Veranstaltungstipps Andre Rieu: "Emotionen sind das Wichtigste"

Das Gespräch führte Olaf Neumann
 Foto: Dan Himbrechts

André Rieu gilt als Musiker der Superlative. Seine Fans verteilen sich über fünf Kontinente. Im Oktober wurde er 70 Jahre alt. Bald geht er auf Tour.

 
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Herr Rieu, Sie wurden am 1. Oktober 70 Jahre alt. Wie war es, älter zu werden?
Ich habe das große Glück, auf die schönste Art und Weise älter zu werden, die man sich nur wünschen kann: Umgeben von herrlicher Musik, meinem fröhlichen Orchester, meiner Frau Marjorie und unseren Kindern und Enkeln. Ich bin jetzt seit über vierzig Jahren verheiratet und viele meiner Musiker sind seit über zwanzig Jahren bei mir. Diese Stabilität ist wunderbar. Wir sind, zusammen mit unseren Fans, eine große internationale Familie. Ich habe rund 110 Mitarbeiter und bin der Boss, aber auch ein „Vater“ für alle. Das genieße ich sehr.

In welcher Phase Ihres Lebens befinden Sie sich momentan?
Für mein Gefühl ist 70 etwa ‘die Mitte des Lebens’. Ich habe wirklich das Gefühl als würde ich noch mittendrin stehen. Es gab schon sehr viel Gutes und Schönes in meinem bisherigen Leben, aber ich freue mich auch auf Vieles, das noch kommen wird. Ich fühle mich auf gar keinen Fall wie ein Rentner oder denke auch nur an ein Rentnerdasein irgendwann. Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Ich möchte einfach so weitermachen wie bisher und lebe daher so gesund wie nur möglich. Ich treibe Sport, ernähre mich gesund, trinke keinen Alkohol und habe sehr viel Freude am Leben.

Wie sehr fühlen Sie sich mit 70 Jahren noch der Musik verpflichtet?
Zu 100%. Die Musik ist mein Leben. „A waltz a day keeps the doctor away“. Es ist aber weniger eine Verpflichtung als eine große, lebenslange Liebe. Ich habe mit fünf Jahren begonnen Geige zu spielen. Auch Klavier, Oboe und Flöte, aber die Geige war meine Leidenschaft. Heute bin ich eigentlich schon sehr stolz darauf, das größte private Orchester der Welt zu haben. Schon beim Frühstück sprechen Marjorie und ich über Konzert-Programme oder die Titel für meine neue CD – für uns ist das keine Arbeit, es macht einfach Spaß, etwas Schönes zu erschaffen.

Was sehen Sie, wenn Sie heute ein Foto des jungen André Rieu betrachten?
Das kommt auf das Photo an, haha! Aber als junger Mann war ich nicht so glücklich wie heute. Nach meinem Studium spielte ich im Sinfonieorchester meines Vaters, aber ich habe mich dabei überhaupt nicht wohl gefühlt. Ich war echt unglücklich. Bei jeder Probe haben sich die Musiker beschwert, es sei zu laut, zu kalt, zu warm, zu eng und danach sind alle sofort nach Hause gerannt. Ich wollte ein Orchester erschaffen, das wie eine Familie ist, das die Freuden und Sorgen miteinander teilt, um die Welt reist und bei den Aufführungen genau so viel Spaß hat wie das Publikum. Ich erzähle während eines Konzertes viele Geschichten und Anekdoten. Und ich suche romantische und emotionale Stücke aus, die die Herzen der Menschen berühren.

