Veranstaltungstipps Dietmar Wischmeyer: "Die fetten Jahre sind vorbei"

Das Gespräch führte Olaf Neumann
Dietmar Wischmeyer, Autor, Kolumnist und Satiriker Foto: Gaby Gerster

Dietmar Wischmeyer ist für seine Fans der Gangsta-Rapper der deutschen Comedy. Wir sprachen mit ihm übersatirische Beobachtungen des deutschen Alltags.

 
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Sie haben an der Universität Bielefeld Philosophie studiert. Kann man sagen, dass Sie seitdem versuchen, auf satirische Weise die menschliche Existenz zu ergründen, zu deuten und zu verstehen?
Natürlich, weil es der Selbsterkenntnis zugute kommt, wenn man sich mit anderen Leuten und ihren seltsamen Verhaltensweisen ethnografisch beschäftigt, als ob es Papua-Neuguinea wäre. Man ist ja selber auch nicht so viel anders. Im Wesentlichen drückt meine Art zu schreiben auch die Verzweiflung darüber aus, dass man eine in einen Roman gegossene Version der Gegenwart nicht leisten kann. Es geht nur kaleidoskopisch. Und da ich sowieso nie mehr als zwei Seiten schreibe, kommt mir das entgegen.

In Ihrem neuesten Buch dokumentieren Sie „Zeugenaussagen über den Gemütszustand der normalen Daseinsmitbewerber“. Was haben Sie gänzlich Neues über das Wesen der Deutschen herausgefunden?
Ich habe im Wesentlichen etwas über mich selbst herausgefunden: Dass es sehr viel Spaß macht, sich komplett in die Gedankenwelt und den Rededuktus eines anderen Menschen hineinzudenken. In den USA ist das sogar Lehrfach, in Deutschland leider nicht.

So, wie Sie die Szenen einer Ehe beschreiben, muss dieser Bund die Hölle sein. Eigene Erfahrungen?
Zumindest in diesen kurzen Sequenzen ist sie die Hölle. Darin wird sich jeder, der eine Ehe vollzieht, wiedererkennen. Solche Momente gibt es überall. Wenn zwei Wesen in einer Zwangsgemeinschaft zusammenleben, dann müssen sie irgendwann aneinandergeraten, alles andere wäre furchtbar traurig. Der schlimmste Roman überhaupt wäre eine Geschichte über zwei Menschen, die sich sehr gut verstehen.

Und wie haben Sie für den Text über den zynischen Fleischerei-Fürsten Horst Fritzenkötter recherchiert?
Solche Menschen kenne ich persönlich. Ich trete häufig als „Günther der Treckerfahrer“ bei Firmenjubiläen oder Ähnlichem auf. Kein anderer Satiriker oder Komiker macht sich die Mühe, einen speziellen Text zu einer Branche oder zu einem Menschen zu verfassen, alle spulen bei solchen Veranstaltungen nur Teile ihres Programms ab. Auf diese Art und Weise gewinne ich Einblicke bei ganz unterschiedlichen Branchen. Ich war schon bei Fleischereien, Tiefbauunternehmen oder Tierarztpraxen. Das ist die größte Reise in die Tiefen dieser Gesellschaft. Eines meiner Bücher heißt „Ihr müsst bleiben, ich darf gehen“. Das ist eine großartige Erfahrung. Der von mir beschriebene Fleischereifürst ist der klassische Nachkriegsfirmenpatriarch. Er arbeitet bis zu 80 Stunden die Woche und kontrolliert alles bis ins Kleinste. Mittlerweile scheidet diese Spezies langsam aus dem Arbeitsleben aus.

Was macht Sie so sicher, dass wir uns in der Endphase der satten Jahre befinden?
Das ist eine logische Folgerung: Es geht uns zu gut, das hat auch etwas Unheilverkündendes. Ich mache es gar nicht sachlich daran fest, dass wir der Vollbeschäftigung nahe sind und unser Gesundheitssystem besser funktioniert als in fast allen Ländern Europas und der Welt sowieso. Auf den Zenit kann eigentlich nur der Absturz folgen. Wenn es einem schlecht geht, hat man immer noch die Hoffnung, dass es einem besser gehen kann. Jetzt aber nicht. Ich kenne viele Akadamiker-Elternpaare, deren Kindern es nicht besser geht als ihnen selbst. Das ist eine ganz neue Erfahrung. Nach dem Gefühl der meisten Leute sind die fetten Jahre vorbei.

