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Wolfgang Plank

E-Scooter für die letzte Meile klingt pfiffig. Leider sind die Dinger gefährlich - und oft leer, wenn man sie braucht.

 
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Es wäre so ganz nach Andreas Scheuers Geschmack gewesen: Großer Auftritt samt Fotos, die ihn als Macher zeigen. Der Bundesverkehrsminister bringt per E-Scooter das Heil in die Mobilität. Motto: Ich da – Problem fort. Kein Ärger mit der Autoindustrie, kein Getue mit Bus und Bahn, kein Kleinklein mit kniffligen Konzepten. Hip und weg. Fast wie das Lufttaxi der Scheuer-Parteifreundin Dorothee Bär.

Nur sieht es bislang leider kein bisschen so aus, als würden die Akku-Tretroller irgendetwas lösen. Die einen sehen sie auf der Straße als potenzielle Freitodgefahr, die anderen auf dem Gehweg als rasenden Irrwitz. Und dann wären da noch diejenigen, die seit Jahrzehnten darüber schimpfen, wie schwer es neue Ideen in Deutschland hätten – aber ausgerechnet E-Scooter müssten es jetzt ja nun wirklich nicht sein . . .

Womöglich hätte Scheuer mal ein wenig über die an seinem Ministerium vorbeiführende Invalidenstraße lustwandeln sollen, dann nämlich wäre ihm vermutlich aufgefallen, welchen Unfug Berlin gerade erst mit Leih-Rädern erlebt hat. An jeder Ecke standen – schön aufgereiht – diverse Bikes diverser Start-ups. Waren die Anbieter pleite, türmte sich der Schrott zu Halden und selbstverständlich war plötzlich keiner mehr zuständig.

Dabei klingt die Idee mit den Mini-Flitzern zunächst pfiffig. Weil es ja widersinnig ist, für jede noch so kleine Fahrt den üblichen Zweitonner zu bemühen, das eigene Fahrrad sperrig ist, nicht an jeder Stelle und in jedem Moment verfüglich, und zu Fuß gehen erstens anstrengt und zweitens dauert. Wo auch immer man des Wegs kommt, könnte man sich also einen dieser E-Scooter greifen, behände ins Büro gleiten oder sonstwohin, und am Ziel einfach abstellen. Zahlen per App und gut.

Was aber, wenn der Roller zwar dasteht, aber garantiert nicht rollt, weil nur mehr ein oder womöglich gar kein blaues Lämpchen glimmt? Mit leerer Batterie nämlich ist der E-Scooter einigermaßen nutzlos. Aber wer sollte so ein Teil laden, wenn es ihm doch gar nicht gehört? Und also werden von den Verleihern eingesammelt – per Diesel-Transporter.

Passiert das nicht zeitnah, zeigt sich die Kehrseite der schönen neuen E-Mobilität: Die Roller liegen achtlos herum, verschandeln Straßen und Gehsteige oder müllen Grünanlagen zu. Und es geht noch schlimmer: In Paris landen die Dinger reihenweise in der Seine, in Marseille fischten Taucher Anfang Juli binnen zwei Tagen 47 E-Scooter aus dem Meer.

Das weit größere Problem indes ist das Risiko, das auf den Akku-Rollern lauert. Europas größter Versicherer rechnet auf deutschen Straßen bereits mit einem Anstieg der Unfallzahlen – sowohl bei Kollisionen wie bei Alleinunfällen. "Wie schon beim Pedelec zu beobachten, sind die Benutzer völlig ungeübt mit dem neuen Gefährt und seinen fahrdynamischen Eigenschaften", schreiben die Experten der Allianz.

Und in der Tat: Allein in Berlin haben sich im ersten Monat nach ihrer Zulassung rund zwei Dutzend Menschen bei Unfällen auf E-Scootern verletzt. Mitte Juli schon sah sich der Bundesverkehrsminister bereits genötigt, Städte und Kommunen zu einem "härteren Durchgreifen" aufzufordern.

Mehrere Anbieter von Leih-Rollern rufen derweil ihre Nutzer zu Sicherheitskursen auf. In anderthalb Stunden werden Kurvenfahrt, richtiges Bremsen und das Verhalten in Gefahrensituationen gelehrt. Das schwedische Unternehmen Voi will noch vor dem Herbst eine virtuelle Fahrschule programmieren. In Mailand sind sie schon einen Schritt weiter. Wegen chaotischer Verhältnisse sind die lautlosen Flitzer vorerst verboten.

Laut einer US-Studie endet fast die Hälfte aller Unfälle bei E-Scootern mit Kopfverletzungen. Dafür wertete die Gesundheitsbehörde CDC knapp eine Million E-Roller-Fahrten mit 190 Unfällen in Austin (Texas) aus. Ergebnis auch hier: Anfänger sind besonders häufig in die Crashes verwickelt. Ein Drittel aller Opfer waren das erste Mal auf einem Akku-Roller unterwegs.

Und was bringen E-Scooter für die Umwelt? Offenbar sehr wenig, wie eine Studie des Beratungsunternehmens Civity nahelegt.

Zwar ist die von den Akku-Tretrollern im Schnitt zurückgelegte Wegstrecke immerhin 1,9 Kilometer lang, womit sich Bushaltestellen oder Bahnhöfe erreichen ließen. Auch eine millionenfache Nutzung konnte man bei den Anbietern ablesen – dummerweise aber sind die E-Scooter vor allem am Wochenende und abends beliebt. An Arbeitstagen, so die bittere Erkenntnis, werden derlei Gefährte nur höchst selten bewegt – und demzufolge auch kaum Wege zum Job zurückgelegt. Damit aber ist die Idee vom Auto-Ersatz für Berufspendler weitgehend hinfällig.

Es scheint, als habe Andreas Scheuer noch einen weiten Weg hin zum Messias der Mobilität.

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