Welche Ereignisse haben Ihr Musikerleben nachhaltig geprägt?
Als ich jung war, kamen ins Haus meines Vaters, der Dirigent war, sehr viele bekannte Solisten. Aber die reisten immer alleine. Manchmal gab es da noch eine Ehefrau, die hinterher lief und den Instrumentenkasten trug. So wollte ich nicht leben. Ich wollte mit Freunden um die Welt reisen und Musik machen. Deswegen habe ich später mein Orchester gegründet. Das zweite Ereignis war mein erster Walzer: Als kleiner Junge hörte ich im Konzert meines Vaters einmal einen Strauss-Walzer als Zugabe. Ich habe sofort bemerkt, wie sich die Stimmung unter den Zuschauern veränderte. Alle bewegten sich zum Dreivierteltakt und genossen diese wunderbaren Melodien. Da dachte ich, der Walzer hat die Kraft, Menschen wirklich glücklich zu machen. Diese beiden Ereignisse haben mich geprägt.

Sind Sie sich als Künstler immer treu geblieben?
Absolut, ja. Sie glauben nicht, wie viele Manager und Plattenlabels mir früher gesagt haben „Geh nach Hause und spiel für Deine Großmutter!“ Ein amerikanischer Promoter wollte mich mal in glitzernde Anzüge stecken, so wie der berühmte Pianist Liberace. Ich würde nie mein Programm oder meinen Stil ändern, nur um bestimmten Leuten zu gefallen. Ich glaube, meine Fans spüren das auch. Die spüren, dass es echt ist, was ich mache. Ich tue es mit voller Überzeugung und ganz viel Spaß!

Was bedeutet das konkret?
Dass ich zum Beispiel keinen Hip Hop oder Rap machen würde, nur weil es plötzlich „in“ ist. Ich würde auch nicht plötzlich eine komplette Beethoven-Sinfonie aufführen. Aber ich mische durchaus Klassik, Schlager und Pop. Zum Beispiel den „Second Waltz“ von Schostakowitsch mit dem „Hallelujah“ von Leonard Cohen, einer Arie von Puccini, „YMCA“ oder „Can’t help falling in Love“ von Elvis Presley. Ich glaube, dass Musik keine Grenzen kennt. Musik muss zuallererst berühren.

Spiegeln die Dramen Ihres Lebens sich in der Musik, oder in der Art und Weise, wie Sie Musik interpretieren, wider?
Die „Dramen meines Lebens“ klingt aber sehr philosophisch! Da muss ich erst mal überlegen, welche Dramen es überhaupt gab. Ich glaube nicht, dass ich wegen der Schuldenkrise von 2009 „An der schönen blauen Donau“ jetzt anders interpretiere, nein. Wenn etwas nicht geklappt hat, kann ich sehr gut einen Haken daran setzen. Als Musiker habe ich einen bestimmten Klang im Kopf. Den möchte ich umsetzen.
Sind Sie mit Ihren früheren Aufnahmen noch einverstanden?
Absolut, ja. Mein allererstes Album, „Strauss & Co“ ist ja damals durch die Decke gegangen, das war wirklich unglaublich. Fast eine Million CDs nur in den Niederlanden verkauft, damit hätten wir nie gerechnet. Trotzdem suchen wir auch immer wieder nach neuen Stücken, die meinem Publikum gefallen werden. Es gibt ja endlos viel schöne Musik.

Was macht die Musik von Johann Strauß mit Ihnen?
Sie macht mich einfach glücklich. Johann Strauss ist mein Lieblingskomponist. Er war wirklich ein Genie. Diese Vielfalt der Melodien ist unglaublich. In seiner Musik findet sich alles: Glück, Melancholie, Humor, Traurigkeit und Leidenschaft. Seine Walzer sind schwer zu spielen, auch wenn sie sich so leicht und beschwingt anhören. Ich verehre ihn so sehr, dass ich mein Orchester nach ihm benannt habe. „An der schönen blauen Donau“ ist das einzige Stück, das ich wirklich in jedem Konzert auf der ganzen Welt spiele. Die Menschen springen dann aus ihren Sitzen und tanzen in den Gängen. Alt und Jung. Strauss‘ Musik ist wirklich zeit- und grenzenlos.

