht. Aber wir verstehen uns sehr gut und kokettieren gern mit dem Gedanken. Trotzdem lebe ich heute ein ganz anderes Leben als Michelle.

In „Eiskalt“ singen Sie das schöne Wort „hackedicht“. Was verbinden Sie damit?
Viele kennen den Begriff gar nicht mehr. Ein Wort aus meiner Jugend – und ein Zustand, den ich nur aus der Jugend kenne.

Sind Sie heute nie hackedicht?
Nein. So richtig sturzbetrunken war ich sowieso nur einmal in meinem Leben. Da war ich 14. Es war so furchtbar. Ich lag danach drei Tage lang im Krankenhaus.

Bitte erzählen Sie?
Das war meine erste Party, mein erstes Mal Alkohol überhaupt. Ich war vor allen anderen dort und trank ganz allein ein Wasserglas voll mit Rum. Ich dachte, ich bin erwachsen, ich kann das mal probieren. Dann kam mein älterer Bruder mit seinen Kumpels, ich sagte „Hi“, und fiel um. Den Teppich habe ich der Gastgeberin auch noch vollgekotzt. Seitdem habe ich Angst, die Kontrolle zu verlieren, zu wanken oder zu lallen. Gott sei Dank, denn ich habe viele Kollegen im Alkohol untergehen sehen. Was allerdings sein muss: Mein Beruhigungsbier vor jedem Konzert. Ich habe es mal mit Tee versucht, aber die unterbewusste Versagensangst geht tatsächlich nur mit einem Bier weg.

Matthias Reim auf Tour

Der Sänger geht auf „Open Air 2020“-Tour und gastiert am 11. September um 19.30 Uhr im Serenadenhof in Nürnberg. Karten gibt es im Ticketshop unserer Zeitung.