Waschbärgehege Pilotprojekt in den Haßbergen

Das Waschbärgehege in Zell soll Vorbild für andere Tierheime in Bayern sein. Am Samstag wurde es eingeweiht – ohne einen einzigen Vertreter der Politik. Denn Bär und Bau sind nicht unumstritten.

 
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Matze hat’s gut: Matze ahnt nicht, dass er ein Problembär ist. Er planscht an diesem Samstag fröhlich im Wasser und tut, was Waschbären eben so tun: Er reibt seine Pfötchen und „wäscht“ sein (imaginäres) Essen. Währenddessen kuschelt sich Ivy in ihrem Höhlen-Häuschen zurecht. Den Besuchern an diesem Tag, die sich das neue Waschbär-Gehege am Tierheim in Zell ansehen wollen, begegnen beide freundlich: Possierliche Felltierchen, die neugierig jeden willkommen heißen und ihn liebevoll mit winzigem Handschlag und vorwitzigem Nasenstupsen begrüßen.

Ein Willkommen, dass ihnen selbst nicht von allen Seiten gilt. Der Waschbär gilt als eine sogenannte invasive Tierart, auch wenn er dafür gar nichts kann. Hätte man ihn gefragt, er hätte vermutlich nicht nach Deutschland kommen wollen, schon gar nicht als Pelzlieferant. Als solcher wurde er in den 1920/30er Jahren aus Nordamerika in hiesige Pelzfarmen verschleppt. Am Edersee in Hessen wurden einige Waschbären in den 1930er-Jahren dann bewusst zur Bereicherung der örtlichen Fauna ausgewildert, andere schafften selbst den Ausbruch aus der Quälerei. Das Vorkommen des Waschbären heute in der heimischen Natur - ein menschgemachtes Problem.

Problem deshalb, weil der Waschbär bei aller Possierlichkeit eben trotz allem ein Raubtier ist. Schlecht für einheimische Tierarten, insbesondere Bodenbrüter, weshalb sein Vorkommen durch präventive „Management“-Maßnahmen zurückgedrängt werden soll. Kastration könnte man denken, starke Bejagung ist es stattdessen. Eine Schonzeit, wie es sie sogar beim Fuchs gibt, gilt für invasive Arten nicht. Und auch wenn Elterntiere nach bayerischem Jagdrecht vom Abschuss ausgenommen sein sollen, bedeutet dies in der Folge zwangsläufig: viele Waisenkinder.

So wie Ivy und Matze. Als wimmernde, mutterlose Fellknäuel hatten Spaziergänger die beiden Waschbär-Kinder im Wald entdeckt und die Säuglinge in die Obhut der Tierschützer gebracht. Wirklich eingerichtet war man darauf nicht, doch schließlich gilt der Tierschutz allen Tieren - und die Aufzucht verwaister Waschbären per Hand ist laut genannten Management-Maßnahmen sogar ausdrücklich erlaubt und vorgesehen. Wie so manche politische Verordnung ist jedoch auch diese nicht zu Ende gedacht: EU-Recht verbietet seit 2014, dass aufgepäppelte Findelbären (und andere „invasive“ Tierarten) nach Aufzucht und Kastration wieder ausgewildert werden dürfen. Wohin nun mit ihnen?

Schwerpunkt der Populationen ist nach wie vor Hessen, doch Unterfranken ist nicht weit. Nachdem in Deutschland die Wildtier-Zahlen lediglich anhand von Jagdstrecken inklusive erfasster Straßenverkehrsopfer erfasst werden, liegen buchstäblich nur kalte Zahlen vor: So wurden im Jagdjahr 2020 in den Haßbergen 41 Waschbären erlegt, im vergangenen Jahr schon knapp 60. Das sei das Problem, erklärt Wolfgang Friedl, Vizepräsident im Landesverband des DTSchB in Bayern und Regionalbeauftragter für Unterfranken: Unter dem Druck der Bejagung würden sich die Tiere nur noch mehr vermehren.

Nachdem Tierheime und Auffangstationen im südlichen Deutschland zunehmend mit Anfragen zur Aufnahme von Waschbären überhäuft werden, entschloss sich der Landesverband Bayern des Deutschen Tierschutzbundes (DTSchB), in ausgewählten Tierheimen artgerechte Gehege für die dauerhafte (und gesetzeskonforme) Unterbringung der verwaisten Waschbären zu schaffen und entsprechend finanziell zu unterstützen. Das Pilotprojekt dafür entstand nun auf dem Gelände des Haßberge-Tierheims bei Zell. 120 Quadratmeter ist es groß und aufgeteilt in vier liebevoll mit Spielmöglichkeiten und Wasserläufen gestaltete Abteilungen, in dem bis zu zehn Waschbären Unterschlupf finden können. Das Gehege soll nicht nur für Waschbären genutzt werden, sondern wenn nötig auch für andere Wildtiere. Auch pädagogischen Charakter kann der kleine Waschbären-Zoo haben: So ließe sich Kindern anschaulich erklären, was eine invasive Art ist und welche Probleme die Ansiedlung nicht heimischer Tierarten mit sich bringen.

