Veranstaltungstipps Fettes Brot: "Nostalgie ist ein süßer, schwerer Cocktail"

Das Gespräch führte Steffen Rüth
 Foto: Jens Herrndorff

Fettes Brot thematisiert auf dem aktuellen Album „Lovestory“ die Liebe in all ihren Facetten. Im Herbst gehen die Hop-Hopper mit den Songs auf Tour.

 
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Haben Sie „Lovestory“ in Ihrem eigenen Studio aufgenommen?
König Boris: Auch, aber nicht nur. Wir haben unseren gewohnten Kosmos einige Male verlassen, um ein bisschen Luft an die Musik zu lassen. Wir waren in einer alten, zum Studio umgebauten Dorfschule in Niebüll auf dem Festland direkt vor Sylt, um Songs zu schreiben und Musik zu machen.

Der Protagonist im Song „Denxu“ erlebt „Küsse auf Sylt“. Sind Sie zum Knutschen manchmal rübergefahren auf die Insel?
Die Küsse haben tatsächlich wie beschrieben nach Salz geschmeckt, und sie haben stattgefunden, allerdings nicht auf Sylt. Unsere Musik ist immer eine Mischung aus Erlebtem, Gehörtem und Erfundenem. Aber sie basiert nicht auf Tagebucheinträgen.

Der Refrain erinnert sehr stark an jenem der Selig-Ballade „Ohne Dich“.
Boris: Ja, der war die Initialzündung für diesen Song. Bei Selig klingt der Satz allerdings etwas anders und auch vorwurfsvoller. Bei uns ist „Denkst du vielleicht manchmal an mich?“ eher ein schüchternes Hoffen.
Björn Beton: Im Kern geht es in dem Song um jemanden, der zurückdenkt an die Vergangenheit.
Boris: Verflossene Beziehungen kennt schließlich fast jeder. Interessanter ist, wie überraschend emotional die Erinnerungen nach 20 Jahren oder so plötzlich wieder aufpoppen können.
Dokter Renz: Man sieht sozusagen die Weiche, die man damals hätte anders stellen können.

Auf den Job bezogen kann man sagen: Sie machen seit einem Vierteljahrhundert, seit dem Ende Ihrer Schulzeit, hauptberuflich Hip-Hop. Würden Sie sichheute nochmal so entscheiden?
Boris: Ja, auf jeden Fall. Wie eine Entscheidung hat sich das aber nicht angefühlt. Es war eine Entwicklung, in die man reingestolpert ist.
Björn: Aber es war unsere Entscheidung, dieser Entwicklung eine Chance zu geben.
Wird man zwangsläufig nostalgischer, je älter man ist?
Björn: Man hat zwangsläufig mehr Erinnerungen und kann die besser einordnen. Aber ob man stärker in der Vergangenheit lebt, das ist typabhängig.
Renz: Wir sind Menschen, die sich gern mal mit der Vergangenheit beschäftigen, aber sich noch lieber in der Gegenwart aufhalten. Nostalgie ist für uns als Künstler ein tolles Mischgefühl aus Traurigkeit, Sehnsucht und Hoffnung. Ein süßer, schwerer Cocktail, an dem man zur Inspiration ab und zu mal nippt.
Björn: Wir neigen nicht dazu, verpassten Chancen nachzutrauern oder uns über die Fehler von früher zu ärgern. So, wie es war, war es cool und supergut.
Boris: Wir haben uns ja 2017 mit „Gebäck In The Days“, unserer Live-Raritäten-Sammlung von Songs zwischen 1993 und 2000, intensiv mit der eigenen Vergangenheit beschäftigt. Deshalb ist jetzt wieder Platz für den Blick nach vorn.

Für ein Liebesalbum klingt „Lovestory“ auffallend hell, fröhlich, optimistisch und funky.
Boris: Danke. Ja, das ist keine balladeske Kitschkiste geworden, sondern wirklich eine Platte mit viel Energie.

Wie kam es überhaupt zu dieser thematischen Selbstbeschränkung?
Renz: Als wir die ersten Songs aufnahmen, ragten jene Stücke besonders heraus, die mit Liebe zu tun hatten. Also haben wir beschlossen, uns ganz auf Liebesgeschichten zu konzentrieren, was uns wiederum dazu inspiriert hat, auch andere Nummern wieder reinzuholen, die wir eher außerhalb gesehen hätten, die aber die Liebe aus anderen Perspektiven betrachten.

Das Album beginnt mit „Ich liebe mich“, einer Ode an die Selbstliebe.
Boris: Richtig. Klingt nach einer Plattitüde, aber stimmt: Wenn man Schwierigkeiten hat, sich selbst zu mögen, hat man auch Probleme, andere Menschen zu mögen.
Björn: Der Song ist leichtfüßiger, als es den Anschein hat. Ein schweres Thema lässig vorgetragen.

Sind Sie soweit zufrieden mit sich?
Boris: Völlig frei von Selbstzweifeln und Optimierungsgedanken sind wir nicht. Doch gerade im Internet muss man manchmal bewusst gegensteuern und Sachen ausblenden und ignorieren, damit sie einen nicht verrückt machen.
Björn: Zu denen, die sich in den sozialen Medien toller darstellen als sie sind, gehören wir nichtt.
Renz: Es gibt so eine Stimme, die einem zuflüstert: „Du bist uncool, lahm, alt, unfunky“. Diese Stimme sollte man nicht füttern. Ich spüre immer einen wahnsinnigen Sog, alles, was im Netz über uns steht, aufzusaugen. Dann gebe ich mir einmal so eine Überdosis, bevor ich merke, das tut mir nicht gut.

