Auch innerhalb der Niederlande haben sich Grenzen beständig verschoben. Die Zahlen steigen: 2022 kamen 8.720 Menschen durch aktive Hilfe von Ärzten zu Tode. Das entspricht einem Anstieg von 13,7 Prozent zu 2021. Insgesamt entfielen 2022 rund 5,1 Prozent aller 169.938 Sterbefälle auf Tötung auf Verlangen (2021: 4,6 Prozent).
Kommt die aktive Sterbehilfe bald auch in Deutschland?
Auch die Diagnosen haben sich ausgeweitet: So ist laut Gesetz aktive Sterbehilfe nur bei schweren, unheilbaren und unerträglichen Krankheiten zugelassen. Inzwischen akzeptieren Ärzte jedoch auch „Lebensmüdigkeit“ oder Altersgebrechen als Grund. Laut einem Urteil des Obersten Gerichtshofs von 2020 ist die Tötung von schwer dementen Patienten sogar dann zulässig, wenn sie zuvor eine entsprechende Patientenverfügung formuliert haben, aber sich zum Zeitpunkt der geplanten Tötung gegen die Todesspritze wehren.
Das mit Abstand häufigste Leiden für den Todeswunsch war 2022 eine Krebserkrankung (57,8 Prozent). Besonders starke Anstiege gab es bei zwei Gruppen: So wurden 288 demenzerkrankte Menschen getötet - ein Plus von 34 Prozent gegenüber 2021. Ebenfalls überdurchschnittlich gestiegen ist die Zahl der Getöteten mit einer „Häufung von Altersbeschwerden“ (plus 23,5 Prozent).
Aus Sicht des Vorstandsvorsitzenden der Deutschen PalliativStiftung, Thomas Sitte, ist die Ausweitung der aktiven Sterbehilfe auf Kinder eine inakzeptable Entscheidung - aber zugleich folgerichtig. Auch in Deutschland rechnet Sitte wegen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Suizidbeihilfe über kurz oder lang mit der Zulassung der aktiven Sterbehilfe.
Warnungen vor schleichender Gewöhnung an „organisierte Tötung“
Der Palliativmediziner hat selbst von Eltern seiner kleinen Patienten verzweifelte Bitten auf Sterbehilfe gehört: „Eine Tötung dieser Kinder war niemals notwendig“, unterstreicht er aber. „Es war immer als Lösung möglich, eine künstliche Lebenserhaltung nicht fortzuführen und vorhandenes Leiden palliativ zu lindern.“
Auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz sieht Warnungen vor einer schleichenden Gewöhnung als bestätigt an. „Die Niederlande zeigen, dass sich eine Gesellschaft mit der organisierten Tötung von Menschen arrangieren kann“, sagte Vorstand Eugen Brysch der KNA. Zugleich sei das Nachbarland bei der Versorgung mit Hospiz- und Palliativdiensten für Kinder schlecht aufgestellt.