Können Sie sich noch genau daran erinnern, wie Sie die Werke von Johann Strauss ganz am Anfang gespielt haben?
Ja, 1987 ganz am Anfang mit zwölf Musikern mitten im Winter in der eiskalten Schule meiner Söhne fand unsere erste Probe statt. Marjorie und meine Jungs haben uns heiße Suppe gebracht. Ich hatte ja vorher schon das Maastricht Salonorchester mit fünf Musikern, aber das war zu klein für Strauss-Walzer. 1988 sind wir dann auf unsere ersten Tourneen in kleine Theater in Deutschland, Belgien und den Niederlanden gegangen, mit einem Wiener Abend, am Anfang noch alle traditionell in schwarz gekleidet. Das war aber viel zu deprimierend, das habe ich dann aber ganz schnell geändert und bunte Kleider für die Damen und Solistinnen gewählt.

Offenbarten sich Ihnen Johann Strauss‘ Geheimnisse bereits beim ersten Hören?
Ja, sofort. Ich habe das schon als Fünfjähriger gespürt. Ich spiele natürlich nicht nur Walzer in meinen Konzerten, aber ich glaube, dass jeder Mensch von diesem Rhythmus, dem ¾ Takt mitgerissen wird. Viele Liebeslieder und Popsongs sind Walzer: „Piano Man“ von Billy Joel, „Bed of Roses“ von Bon Jovi, „Can’t Help Falling in Love“ von Elvis Presley….

Schlägt Ihr musikalisches Herz europäisch?
Ich denke ja. Ich fühle mich wirklich als Europäer. Ich bin ja auch in Maastricht geboren und, aufgewachsen , in einer Stadt, die wirklich im Herzen Europas liegt. Ich habe an den Konservatorien von Lüttich und Brüssel studiert. Als Kind gab es bei uns zu Hause nur Klassik, Mozart, Mahler, Beethoven – alles große europäische Komponisten. Später habe ich dann auch amerikanische Popmusik entdeckt, und natürlich spiele ich auch gerne lokales Repertoire wie „Cielito lindo“ in Mexiko, „Waltzing Mathilda“ in Australien oder das wunderbare chinesische Stück „Shanghai Tan“ in meinen Konzerten, aber der größte Teil des Programmes ist Musik aus Europa. Ich finde Europa einen großartigen Gedanken. Ich bin gespannt, ob der Brexit kommt. Ich fände es toll, wenn die Engländer blieben.

Muss die Klassik angesichts der Überalterung des Konzertpublikums sich stärker um die jungen Menschen bemühen?
Die Klassik sollte mehr auf die Menschen zugehen, ihnen die Angst nehmen. Tödlich für die Klassik ist Snobismus, also der Gedanke „Ich bin was Besseres als du, weil ich Wagner höre“. Damit gewinnt man keine jungen Menschen. Man muss sagen, geh zu Mozart, höre dir Beethoven an, oder auch Ravel, Prokofiev – das ist großartig! Emotionen sind das Wichtigste. In meinen Konzerten sind oft Kinder. Die sind total fasziniert, tanzen, singen mit, fangen die Luftballons, bewundern die Kleider und die Sängerinnen. Für die ist ein Orchester schon ganz früh im Leben etwas ganz Tolles – und das ist doch schön.

Bereiten Sie sich auf eine Tournee so intensiv vor wie ein Leistungssportler auf einen Wettkampf?
Nein, weil ich eigentlich immer auf Tournee bin. Ich gebe rund 90 Konzerte pro Jahr, dazwischen sind Proben, Reisen und Aufnahmen. Was mich vielleicht eher mit einem Leistungssportler verbindet, ist, dass ich regelmäßig ,trainiere, drei Mal in der Woche Sport, richtiges Krafttraining. Damit ich dann jeden Abend drei Stunden mein Publikum begeistern kann.

Was geschieht im Leben eines Vollblutmusikers abseits des Rampenlichts?
Haha, das ist total normal! Ich gehe mit den Hunden spazieren, kaufe ein, koche, renoviere oder spiele mit meinen Enkeln. Und zwischendurch kommt dann mal eine kleine Tournee mit 150 Leuten nach Kolumbien, Chile oder, wie Anfang 2020, auch nach Deutschland.

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