Waldemar Kuhn Der Künstler und seine Spuren

Wolfgang Aull
Die Weltkugel bei dem Regiomontanus Gymnasium in Hassfurt: „Ein Weltbild zerbricht, ein Neues entsteht.“ Das Werk fordert heraus, ermuntert, über den eigenen Beitrag an der Gestaltung des „Neuen“ nachzudenken“. Foto: Salome Scholtens

In diesem Jahr hätte der Künstler Waldemar Kuhn seinen 100. Geburtstag feiern können. Wir blicken zurück auf sein Leben und sein Wirken.

 
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Lange Haare, eigenwillige Denkweise, geschickte Federführung. So haben viele Schüler des Regiomontanus-Gymnasiums ihren ehemaligen Kunstlehrer Waldemar Kuhn in Erinnerung. Heuer wäre der in Westheim geborene Bildhauer, Künstler und Pädagoge 100 Jahre alt geworden. Während an manchen seiner Werke in der Region deutlich der Zahn der Zeit nagt, wird er in Emmerich am Niederrhein mit einer Ausstellung gewürdigt.

Als zweites von fünf Kindern 1923 in einen landwirtschaftlichen Betrieb hineingeboren, weckte Kuhn bereits als Kind den Unwillen seines Vaters, indem er, statt bei der Feldarbeit zu helfen, am Rande des Ackers herumsaß und Figuren aus Lehm formte. Doch bei den Gästen des Hauses konnte der kleine Waldemar punkten, indem er sie mit konzentriertem Blick und geschickter Hand treffsicher porträtierte. Eines Tages sprach der Dorfschullehrer erfolgreich mit dem Hausherren: „Alfred, besorge dem Bua ein paar Schnitzeisen“. Folgerichtig erlernte er nach dem Schulabschluss in Schweinfurt die Bildhauerkunst.

Der 19-Jährige wurde zur Wehrmacht einberufen, machte eine Ausbildung zum Piloten und wurde in Nordafrika eingesetzt. Obwohl die Fliegerei seine Leidenschaft war und ihn zeitlebens begleiten sollte, fand er die Kriegsgeschehen „ganz schrecklich“. Eines seiner Werke, das „Schrottkreuz“ in der Heilig Geist Kirche in Emmerich, spiegelt sein Entsetzen über das Erlebte wider. Während der Gefangenschaft in Frankreich fand er künstlerische Anregungen und Freunde, zu denen er lebenslange Kontakte pflegte.

Kuhns künstlerische Ambitionen waren in Frankreich gewachsen, 1948 begann der gläubige Katholik ein Studium in München, „Meisterklasse Kunst“. Er wechselte später zur Werkkunstschule in Köln und danach nach Düsseldorf. Gemeinsam mit seiner Frau Margarete, einer Studienfreundin aus der „Kölner Zeit“, ließ er sich danach in ihrer Heimat Emmerich am Niederrhein nieder.

Kunstpreis 1955 von der Stadt Krefeld

Dort erwarb er sich in kurzer Zeit den Ruf eines gefragten und anerkannten Bildhauers und Künstlers. Als „ganz große Anerkennung“ bezeichnet seine Tochter Salome die Verleihung des Kunstpreises der Stadt Krefeld im Jahre 1955 für eine Madonna aus Bronze. Die Familie pflegte ein offenes Haus, Freunde waren stets willkommen, er lernte Joseph Beuys kennen und Herman de Vries kam zu Gast. Er war provokant, liebte die Freiheit und Offenheit im Gespräch. Dies kam nicht überall gut an, so manch besorgte Eltern rieten ihren Sprösslingen: „Bloß net zum Kuhn geh`n“.

Der Kontakt zu seiner Heimat riss niemals ab. Eines Tages im Jahre 1970 kam er mit der Information nach Hause: „Des Neuhäusle wird verkefft“. In der Tat wurde seinerzeit das Forsthaus Neuhaus in Eschenau aufgelöst und vom Bayerischen Staat veräußert. Die inzwischen siebenköpfige Familie griff zu: zwei Eisenbahnwagons umfasste der Bestand, welcher mit auf die Reise ging, Familie, Werkstatt und die obligatorischen Haustiere zogen in Neuhaus ein.

