Wer ermessen will, was in reichlich hundert Jahren geschehen ist, wer begreifen will, das Emanzipation ein sehr ernsthafter Begriff war und ist, der muss nur den folgenden Satz aus dem deutschen BGB lesen, das am
1. Januar 1900 in Kraft trat, es ist ein Satz, den man langsam, laut und mit Genuss lesen sollte: "Dem Manne steht die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu." Dass dieser Satz heute nur noch kabaretttauglich ist, das hat nicht nur, aber auch, mit dem Frauentag zu tun, mit der Haltung und mit den Kämpfen, die damit verbunden waren.
Aber heute, aber jetzt?
Heute haben wir die Quote. In den Parteien, in den Unternehmen. Gewiss, ließe sich sagen, es gibt keine Quote für das Amt des deutschen Regierungschefs und trotzdem heißt der Grund, dass seit zwölf Jahren kein Mann mehr dieses Amt ausgeübt hat, Angela Merkel. Allerdings, sie begann ihre Karriere als "Kohls Mädchen" – und ein Mann mit ihren Fähigkeiten wäre wohl nicht "Kohls Junge" geworden. Und diese Frau mit diesen Fähigkeiten hat die Chance genutzt, die ihr Geschlecht ihr bot. Auch diesen Umstand kann man eine indirekte Quote nennen. Und er steht für den Sinn der Frauenquote. Gewiss, man mag die Quote eine Albernheit nennen und in manchem Einzelfall auch eine Ungerechtigkeit – aber in einem höheren Sinne bedeutet sie wohl die Herstellung von Gerechtigkeit, die
Verwirklichung von Chancengleichheit.
Will sagen, wir brauchen die Frauenquote. Nicht nur, weil sie, aufs Ganze besehen, eine seit Jahrtausenden sich fortschreibende Ungerechtigkeit beseitigt. Es ist der reine, wohlverstandene Egoismus einer Gesellschaft, deren Gedeihen auch, nicht nur, aber eben auch, von hochqualifizierten Menschen auf allen Führungsebenen abhängt.
Es war, das sagt einer, der seinem Land DDR nun wirklich keine Träne nachweint, in der DDR tatsächlich leichter, als Frau mit Kind, als Alleinerziehende eine Karriere weiter zu betreiben. Kaum eine Studentin etwa hat ihr Studium nicht beendet, ihr Diplom nicht bekommen, weil sie ein Kind bekam. Und ehe ein staatlicher Leiter, andere als vom Staat eingesetzte Leiter gab es nicht, ehe er sich also Ärger einhandelte mit der nächsten Leitungsebene, hat er für die Frau getan, was zu tun ihm möglich und aufgetragen war, Frauenförderungsplan hieß das. Allerdings, als ich ein Kind war, da gab es ein herziges Liedchen, das jeder Ostmensch mit einem gewissen Alter kennt: "Wenn Mutti früh zur Arbeit geht, dann bleibe ich zu Haus. Ich binde eine Schürze um und feg die Stube aus . . .". Wer das Land und seine Eigenarten so kennt wie der Autor, der kann daraus schließen, dass es in dieser Zeit womöglich einen Mangel an Kindergartenplätzen gab – schließlich, im Eigentlichen blieben die Kinder nicht zu Haus, sondern gingen in den Kindergarten.
Sicher, ab einer gewissen Exponiertheit im Beruf ist das Kind, das muss man so sagen, ein Problem. Es ist praktisch lösbar, wenn jemand über entsprechende finanzielle Möglichkeiten verfügt, aber selbst dann ist das mentale Problem der Mutter nicht gelöst – und es ist auch nicht zu sehen, wie es zu lösen wäre. Das Problem konnte auch die DDR nicht aus der Welt schaffen. Die vielen Männer, die die Möglichkeit der Elternteilzeit in Anspruch nehmen, stehen für den Mentalitätswandel in dieser Frage. Die Biologie ist nicht abzuschaffen – aber ihre Folgen können anders betrachtet, ihre Konsequenzen anders ausbalanciert werden. Das ist ein Prozess, der nur begrenzt steuerbar oder gar administrierbar ist. Doch die gesellschaftliche Debatte ist Teil dieses Prozesses und sie bewirkt einen Wandel sowohl in den Strukturen der Gesellschaft wie in den sozialen Beziehungen der Menschen. Schritt für Schritt, Jahr für Jahr. Quote für Quote.
Im vorigen Jahrhundert war der Internationale Frauentag eine wichtige Markierung auf diesem Weg, so wie es heute die Quote ist. Also brauchen wir ihn? Eher nicht, wenigstens nicht im Sinne eines Kampftages für Frauenrechte. In Russland ist der Frauentag ein nationaler Feiertag, also arbeitsfrei. Da haben die Männer, viele wenigstens, dem Landesbrauch folgend, Gelegenheit, ihrer Gattin zu zeigen, wo der Hammer hängt: Das Verprügeln der Ehefrau wurde dort unlängst von der Duma, dem Parlament, per Gesetz von einer Straftat zur Ordnungswidrigkeit herabgestuft. Um, so hieß es zur Begründung, den Frieden der Familien nicht zu stören, man müsse nicht aus "jedem Klaps" eine Staatsaffäre machen. Es gibt, so sehen wir, keinen zwingenden Zusammenhang zwischen dem Ehren des Frauentages und dem Respekt für Frauen, dem Respekt vor ihren Rechten, die die der Männer sein sollten, aber nicht immer sind. Auch nicht im Westen.
Um diese Rechte wird hier heute jeden Tag gekämpft, mit jeder Debatte um die Quote, mit jeder Diskussion über den alltäglichen Sexismus, mit jedem Mann, der seiner Frau nicht die ganze Elternteilzeit überlässt. Aber muss man ihn deshalb abschaffen? Er ist eine Tradition, die wohl mehr in der Alltagskultur des Ostens Heimatrecht genießt als im Westen. Aber wenn ein Mann, eben aus Tradition und Herkommen, lieber den Tag der Frauen zum Vorwand nutzt, um seiner Partnerin Blumen zu schenken als den des guten alten Valentin, dann soll es so sein.
Ob Mutti nun früh zur Arbeit geht oder nicht.