Vor 5,6 Millionen Jahren: Salzkoloss und Mega-Flut Als das Mittelmeer austrocknete und zum Salzrisen wurde

Markus Brauer

Das Mittelmeer ist heute eines der am stärksten belasteten Ökosysteme der Welt. Es ist nicht die erste mediterrane Katastrophe: Vor 5,6 Millionen Jahren trocknete fast das ganze Mittelmeer aus. Statt Wasser türmten sich Salzablagerungen auf. Mit dramatischen Folgen für die Artenvielfalt, wie eine neue Studie zeigt.

 
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Meeressedimente mit zahlreichen Mikrofossilien aus dem späten Miozän, vor etwa 8 bis 7 Millionen Jahren. Fisch-Otolithen, Muschel- und Schneckenschalen, Moostierchen und mikroskopische Muscheln zeugen von der Anwesenheit zahlreicher Organismen in diesem Gebiet. Foto: Konstantina Agiadi

„Mare Mediterraneum“ – Mittelmeer. Das Nebenmeer des Atlantischen Ozeans, das nur durch den schmalen Korridor der Straße von Gibraltar mit den Ozeanen verbunden ist, ist heute eines der am stärksten belasteten Ökosysteme der Welt. Der Klimawandel und die damit einhergehenden Hitzewellen und Erwärmung des Meeres verschärfen die Probleme.

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Mittelmeer – Hotspot des Klimawandels

Der Mittelmeerraum, der in den zurückliegenden Jahren von Hitzewellen und Waldbränden heimgesucht wurde, ist von Wissenschaftlern zu einem der Brennpunkte des Klimawandels erklärt worden. Menschen, Tiere und Natur, aber auch ganze Wirtschaftszweige in Südeuropa, Nordafrika und Nahost sind durch den Klimawandel bedroht.

Der Weltklimarat IPCC, der regelmäßig den umfangreichsten Bericht über die Erderwärmung vorlegt, beschreibt folgende fünf Gefahren:

  • Tödliche Hitzewellen
  • Bedrohte Ernten
  • Wasserknappheit
  • Anstieg des Meeresspiegels
  • Erwärmung und Versalzung

Zurück in die Vergangenheit

Ein Wissenschaftlerteam von der Elite-Universität Stanford im US-Bundesstaat Kalifornien ist vom Heute in eine ferne Vergangenheit zurückgereist. Vor rund 5,5 Millionen Jahren erlebte das Mittelmeer nach der Abtrennung vom Atlantik eine ökologische Krise ungeheuren Ausmasses.

Eine im Fachmagazin „Science“ veröffentlichte Studie unter der Leitung von Konstantina Agiadi von der Universität Wien hat erstmals beziffert, wie tiefgreifend und langandauernd der daraus folgende Verlust an Artenvielfalt war: Nur 11 Prozent der damals ausschließlich im Mittelmeer heimischen Arten überlebten die Krise. Bis zur Erholung der Biodiversität dauerte es mehr als 1,7 Millionen Jahre.

Die Illustration zeigt das fast ausgetrocknete Mittelmeer während der messinischen Salinitätskrise vor rund 5,5 Millionen Jahren. Foto: © Paubahi/CC-by-sa 3.0

Salzriese unter dem Mittelmeer

Die Bewegungen der Erdkruste haben im Laufe der Erdgeschichte immer wieder zur Abtrennung großer Meeresgebiete von den Ozeanen und damit zur Versalzung und Bildung massiver Salzablagerungen geführt.

Konstantina Agiadi an der Küste von Laganas auf Zakynthos, Griechenland, wo das Ende der Messinischen Salinitätskrise sich in den Ablagerungen zeigt. Foto:  © Konstantina Agiadi/dpa

Forscher haben so genannte Salzriesen – Salzablagerungen von Tausenden Kubikkilometern – unter anderem in Europa, Australien, Sibirien oder dem Mittleren Osten entdeckt. Sie stellen eine wertvolle natürliche Ressource dar, die bis heute in Bergwerken abgebaut wird, beispielsweise in Hallstatt oder auch in der Khewra-Salzmine in Pakistan.

Auch unter dem Mittelmeer befindet sich ein solcher Salzriese, der in den frühen 1970ern entdeckt wurde. Diese Kilometerdicke Salzschicht bildete sich vor etwa 5,5 Millionen Jahren nach der Trennung des Mittelmeers vom Atlantik während der Messinischen Salinitätskrise.

