Eigener Inhalt Welcome, Mr. Hyde ...

Wolfgang Plank

Der Ford Focus ST gibt im Alltag den braven Dr. Jekyll. Aber per Knopfdruck kann man auf die aggressive Seite wechseln.

 
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Vermutlich ist er die größte Herausforderung für das Team von Ford Performance. Denn da, wo sie die besonders Schnellen und Sportlichen im Hause bauen, ist Kompromiss ein eher ungeliebtes Wort. Doch gerade beim Focus ST ist genau das die Aufgabe: Power, Purismus und Präzision stehen Alltagstauglichkeit, Assistenzsystemen und Abgasnorm gleichberechtigt gegenüber. Und ja: Geld soll mit dem Modell unterhalb der Speerspitze RS auch noch verdient werden.

Kein Wunder also, dass sie sich bei ihrer Schöpfung ein wenig an Dr. Jekyll erinnert fühlen. Jenen gutherzigen Arzt im weltberühmten Roman von Robert Louis Stevenson, der sich mit einer Art Zaubertrank in Mr. Hyde verwandeln konnte – den bösen Teil seiner Persönlichkeit.

Zunächst sieht der brave Doktor nach einem Freizeit-Sportler aus, dessen Kraft man nur erahnen kann. Muskulös ja, durchtrainiert ganz sicher, aber gleichwohl nicht protzig. In der Brust ein 2,3-Liter-Turbo-Herz mit 280 PS. Diffusor, Dachspoiler und Doppel-Endrohr verraten allerdings, dass es da auch noch eine aggressive Seite geben muss.

Der Wechsel dorthin gelingt auf Knopfdruck. Und anders als bei einem Zaubertrank setzt die Wirkung schlagartig ein. Dann katapultiert sich Mr. Hyde in 5,7 Sekunden auf Tempo 100, erst bei 250 ist Schluss mit Vortrieb. Auch mittendrin fährt sich der Focus ST dank elektronisch geregeltem Sperrdifferenzial agil, mit schöner Kraftentfaltung und hoher Elastizität. Allerdings will er dafür oft die Übersetzung gewechselt haben, was mit dem gut gestuften Sechsgang-Getriebe großen Spaß macht. Dass die Schaltung gelegentlich hakt, sollte wohl noch abzustellen sein.

Glück für behäbige Klientel mit faulem linkem Fuß: Anders als beim Vorgänger gibt’s ab Oktober auch eine Automatik mit Schalt-Paddles. Trotzdem: Wettkampf ist eben etwas anderes als Warmduschen. Schließlich gilt es, eine Wolfsburger Legende herauszufordern. Und darum bieten die Kölner den GTI-Gegner erneut auch als Diesel an. Bleibt also nicht nur die Wahl zwischen Fünftürer und Turnier (plus 1200 Euro), sondern auch zwischen fremdgefunkt und selbstgezündet.

Der Öl-Brenner mit seinen 190 PS ist eine echte Überraschung. Schiebt den Focus ST an wie eine Hyde-Crew ihren Bob: kraftvoll und explosiv. Zu heftig für einen Front-Kratzer könnte man bei 400 Nm Drehmoment meinen. Doch hier erweist sich, dass die Ford-Leute ihren Job verstehen. Zwar ohne die Sperre des Benziners, aber per gezieltem Brems-Eingriff werden die Kräfte so geschickt auf beide Räder verteilt, dass der Wagen selbst bei voller Beschleunigung aus der Kurve allenfalls mäßig nach außen drängt.

In Kombination mit der feinfühligen und äußerst präzisen Lenkung lässt sich damit genau der saubere Strich fahren, den echte Sportler so schätzen. Und weil sich ESP zurückfahren und sogar ausschalten lässt, geht’s auf Wunsch noch agiler. Etwas Erfahrung in Sachen Heck-Mitarbeit kann da allerdings nicht schaden. Immerhin kann man sich voll und ganz auf das Volant konzentrieren. Erstens, weil man im serienmäßigen Recaro-Sportgestühl so wunderbar mit dem Wagen verschmilzt, und zweitens, weil man nicht ständig im Getriebe zu Gange sein muss. Ein Zahnrad-Paar höher oder niedriger ist dem Common-Rail egal. Er hat Reserven für fast alle Fälle.

Und weil im Focus ST eben auch Dr. Jekyll steckt, kann man abseits geschlängelter Landstraßen sämtliche Helferlein wieder aktivieren und ganz gemütlich zum Einkaufen rollen. Denn trotz aller sportlichen Ambitionen bringt man im Fünftürer 341 bis 1354 Liter Gepäck unter, der Turnier fasst zwischen 415 und 1590 Liter. Etwas Alltag dürfte auch dem Verbrauch guttun. Der Diesel steht mit 4,8 Litern im Prospekt, der Benziner mit 7,9 – allerdings kann man bei forscher Fahrweise gut die Hälfte drauflegen. Für den gebotenen Spaß indes ist selbst das noch ein akzeptabler Wert.

Kleiner Tipp: Wer einen Sportwagen familienintern nicht recht durchsetzen kann, der biete in den Verhandlungen den ST-Diesel in der Kombi-Version an. Der ist was für Herz und Verstand. Und mit 33 100 Euro in der ordentlich ausgestatteten Basisversion sogar was für den Geldbeutel. Im Gegenzug kann man ja vielleicht die 19-Zöller raushandeln. Und wem das hübsche Orange Fury doch etwas zu grell scheint – es gibt auch Magentic Grey. Dann ist für GTI und Co. die Überraschung womöglich noch größer.

Und anders als im seltsamen Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde droht beim Focus ST kein böses Ende. So ein verlässliches Knöpfchen ist eben doch etwas anderes als Selbstgerührtes aus dem Labor…

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