Kuhn, der auch dort stets ein offenes Haus pflegte und für den 20 Gäste am Essenstisch keine Seltenheit waren, erlebte mehrere Schicksalsschläge hintereinander: Er verlor seine drei Söhne und seine Frau. Umgeben von Einsamkeit veräußerte er Neuhaus, wohnte zunächst in Ebelsbach, dann in einem Wohnwagen in Eltmann, kurzzeitig in Königsberg und verstarb als 92-jähriger in einem Pflegeheim in Oberhaid. Friedlich, mit sich und der Welt versöhnt, wie die Tochter es empfand. Es war sein ausgesprochener Wunsch, in Eschenau beerdigt zu werden, dort, neben dem zweier seiner Söhne und seiner Frau, liegt sein Grab. 150 Gäste aus aller Welt waren bei der Trauerfeier zugegen.

Ein Weltbild zerbricht

Jeder Pennäler, der im Regiomontanus Gymnasium in Hassfurt zur Schule geht, kommt an der Weltkugel vorüber, die Kuhn geschaffen hat, auch wenn sie derzeit verhüllt ist. Sie ist dem Namensgeber der Schule gewidmet, der den Weg mit bereitet hat, dass sich ein völlig neues, auf wissenschaftlicher Erkenntnis basierendes Weltbild durchsetzen konnte: Das Verstehen der Existenz und seiner Zusammenhänge sei von elementarer Bedeutung, das Zerbrechen des bestehenden Weltbildes schafft Raum, dass ein Neues entstehen kann. Das Werk fordere heraus, ermuntere, über den eigenen Beitrag an der Gestaltung des „Neuen“ nachzudenken.

Schüler Guntram Ulsamer erinnert sich

Einer seiner ehemaligen Schüler ist Guntram Ulsamer. Der amtierende Kreisfachberater für Gartenkultur und Landespflege erinnert sich: „Kuhn kam vom Niederrhein; von seinem Aussehen ein Exot, brachte er Aufbruchsstimmung mit, die Menschen dort trauten sich schon aufzubegehren.“

Kuhn habe versucht, das Wesentliche der Kunst begreifbar zu machen und „bemühte sich, uns Handwerkszeug an die Hand zu geben.“ Die Vermittlung des „Goldene Schnittes“ von Leonardo da Vinci sei ihm eine Herzensangelegenheit gewesen.

Mit etwa 16 oder 17 Jahren war für Ulsamer in den Pfingstferien zelten auf einer Wiese am Neuhaus angesagt. „Neuhaus bedeutete für uns Freiheit, Stille, Sternenhimmel, Gespräche, Tee, Begegnungen mit Besuchern.“ So ganz anders als zu Hause, Fernsehen war tabu. „Die Winterabende verbrachten wir vor dem Ofen in der Küche oder im Wohnzimmer.“ Zahlreiche Freunde vom Niederrhein und aus Holland kamen zu Besuch. Musiker, Bildhauer und alte Freunde belebten das einsame Leben auf diese Waldinsel Neuhaus.

Der Prophet im eigenen Lande

Ulsamer schätzt an den Arbeiten des Künstlers die besondere Intensität und Qualität. In welchem Umfang sie überleben werden, muss die Zukunft zeigen. Kuhns Tochter Salome Scholtens zeigt sich besorgt: „Die Kunstwerke, insbesondere seine Brunnen brauchen Pflege, sie müssen regelmäßig gewartet und ausgebessert werden.“ Sie vermisse die gebührende Ehrfurcht vor seinen Werken, auch dass im Krankenhaus in Hassfurt mehrere seiner Werke einfach abgehängt wurden, seien ein Kunstfrevel. Doch es gäbe auch Positivbeispiele, so der Brunnen an der Berufsschule oder auch die Installation in der Grund- und Hauptschule in Knetzgau, bei deren Umbau das Kunstwerk sorgfältig geschützt und im neuen Gebäude in vollständiger Güte wieder eingerichtet wurde.

Eine Ausstellung in Emmerich am Niederrhein würdigt nun das Jubiläumsjahr des Künstlers aus den fernen Hassbergen, der in über 60 Kirchen die Innengestaltung prägte und dort weitere wertvolle, anerkannte Arbeiten hinterließ, und Scholtens bedauert, dass ihr Vater hierzulande augenscheinlich an Anerkennung durch Vernachlässigung verliert. „Der Prophet im eigenen Lande.“

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