In „Deine Mama“ rappt ihr darüber, lieber mit den Müttern als mit den Töchtern ins Bett zu wollen. Aus welcher Laune heraus ist der Song entstanden?
Boris: Wir wurden so ab Ende 30 oft auf unser Alter angesprochen. So nach dem Motto „Wie lange könnt ihr das noch machen?“ oder „Ist Rap in eurem Methusalem-Alter überhaupt noch angemessen?“. Da muss man sich erst Mal dran gewöhnen, und jetzt ist die Zeit gekommen, wo wir humorvoll mit diesem Thema umgehen können. Also singen wir nicht, dass wir alt geworden sind, sondern dass die Frauen, auf die wir stehen, jetzt älter sind.
Renz: Die Mutter kommt im Hip-Hop ja oft schlecht weg. Dem wollen wir entgegenwirken.
Boris: Die Beleidigung „Ich ficke deine Mutter“ nehmen wir in diesem Fall wörtlich (lacht).

Ist man irgendwann alt genug dafür, dass einem das Alter egal ist?
Boris: Die Fantastischen Vier sind noch viel älter als wir. Jay Z ist in unserem Alter – und mit Beyoncé zusammen!
Renz: Oder unsere Idole von De La Soul. Auch die zwei verbliebenen Beastie Boys sind in allen Ehren ergraut.
Boris: Unser Alter sagt über die Qualität und die Freshness unserer Musik relativ wenig aus.

„Lovestory“ klingt jedenfalls nicht wie eine Altherrenplatte, sondern fast schon ungestüm.
Björn: Während der Beschäftigung mit unserem Frühwerk haben wir versucht, herauszuhören, was damals schon gut an uns war, als wir noch nicht so viel nachgedacht, sondern einfach gemacht und unseren Hobby gefrönt haben. Wir waren selbst überrascht, wie viele Songs von damals immer noch geil sind.
Boris: Und so hat auf subtile Art ein gewisses klassisches Fettes-Brot-Feeling den Weg auf das neue Album gefunden.

Finden Sie Ihren wohl größten Hit „Jein“ zum Beispiel noch cool?
Boris: Ja, den müssen wir einfach lieben. Schon allein, weil so viele Leute diesen Song verehren und wir ihm unheimlich viel zu verdanken haben.
Björn: Wir sind heute selbst von der Magie dieses Liedes begeistert und blicken mit Hochachtung auf ein Werk, das wir heute so nicht mehr hinkriegen würden. „Jein“ war ein kleiner Geniestreich. Darin nehmen wir ja das große Dilemma der heutigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen vorweg, die sich irgendwie entscheiden müssen, sich dann aber nur für das Verharren in der Entscheidungslosigkeit entscheiden.

„Du driftest nach rechts“ ist die am deutlichsten politische „Lovestory“. Zu einem Disco-Beat im Stile von Nile Rodgers geht es um ein Paar, das sich entfremdet, weil ein Partner politisch abgleitet. Wie soll man in so einem Fall reagieren?
Renz: Man sollte so eine Entwicklung nicht aussitzen. Sondern die Dinge deutlich ansprechen, sich mit dem Partner oder der Partnerin auseinandersetzen und notfalls trennen, wenn eine gemeinsame Wertebasis nicht mehr da ist.

Haben Sie Freunde, die politisch rechts denken?
Boris: Uns ist das Phänomen, das Leute aus dem näheren und weiteren Umfeld plötzlich und speziell in den letzten zwei, drei Jahtren mit kruden Theorien und merkwürdigen Meinungen um die Ecke kommen, durchaus bekannt. Aber rechte Freunde? Das würde ich verneinen.
Renz: Der Song beschreibt letztlich das Phänomen, dass man in seiner linkeren Blase sitzt und merkt, wie das rechte Gedankengut näherkommt. Früher hockten die Nazis klar erkennbar am Bahnhof herum, heute wird eigentlich Unsagbares auch wieder von scheinbar bürgerlichen Leuten gesagt. Das bezieht sich nicht nur auf rechte, sondern auch auf frauenfeindliche und homophobe Gedanken. Ich höre oft Sachen, wo ich denke „Wier waren schon mal weiter“.

Sie halten mit „Opa und Opa“ dagegen, einer schönen Liebesgeschichter zweier Männer, die zusammen alt geworden sind.
Björn: Die beiden haben auch viele Situationen überstanden, die nicht so schön waren. Sie mussten mehr hindernisse überwinden als das durchschnittliche heterosexuelle Paar. Trotz allem war es ein gelungenes Leben.

Haben Sie als Urgesteine eigentlich noch den Überblick über die unzähligen Deutschrapper, die seit geraumer Zeit die Charts dominieren?
Ja und nein. Immer wieder sind relativ neue Leute dabei, die einen begeistern. Trettmann zum Beispiel fanden wir schon immer gut, und wir freuen uns total darüber, dass er sich so gut entwickelt. Viele andere dieser Rapper erzählen jedoch so einen Müll, dass wir gar keine Lust hätten, sie kennenzulernen.

Fettes Brot auf Tour

Die deutsche Hip-Hop-Gruppe tritt am 24. Oktober um 20 Uhr in der Heinrich-Lades-Halle in Erlangen auf. Karten sind im Ticketshop unserer Zeitung erhältlich.

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