Muss man als Künstler nicht immer zuversichtlich in die Zukunft blicken, um etwas erschaffen zu können, an dem sich Menschen erfreuen können?
Wischmeyer: Nein. Es gibt viel mehr Romane, Gedichte, Kunstwerke, Musikstücke, die voller Depressionen und Warnungen sind vor dem, was passiert. Außer Rosamunde Pilcher kenne ich kaum einen, der Zuversicht in irgendetwas hat. Zuversicht ist mittlerweile ein Zeichen des Schundromans.

Sind Sie angewiesen auf Wut, um Schreiben zu können?
Es ist ein großer Aderlass, wenn man das schreibend bewältigen kann, was einen wütend macht bzw. durchdrehen ließe. Das ist ein besseren Ventil als mit der Axt durch die Fußgängerzone zu laufen. Ich bin froh, dass mir das Schreiben gegeben ist, nicht, dass ich glaube, ich würde nach der Axt greifen. Aber es ist schon eine Triebkraft. Es macht einfach Spaß, das, was man doof oder dumm findet, in kluge Worte zu fassen. Sogar noch mehr, als sich darüber aufzuregen.

Haben Sie als Künstler ein Ziel, wollen Sie etwas Sinnvolles – den zivilisatorischen Fortschritt sozusagen?
Nein, das wäre Hybris. Ich denke, dass viele Künstler tief im Innersten nicht wirklich glauben, dass sie mit ihrer Kunst etwas bewirken können. „To make the world a better place“ ist eine schöne Floskel, aber es gelingt den wenigsten. Wenn ich überhaupt etwas erreichen will – außer dass ich damit meinen Lebensunterhalt verdiene – , dann will ich, dass die Leute über meine Texte nachdenken. Wenn sie über den Witz und das Lachen zu einer Erkenntnis über sich selbst fänden und sich eine Auszeit aus dem Wahnsinn nähmen, wäre schon viel erreicht. Ich könnte alle Themen meines Buches auch ernsthaft statistisch beschreiben, aber das will man nicht lesen.

Gibt es ein Satiriker-Ethos, dem Sie sich verpflichtet fühlen?
Das Satiriker-Ethos, das alle wie eine Monstranz vor sich hertragen, lautet: „Schlage nie einen Gedemütigten, dem es sowieso schon schlecht geht! Rege dich nur auf über die Mächtigen!“ Ich aber sage: alles Quatsch! Der Satiriker ist ein Hund, der alles anpisst, was ihm im Wege steht. Er ist ungerecht, gemein, verkürzt komplexe Sachverhalte für einen guten Witz. Kurzum: Er ist keine moralische Instanz. Seit den Anschlägen auf die französische Zeitschrift „Charlie Hebdo“ muss ein Satiriker das sein, was früher die Geistlichkeit war: eine Margot Käßmann, aber mit Witz. Das kann und will ich gar nicht leisten.

Darf Satire unsachlich sein und muss sie weh tun?
Die Frage stellt sich nicht, ob sie es soll oder ob sie es darf. Die Satire ist einfach so. Sie würde für einen guten Witz ihre eigene Großmutter fressen. Sobald sie anfängt, moralisierend zu werden, kippt sie ganz schnell über ins Moralinsaure. Man merkt die Absicht und ist verstimmt. Da schüttelt es mich.