Gemeinsam mit Matze und Ivy empfingen vier weitere kleine Bären am Samstag zur offiziellen Einweihung die Besucher in ihrem neuen Gehege. Landesverbands-Präsidentin Ilona Wojahn zeigte sich begeistert vom Ergebnis, das nun hoffentlich anderen Tierheimen zur Nachahmung Vorbild sein könnte. „Deshalb haben wir’s auch gemacht“, bestätigte Britta Merkel, Tierheim-Leiterin und Vorsitzende der Tierschutzinitiative Haßberge (TI) e.V., die das Gehege in finanzieller Eigenregie geschaffen hat und betreibt: „Wenn es erst einmal einer vormacht, ist es leichter.“

Schon mit der gemeinsamen kreisweiten Lösung zum Tierheim-Neubau und dem eigens gegründeten „Zweckverband Fundtier Haßberge“, der sich aus Kommunen und Verwaltungsgemeinschaften des Kreises zusammensetzt und für den die TI die ureigene kommunale Aufgabe der Fundtierbetreuung übernimmt, waren die Haßberge-Tierfreunde mit einem bislang in Bayern bislang einzigartigen Pilotprojekt vorangegangen. Dafür, für den beispielhaften Tierheimbau und das fortwährende Engagement der Mitarbeiter auch in Fortbildungen, hatte das Tierheim im vergangenen Herbst mit der Tierheimplakette die höchste Auszeichnung erhalten, die ein Tierheim bekommen kann. Und wer weiß: Bald gelten auch Matze und Ivy und ihre Artgenossen nicht mehr (nur) als Problembären, sondern vielleicht (auch) als Pilotbären. Am Samstagabend, nur wenige Stunden nach der Einweihungsfeier, wurden im Eberner Ortsteil Gemünd die nächsten beiden Waschbärwaisen gefunden und nach Zell gebracht.

Bürgermeister glänzen durch Abwesenheit

Mit einer ganzen Delegation seines bayerischen Landesverbandes war der Deutsche Tierschutzbund am Samstag nach Zell gekommen, durch Abwesenheit glänzten dagegen die Haßberge-Bürgermeister. Trotz Einladung war nicht einer gekommen, noch nicht einmal eine höfliche Absage, selbst bei Nachfrage beim Zweckverband Fundtier, hatte es gegeben. „Ich hatte schon erwartet, dass man sich nach dem ganzen Theater um die Baugenehmigung wenigstens mal selber anguckt“, zeigt sich Tierheimleiterin Britta Merkel enttäuscht.

Lange Beratungen und kontroverse Diskussionen waren jener Zustimmung voraus gegangen, die letztlich mit 8:6 Stimmen entsprechend knapp ausfiel. Nötig war sie, weil das Tierheim, auf dessen Gelände das Gehege entstand, zwar von der Tierschutzinitiative (TI) Haßberge e.V. betrieben wird, diese laut Pacht- und Betreibervertrag sowohl Gebäude als auch Gelände für die Zwecke des Vereins jedoch nur nach Absprache nutzen darf. Zu diesen Zwecken zählt laut Satzung allerdings ausdrücklich der Tierschutz: Alle Tiere, die Hilfe brauchen, sollen sie hier bekommen, „explizit auch Wild- und Nutztiere“, wie TI-Vorsitzende Britta Merkel betont, die auch die erforderliche Wildtierausbildung hat. „Tierschutz bedeutet auch: Leute stehen mitten in der Nacht vor deiner Tür mit egal welchen Tieren“, sagt sie. Und dann müsse man auch schauen, wohin mit ihnen.

Im Vorfeld war das Vorhaben mit den zuständigen Naturschutz-, Jagd- und Veterinärbehörden abgestimmt und geprüft worden. Glücklich schätzen können sich die Tierschützer über die volle Unterstützung durch das Veterinäramt. Dessen Leiterin Simone Nowak konnte den Bedenkenträgern unter den Bürgermeistern erklären, dass die Waschbären „unter Verschluss“ keinesfalls andere Artgenossen „anlocken“. Im Gegenteil: Das territoriale Verhalten sei bei den kleinen Bären so stark ausgeprägt, dass sie die Gegend fortan eher meiden würden. Weder Krankheiten noch Seuchen seien überdies zu befürchten, da die Waschbären wie alle Tierheimtiere zunächst in Quarantäne kämen, untersucht, geimpft, entwurmt und kastriert würden.

Blieb das stets größte Bedenken: die finanzielle Frage. Doch auch hier konnten die Tierschützer Entwarnung geben: Der Deutsche Tierschutzbund ließ sich sein Pilotmodell jeweils 10 000 Euro sowohl vom Bundes-, als auch vom bayerischen Verband kosten; den Rest (etwa noch einmal die gleiche Summe) übernimmt die Tierschutzinitiative selbst. Weder Landkreis noch der Zweckverband Fundtier müssen dafür auch nur einen Cent aufbringen. .

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