Wissenschaftler warnen Fremde Arten bedrohen Ökosysteme

Werner Ludwig
Eine von vielen invasiven Arten: die Asiatische Hornisse. Foto: dpa/Axel Heimken

Weltweit nimmt die Verbreitung gebietsfremder Tier- und Pflanzenarten massiv zu. Ein internationales Expertengremium legt erstmals einen Bericht dazu vor und fordert schnelle Gegenmaßnahmen.

 
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Seit Beginn der Evolution haben Lebewesen immer wieder neue Lebensräume erobert. „Das ist grundsätzlich ein natürlicher Prozess“, sagt Hanno Seebens vom Senckenberg Biodiversität- und Klima-Forschungszentrum in Frankfurt. Ein Problem werde daraus erst, wenn sich Tier- und Pflanzenarten in kurzer Zeit und über große Distanzen in Gebieten verbreiten, in denen sie bislang nicht vorkamen. Genau das passiert durch den Menschen im großen Maßstab. Seebens verweist insbesondere auf die globalen Warenströme und den Tourismus – also auf den wachsenden Transport von Gütern und Personen, bei dem nicht selten unerwünschte blinde Passagiere in Form gebietsfremder Tiere, Pflanzen oder auch Mikroorganismen mit an Bord sind.

Starke Zunahme seit 1970

Wie stark sich solche Neuankömmlinge bereits verbreitet haben, belegt der aktuelle Bericht des Weltbiodiversitätsrates zu gebietsfremden Arten, an dessen Erstellung Seebens zusammen mit weiteren Forschern beteiligt war. Demnach sind weltweit 37 000 solche Arten bekannt. Was den Autoren besondere Sorge bereitet, ist die starke Zunahme in der jüngeren Vergangenheit. Denn 37 Prozent aller gebietsfremden Arten wurden dem Bericht zufolge in den Jahren nach 1970 beobachtet.

Eine Trendumkehr sei nicht in Sicht, sagt Sven Bacher, der an der Universität im schweizerischen Freiburg die Arbeitsgruppe Angewandte Ökologie leitet und den Bericht als koordinierender Leitautor mitbetreut hat. Im Gegenteil: „Die Entwicklung wird sich in Zukunft weiter verstärken“, so der Professor. Er spricht von einem „Riesenproblem, das bis jetzt nicht die Aufmerksamkeit bekommen hat, die ihm eigentlich zukommt“. Wichtige Treiber seien neben Handel und Tourismus auch der Klimawandel und die Zerstörung natürlicher Lebensräume. Aktuell werden jedes Jahr rund 200 Arten in Teilen der Welt entdeckt, an denen sie zuvor nicht zu finden waren.

Heimische Eichhörnchen haben das Nachsehen

Zum Problem werden eingewanderte oder eingeschleppte Arten besonders dann, wenn es sich um invasive Arten handelt, die einheimische Tiere und Pflanzen verdrängen. Rund zehn Prozent der gebietsfremden Spezies gehören nach Einschätzung der Forschenden in diese Kategorie. Ein invasive Art ist zum Beispiel das nordamerikanische Grauhörnchen, das sich in Großbritannien so stark verbreitet hat, dass heimische Eichhörnchen kaum noch eine Chance haben. Unter Umständen können fremde Arten auch ganze Ökosysteme aus dem Gleichgewicht bringen. Bacher nennt als Beispiel die Pazifische Auster, die in der Nordsee große Austernbänke bildet und die Strömungsverhältnisse im Wattenmeer verändert. „So wird der Lebensraum als Ganzes durch eine einzige invasive Art stark beeinflusst.“

Zudem sind eingeschleppte Arten eine Gefahr für die Biodiversität. In rund 60 Prozent der bekannten Fälle ausgestorbener Arten hätten invasive Arten „eine zentrale Rolle“ gespielt, so Seebens. Sie hätten damit einen größeren Einfluss auf das Verschwinden vieler Tier- und Pflanzenarten als alle anderen Faktoren. Invasive Arten sind dem Bericht zufolge aber nicht nur eine Gefahr für empfindliche Ökosysteme. Sie verursachten zudem hohe wirtschaftliche Schäden und könnten zur Verbreitung neuer Krankheitserreger beitragen.

Katharina Dehnen-Schmutz von der britischen Coventry University, die ebenfalls als Leitautorin zu dem Bericht beigetragen hat, beziffert die jährlichen Kosten durch invasive Arten auf umgerechnet knapp 400 Milliarden Euro. Und das sei eine vorsichtige Schätzung: „Nicht alle Auswirkungen sind dabei ökonomisch bewertet worden.“ Das sei insbesondere bei den Folgen für die Natur schwierig.

In der Land- und Forstwirtschaft ließen sich die Schäden durch eingeschleppte Krankheiten oder Schädlinge leichter abschätzen. Als Beispiele nennt die Forscherin das durch einen Pilz ausgelöste Eschensterben oder den Maiszünsler – ein Schmetterling, dessen Raupen sich von Maispflanzen ernähren und zu hohen Ernteausfällen führen können. Hobbygärtnern dürfte auch der Buchsbaumzünsler bekannt sein, der ursprünglich aus Asien stammt.

Geografische Grenzen verlieren ihre Bedeutung

Hanno Seebens verweist darauf, dass sich Tier- und Pflanzengesellschaften durch den Einfluss des Menschen weltweit immer ähnlicher werden, weil sich einige Arten nun fast überall durchsetzen könnten – etwa der Japanische Staudenknöterich. „Natürliche geografische Barrieren verlieren zunehmend ihre Bedeutung“, sagt der Forscher.

Wie sich die Verbreitung invasiver Arten bremsen ließe, sei eigentlich schon lange bekannt, sagt Sven Bacher. Ähnlich wie beim Klimawandel gebe es aber ein Umsetzungsproblem. Nötig seien strengere Kontrollen im Warenverkehr. Wenn doch eine unerwünschte Spezies eingeschleppt wird, müsse man versuchen, sie so weit wie möglich zurückzudrängen. Das könne beispielsweise durch die biologische Bekämpfung mit Nützlingen passieren. Gefragt sei aber auch jeder Einzelne, der als Konsument zum Warenverkehr beiträgt oder als Tourist Samen womöglich fremder Pflanzen einschleppt.

Hanno Seebens sagt es so: „Das Problem ist nicht die einzelne invasive Art, sondern der Mensch, der dafür sorgt, dass sie sich ausbreiten kann.“

Arten am falschen Ort

Ursachen
 Gebietsfremde Arten wurden teilweise absichtlich von Menschen eingeführt – beispielsweise als Zierpflanzen – oder versehentlich eingeschleppt. Teilweise können sie wie die Asiatische Tigermücke auch neue Krankheitserreger mitbringen. Bericht
Am aktuellen Bericht des Weltbiodiversitätsrats haben 86 Forschende aus 49 Ländern vier Jahre lang gearbeitet. Das in Bonn angesiedelte Gremium soll unabhängige Informationen über den weltweiten Zustand der Natur liefern. Es ist damit ein Pendant zum Weltklimarat. Zahlreiche Tier- und Pflanzenarten gelten weltweit als stark bedroht oder bereits ausgestorben.

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