Der türkische Präsident Erdogan ist unlängst wegen Majestätsbeleidigung gegen den deutschen Satiriker Böhmermann vorgegangen. Geht heute in der Satire deutlicher weniger als früher?
Das war eher eine skurille Begebenheit, da ist ja kein Blut geflossen, das war alles in Ordnung. Jan Böhmermann hat einen miesen Beitrag geliefert um des Effektes willen, und der Vollidiot Erdogan ist darauf reingefallen. Es war ein Sturm im Wasserglas, kurioserweise mit Auswirkungen bis ins Kanzleramt. Aber man merkt schon, dass eine gewisse Ängstlichkeit besteht. Es gab ja den Vorwurf an Dieter Nuhr, dass er keine Islamwitze mache. Das ist Quatsch! Man kann einem Künstler nicht vorhalten, dass er bestimmte Themen oder bestimmten Gruppen der Menschheit nicht mit Satire bedenkt. Es gibt keine demokratische Satireverteilung. Aber man sollte vielleicht nicht mehr alles sagen und als großer Erdogan-Satiriker vielleicht auch nicht mehr in die Türkei reisen. Das hätte man sich vor fünf Jahren noch nicht vorstellen können.

Können Sie die verstehen, denen bei dieser Massivität von Anschlägen die Lust auf Satire vergeht?
Ich kann alles verstehen, was jemand als Motiv dafür anbringt, bestimmte Dinge nicht mehr zu tun. Warum man aber ausgerechnet Anschläge, die jetzt passieren, zum Anlaß nimmt, nicht mehr satirisch tätig zu werden, verstehe ich nicht. Das sind ja nur die Hotspots des weltweiten Elends. Man könnte genauso gut sagen, dass täglich 30.000 Kinder verhungern und einen davon abhalten, weiter satirisch tätig zu sein. Damit kann ich aber nichts anfangen.

Warum gibt es eigentlich kaum weibliche Satiriker?
Ich könnte jetzt geschlechtsspezifische Motivationsforschung betreiben. Es kann sein, dass es einen Unterschied zwischen Männern und Frauen gibt, ne. Das zu behaupten, ist zwar unpopulär, aber ich will es nicht komplett ausschließen.

Wollen Sie damit sagen, Männer seien aufgrund ihrer geschlechtsspezifischen Eigenschaften eher zu Satire fähig als Frauen?
Ich würde es anders ausdrücken: Meiner Erfahrung nach sind Frauen viel realitätsorientierter als Männer. Männer leben häufig in einer Große-Jungen-Welt, das sieht man an ihren Spielzeugen und ihrer Form der Geselligkeit. Die Kindheit und Jugend ist voller Illusionen und Albernheiten. Womöglich hat es damit zu tun, dass Frauen als Hauptverantwortliche der Nachzuchtbewachung viel näher an der Wirklichkeit sein müssen. Sie haben einen ausgeprägteren Sinn für das Realistische. Dem Mann ist das scheißegel. Er flieht vor Aufzucht und Eigenverantwortung.

Der Trend zur allgemeinen Verprollung und Infantilisierung ist unübersehbar. Wie erklären Sie sich das?
Erstens werden die Leute wirklich blöder. Das wird von allen Seiten in den Medien gefördert. Damit meine ich nicht nur das Unterschichtsfernsehen am Nachmittag, sondern auch seriöse Zeitungen. Ich ärgere mich jeden Tag über das, was ich in der von mir abonniererten Regionalzeitung lese und „Frage des Tages“ heißt. Dabei wird eine Zufallsgemeinschaft auf der Straße befragt, was sie meint zu komplexen Themen wie „Stickoxyd in Diesel-Pkw“ oder „Ob Ex-Kanzler Schröder den Posten bei Rosneft antreten soll“. Meinungsumfragen stehen über Logik und Vernunft, womöglich richtet sich noch die Politik danach. Dadurch verblöden wir.

Und wodurch sonst noch?
Dadurch, dass immer mehr reglementiert wird. Von der Mülltrennung bis zum gerechten Verhalten im Straßenverkehr und der ethisch reinen Mobilität. Irgendwann reicht es mir und dann pinkele ich einfach auf die Straße. Ein positives Ventil ist zum Beispiel das Wacken-Festival, welches zum größten Teil ein Ausbrechen aus der normierten Hygiene ist. Es gibt aber auch die Ultras und Hooligans, die aus dem Gewaltmonopol des Staates ausbrechen. Je mehr Reglementierungen es im Alltag gibt, desto mehr sehnen sich die Menschen nach anarchischen Ausbrüchen.