Enorme Auswirkungen auf die biologische Vielfalt des Mittelmeers

Nach jahrzehntelanger Forschung an 12 bis 3,6 Millionen Jahre alten Fossilien aus den an das Mittelmeer angrenzenden Staaten sowie aus Tiefsee-Bohrkernen, zeigte sich, dass sich die Zusammensetzung der Arten nach der Isolierung des Mittelmeers erheblich veränderte:

67 Prozent der zuvor im Mittelmeer heimischen Arten tauchten nach der Krise nicht mehr in den Proben auf.

Nur 86 von 779 endemischen Arten – Arten, die vor der Krise ausschließlich im Mittelmeer lebten – überlebten die rasante Veränderung der Lebensbedingungen nach der Trennung vom Atlantik.

Das Ende der Messinischen Salinitätskrise vor ca. 5,3 Millionen Jahren ist durch eine deutliche Veränderung der am Mittelmeerboden abgelagerten Sedimente, hier in der Gegend von Pissouri auf Zypern, gekennzeichnet. Foto: © Konstantina Agiadi/dpa
Abguss einer Muschelschale aus einem 6,5 Millionen Jahre alten Sediment auf Kreta (Griechenland). Das Forschungsteam analysierte das Vorkommen von Organismen wie diesem, um ihre umfassende Analyse zu vervollständigen. Foto: © Konstantina Agiadi/dpa

Großer Teil der damaligen Mittelmeerarten verendete

Die veränderten Übergänge zwischen Atlantik und Mittelmeer, aufgrund derer auch der Salzriese entstand, führte zu starken Schwankungen des Salzgehalts und der Temperatur. Sie beeinflussten aber auch die Wanderungen der Meeresorganismen, die Ströme von Larven und Plankton und störte so zentrale Prozesse des Ökosystems.

Infolge dieser Veränderungen starb ein großer Teil der damaligen Mittelmeerarten, darunter auch tropische Riff-bildende Korallen, aus. Nach der erneuten Verbindung mit dem Atlantik und der Invasion neuer Arten wie dem Weißen Hai und der Delfine, erholte sich die Biodiversität im Mittelmeer. Die Zahl der Arten nahm von Westen nach Osten ab, wie dies auch heute der Fall ist.

Dieser fossile Schädel stammt von einem urzeitlichen Pottwal, der bis zur Salinitätskrise im Mittelmeer vorkam. Als das Meer austrocknete, starb Zygophyseter varolai aus. Foto: © Giovanni Bianucci/Chiara Sorbini

Erholung dauerte länger als erwartet

Da Nebenmeere der Ozeane wie das Mittelmeer wichtige Hotspots der Biodiversitäts sind, war es sehr wahrscheinlich, dass die Salinitätskrise sich stark auswirkte. Bisher war dies jedoch noch nicht quantifiziert worden. „Unsere Studie stellt die erste statistische Analyse einer so großen ökologischen Krise dar“, erklärt Konstantina Agiadi.

Und noch etwas enthüllten die Auswertungen: Obwohl das Mittelmeer wahrscheinlich innerhalb weniger Monate bis Jahre wieder vollgelaufen war, dauerte die ökologische Erholung weit länger. „Die Biodiversität in Bezug auf die Artenzahl erholte sich erst nach mehr als 1,7 Millionen Jahren“, berichtet Agiadi. Nur sehr langsam stabilisierten sie sich die Bedingungen so weit, dass sich die wenigen verbliebenen Mittelmeerarten wieder ausbreiten und die Neuankömmlinge Fuß fassen konnten.

Zu den Neuankömmlingen nach der großen Flut gehörte auch der ausgestorbene Gründelwal Casatia thermophila und die Seekuh Metaxytherium subapenninum. Foto: © Alberto Gennari

Nur eine von vielen maritimen Katastrophen

„Die Ergebnisse werfen eine Reihe neuer spannender Fragen auf“, betont Seniorautor Daniel García-Castellanos von Geosciences Barcelona (CSIC). „Wie und wo haben elf Prozent der Arten die Versalzung des Mittelmeers überlebt? Wie haben frühere, noch größere Salzformationen die Ökosysteme und das Erdsystem verändert?“

Denn so schwerwiegend die Salinitätskrise des Mittelmeeres auch war: Ähnliche, teilweise noch größere Krisen hat es im Laufe der Erdgeschichte in mindestens 138 weiteren Meeresbecken gegeben, wie das Forscherteam schreibt.