Eigener Inhalt Stadt statt Straßen?

Wolfgang Plank
 Foto: AdobeStock

Man muss gar nicht nach New York reisen, Rio oder Tokio - Berlin genügt völlig. Schon an guten Tagen ist jede Autofahrt durch die Stadt eine Geduldsprobe, an schlechten - exakt: normalen - ein Fiasko. Weil einfach zu viele dasselbe vorhaben. Noch schlimmer ist es zu Fuß oder auf dem Rad. Es befällt einen das Gefühl, Menschen seien inmitten des Blechs nur lästig. Und überall im Weg.

 
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In Frankfurt, München oder Stuttgart ist das nicht viel anders. Ein Unglück? Nein. Es ist das Ergebnis eines Wahns, dass alles immer noch schneller und noch effizienter funktionieren muss, und dass es in der Folge nur mehr Jobs in den Städten gibt. Mehr als die Hälfte der Menschheit lebt heute bereits dort. Tendenz steigend.

Autos sind zwangsläufig Teil dieses Irrsinns. Mehr als eine Milliarde davon verteilt sich über den Globus. Aber eben nicht gleichmäßig. Ein Tag Peking reicht für die Erkenntnis, dass stehendes Blech in Sechserreihen alles Mögliche ist, nur keine Mobilität. Mindestens in den Metropolen findet sich der eigene Wagen darum auf der Roten Liste – was nur bislang kaum jemand merkt. Nicht mal ein Wechsel von Sprit zu Strom, sagen Experten, wird ihn auf Dauer retten.

In deutschen Großstädten, besagt eine Studie des Bundesumweltamtes, kommen im Schnitt auf 1000 Einwohner 450 Autos. Als erstrebenswert gelten gerade mal 150. Doch eine andere Zahl ist noch viel bedenklicher: Jeder dieser Wagen ist im Schnitt nur eine Stunde pro Tag tatsächlich ein Fahrzeug – den Rest der Zeit, nämlich 23 Stunden, aber ein Stehzeug. Und weil das so ist, brauchen wir so unendlich viele Parkplätze. Flächen, die für andere Dinge verlorengehen. Für bezahlbaren Wohnraum zum Beispiel. Oder Kinderspielplätze. Oder Radwege und Trottoirs, die sicher sind. Stadt ist nämlich sehr viel mehr als Straßen.

Ansätze für einen Wandel gibt es längst. Die Ideen reichen von Sperrung der Innenstädte wie im belgischen Gent über City-Maut (London), autofreie Tage (Paris) bis zu Tempo 20 im Zentrum (Wien). Auf der Berliner Friedrichstraße hat soeben ein Modellprojekt begonnen. Bis Ende Januar 2021 sollen Radwege, Grünflächen und Außengastronomie zeigen, ob das Areal dauerhaft zur Flaniermeile taugt. Auch der Hamburger Jungfernstieg soll ab Oktober mindestens "autoarm" sein.

Doch was für die einen Befreiung vom Blech ist, fällt für die anderen unter Bevormundung und Vertreibung von Kundschaft. Der Grat zwischen Akzeptanz und Ablehnung ist schmal.

Corona hat manches beschleunigt. Plötzlich wagten Stadtplaner Pop-up-Radspuren (die in Berlin laut Gerichtsbeschluss schon wieder abgebaut werden müssen) und dachten über eine neue Kultur des Miteinander nach. Auch wenn es dauern wird, bis völlig autonome Autos kommen, die Fußgänger und Radfahrer automatisch respektieren – man wollte wenigstens beginnen. Und je attraktiver der Nahverkehr, so ein weiteres Argument, desto weniger triftige Gründe gebe es für die City-Fahrt mit dem Wagen.

Ironie des Schicksals: Ausgerechnet hier sorgt Corona für einen herben Rückschlag. Immer mehr Menschen wenden sich von Bus und Bahn ab. Dicht an dicht mit schwer atmenden Maskenmuffeln – da fährt gleichsam der Hauch des Todes mit. Wie stark und sicher ist da doch das eigene Gefährt. Man ist unterwegs und doch abgeschirmt zu Hause.

Diese diffuse Angst wird den Umstieg wohl noch eine ganze Weile lähmen.

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