Eigener Inhalt Mercedes "Drive Pilot": Lass’ fahren . . .

Wolfgang Plank

Nicht alle paar Sekunden das Steuer übernehmen müssen – sondern lesen, E-Mails checken oder sich einen Film gönnen. Alles während der Fahrt ...

 
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In Immendingen haben sie groß aufgeboten. Angekündigt ist ein Blick in die Zukunft. Auf dem riesigen Prüf- und Technologie-Areal von Daimler soll die nagelneue S-Klasse demonstrieren, wie man sich das Auto von morgen vorstellen darf. Und zwar auf Level 3. Heißt im Klartext: Nicht alle paar Sekunden das Steuer übernehmen müssen – sondern lesen, E-Mails checken oder sich einen Film gönnen. Alles während der Fahrt.

Bestellen kann man bereits, verfügbar sein wird "Drive Pilot" ab Sommer 2021. Aktuell laufen letzte Abstimmungsprozesse, der Serienstart steht unmittelbar bevor. Unterschied der hoch automatisierten zur normalen S-Klasse: eine optische Messung (Lidar) für Tempo und Abstand sowie eine digitale HD-Karte im Zentralrechner. Verräterisch ist allein eine Wölbung über dem Heckfenster. Dort sitzt ein spezielles Ortungssystem – GPS allein wäre zu ungenau.

Es geht auf eine Runde über das große Oval. Üblicherweise werden zwischen den Steilwandkurven Tests bei Höchstgeschwindigkeit absolviert – dieses Mal geht es gemächlicher zu. Ein Druck auf die Taste an der Innenseite des Lenkradkranzes – und man ist Passagier. Jedenfalls bis Tempo 60. Mehr darf nach aktueller Rechtslage nicht sein. Man könnte im Zeichen des Sterns auch schneller, heißt es. Selbstredend. Wie schnell, bleibt ein Geheimnis. Es steht zu vermuten, dass auch Autobahn-Richtgeschwindigkeit kein Problem wäre.

Unbeirrt hält der Wagen in Immendingen die Linie. Weil er es kann – aber auch muss. Noch gestatten die Vorschriften bei Level 3 keinen Spurwechsel. Dabei hat die S-Klasse längst einen Assistenten, der das mit einem Blinker-Tipp erledigt. Das aber läuft unter Level 2 – und unterliegt weniger strengen Regeln. Ist ein Hindernis zu breit, muss der Benz aktuell dahinter bleiben oder stoppen. So verlangt es das Gesetz. Umkurven geht nur von Hand.

Innerhalb seiner Bahn indes verblüfft Chauffeur Chip mit maximaler Kunst-Intelligenz. Ein auf dem Standstreifen warnblinkendes Fahrzeug passiert er linksbündig am weißen Strich – für das von hinten nahende Polizeiauto mit Blaulicht wechselt er im Sinne der Rettungsgasse an den rechten Rand. Erspäht hat das Einsatzfahrzeug eine Heckkamera – und gehört ein Akustik-Sensor.

Auch mit dem üblichen Dicht-Verkehr auf der Autobahn kommt der "Drive Pilot" bestens klar. Mercedes schickt Einfädler von rechts und Einscherer von links. Nicht alle fahren vorbildlich – so wie im Alltag halt auch – aber keiner bringt das System auch nur an den Rand von Kalamitäten.

Das schafft allenfalls ein Tunnel – oder das Wetter. Frost oder Starkregen können die Sensoren irritieren. Dann muss der Fahrer binnen zehn Sekunden übernehmen. Auch wenn der Verkehr wieder schneller fließt. Mit Schlafen am Steuer ist also nix. Ginge aber gar nicht, weil Big Benz nicht nur ein Auge auf den Fahrer hat, sondern gleich zwei.

Eine Zahl, die auch für die Technik gilt. Lenkung und Bremsen sind ebenso redundant ausgelegt wie das Bordnetz. Sogar die Algorithmen im Bordcomputer werden zur Sicherheit doppelt gerechnet. Man säße nicht in einer S-Klasse, wenn nicht an jede Kleinigkeit gedacht wäre. Fehlt eigentlich bloß noch ab und an ein Stau . . .

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