Wo finden Ihre Ausbrüche statt?
Gott sei Dank gehe ich nicht ins Fußballstadion und schieße mit Bengalos auf Schiedsrichter.

Aber Sie gehen auf die Bühne, das ist ja auch etwas Extremes.
Aber kein Ausbruch, sondern eine sehr disziplinierte Tätigkeit. Die Leute haben es verdient, gut unterhalten zu werden. Da kann ich mich nicht anarchisch betätigen.

Diskutieren Sie gelegentlich mit dem Publikum?
Diskutieren darf man mit mir natürlich nicht. Ich wäre nicht Bühnenkünstler geworden, wenn ich darauf Wert gelegt hätte, dass andere Leute mich ansprechen. Als Kind wollte ich Pastor werden, weil es mich fasziniert hat, 20 Minuten ohne Unterbrechung zu reden. Man suhlt sich in seiner eigenen Rede. Eine der großen Inseln der Glückseligkeit ist, dass die Leute sich zwei Stunden konzentrieren auf jemanden, der auf der Bühne sitzt und spricht. Das ist woanders undenkbar, man lässt heute ja keinen mehr ausreden.

Sie mokieren sich darüber, dass jeder, der heutzutage etwas erlebt, ein Buch darüber schreibt. Motiviert Sie dieser Umstand dazu, noch bessere Bücher zu machen?
Es schreiben mittlerweile auch Leute ein Buch, die nichts erlebt haben. Das ist ja noch viel schlimmer. Heutzutage werden Erlebnisse auf ihre spätere Buchverwertbarkeit hin erst konstruiert. Man lebt so vor sich hin in seinem gut situierten Alltag und überlegt, was man mal so machen kann. Vielleicht mit dem Esel nach Bayreuth latschen und darüber ein Buch schreiben. Weil das Leben sonst zu fad ist. Solche Bücher will ich aber nicht schreiben.

Welches war Ihr bisher extremstes Erlebnis?
Erlebnisse, die einen weiterbringen, sind natürlich Reisen. Nicht zuletzt meine Kurzreise nach Afghanistan im Auftrag der Bundeswehr vor drei Jahren. Man sieht die Truppe mit anderen Augen, wenn man selbst mal da war. Selten waren so viele angenehme und vernünftige Menschen um mich herum, die nicht so sind wie die, die ich dauernd beschreibe. Aus meiner eigenen Dienstzeit hatte ich einen ganz anderen Eindruck von der Bundeswehr. Aber die Auslandseinsätze sehe ich nicht anders als vorher. Es ist schon alles ziemlich zwecklos.

Wie altert man als Künstler in Würde?
Es gibt nicht so viele Kunstsegmente, die einem das ermöglichen. Am besten wäre es natürlich, man ist schwarzer Bluessänger, dann kann einem nichts passieren. Das Schreiben hängt zum Glück nicht von der eigenen Virilität ab. Gut aussehen und jugendlich wirken – das ist alles Quatsch. Ich bin jedenfalls ganz zufrieden mit meinem Job.

In Ihrem Buch stellen Sie die Frage, ob man als Rockfan in Würde altern kann. Früher dachte man, aus Rockmusikfans werden bessere Menschen.
Natürlich nicht. Aus Dackelzüchtern werden ja auch keine besseren Menschen. Ich gehe schon noch zu Konzerten, aber die Art und Weise der Konzerte hat sich geändert. Zuletzt sah ich Heiner Goebbels mit abgedrehter Musik für ein philharmonisches Orchester und einen Güterzug. Ich war tatsächlich auch auf einem Oldiekonzert, hauptsächlich, weil ich wissen wollte, wie das ist. Ich gehe auch zu Schützen- oder Gartenfesten und anderen zeitgeistigen Erscheinungen, um darüber schreiben zu können. Insofern inszeniere ich mein Leben auch ein bisschen nach der Verwertbarkeit.

Dietmar Wischmeyer auf Tour

Der Satiriker zeigt sein neues Programm „Vorspeise zum jüngsten Gericht“ am 13. März um 19.30 Uhr im Kaisersaal in Erfurt. Karten dafür gibt es im Ticketshop unserer Zeitung.

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