Veranstaltungstipps Gene Simmons von Kiss: "Wir können nicht ewig weitermachen"

Das Gespräch führte Steffen Rüth
 Foto: Jen Rosenstein

Die Rock-Ikonen von Kiss gehen auf Abschiedstournee – nach einer geschichtsträchtigen 45-jährigen Karriere. Wir sprachen mit Sänger und Bassist Gene Simmons.

 
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Mr. Simmons, wird „The End Of The Road“ definitiv die letzte Tournee von Kiss sein?
Ja! Wir haben Kiss 45 Jahre lang betrieben, wenn wir mit der Tour, die eine sehr lange Tour sein wird, fertig sind, werden es 48 oder 49 Jahre sein. Das muss genug sein.

Dann können Sie die 50 auch noch voll machen, oder?
Möglich ist alles. Aber nur, wenn es sich gut und vernünftig anfühlt.

Jetzt ist es also vernünftig, mit Kiss aufzuhören. Warum? Sie sind doch noch nicht mal 70.
Am Ende der Tour werde ich ungefähr 72 sein. Das ist ein gutes Alter, um Schluss zu machen. Man sollte gehen, wenn man noch an der Spitze steht. Und nicht, wenn einen die Leute anfangen zu bedauern. Seien wir doch mal ehrlich: Da draußen gibt es jede Menge Kollegen, die immer noch auftreten, obwohl sie noch nicht einmal mehr richtig stehen können. Diese Musiker sollten dort nicht sein, es tut weh, ihnen zuzuschauen.

Ist es nicht längst normal, mit weit über 70 oder gar über 80 noch live zu spielen?
Schauen Sie, wenn ich bei den Rolling Stones spielen würde, dann könnte ich in Turnschuhen und einem T-Shirt auf die Bühne gehen und meine Songs vortragen, bis ich 80 bin. Kein Problem. Die Stones machen das super. Aber ich spucke Feuer, fliege durch die Luft, trage Stiefel mit 18 Zentimeter langen Absätzen und eine Montur, die 20 Kilo wiegt. Kiss ist die am Härtesten arbeitende Band im Showbusiness. Wenn du Mick Jagger in mein Outfit stecken würdest, dann kippt der die nach spätestens einer halben Stunde aus den Latschen.

Haben Sie das je probiert?
Was?

Jagger Ihre Rüstung anzuziehen.
Oh nein. Er wäre weggelaufen.

Kiss ist ein erfolgreiches Wirtschaftsunternehmen. Wie fällt man so einen Entschluss, dass die nächste Tour die letzte ist?
Das ging ohne Dramen vonstatten. Und zügig. Wir trafen uns, sprachen über die kommende Tour und auch darüber, dass wir uns nicht vorstellen können, danach noch weiterzuspielen. Wir können nun einmal nicht ewig weitermachen, das muss man auch akzeptieren. Diese Tournee wird die beste und spektakulärste, die wir je unternommen haben. Uns allen geht es richtig gut. Niemand hat Drogenprobleme oder steckt sonst wie in Schwierigkeiten.

Sie selbst sollen Drogen ja nie angerührt haben.
Ich fand es immer bescheuert, besoffen oder breit sein zu wollen. Wofür soll das gut sein? Kein Betrunkener sagt etwas Kluges. Und wenn du dicht bist, benimmst du dich wie ein Idiot, Punkt.

Aber sollte man es nicht mal ausprobieren?
Ich hatte nie den Eindruck, etwas zu verpassen. Im Gegenteil. Ich war in meinem ganzen Leben nie betrunken, ich rauche auch keine Zigaretten, und Drogen nehme ich schon gar nicht. Das interessiert mich alles nicht im Geringsten. Ich hatte übrigens auch noch nie eine Massage. Mir ist es wichtig, gut zu schlafen, gut zu essen und mich ausreichend zu bewegen. Ich mag lange Spaziergänge.

Und ausgerechnet Sie fungieren jetzt als sogenannter „Chief Evangelist Officer“ des Cannabis-Unternehmens Invictus.
Ja, aber ich predige in dieser Funktion ausschließlich über den medizinischen Aspekt. Cannabis kann Epilepsie heilen, das ist ein Meilenstein. Ich selbst nehme kein Marihuana, ich habe noch nie gekifft. Aber die Leute sollten die Möglichkeit haben.

Sie sind an einer ganzen Reihe von Unternehmen beteiligt. Sorgen Sie vor, dass Ihnen nach dem Ende von Kiss nicht die Decke auf den Kopf fällt?
Ich bin an vielen Dingen interessiert und ja, ich verdiene gerne Geld. Daran ist nichts falsch. Ein Rentnerleben ist für mich allerdings so oder so keine Option. Nichtstun ist Mist. Du wirst fett und schwach und fängst an zu sterben. Ich will überhaupt noch nicht sterben.

Was haben Sie sich für die Abschiedstournee denn eigentlich konkret vorgenommen?
Wir werden Songs aus jedem Jahrzehnt spielen, angefangen in den 70ern, bis zu unserem letzten Studioalbum „Monster“ aus dem Jahr 2012. Wir werden eine brandneue Show haben, mit neuer Technologie und nie gesehenen Effekten. Und wir wollen an Orten spielen, wo wir noch nie waren. Die Welt ist ein großer Ort. Wir werden zum ersten Mal überhaupt in meinem Geburtsland auftreten.

In Israel.
Richtig, wir werden in Israel spielen. Und in Afrika, in China, wir werden jeden Stein umdrehen.

Wird das erste Israel-Konzert in der Geschichte von Kiss ein besonderes Ereignis für Sie sein?
Nun, natürlich. Ich erinnere mich noch gut an meine Kindheit in Israel. Wir waren arm, das ganze Land war gerade erst gegründet worden, jeder packte mit an. Aber ich habe das einfache Leben geliebt. Und sogar Fische kehren irgendwann an den Ort zurück, an dem sie geboren wurden.

Sie kamen als Chaim Witz 1949 in Haifa zur Welt und wanderten nach der Trennung Ihrer Eltern mit Ihrer Mutter als Achtjähriger nach New York aus, arbeiteten als Redaktionsassistent bei der „Vogue“ und als Lehrer, bevor Sie Anfang der Siebziger mit dem Gitarristen Paul Stanley Kiss gründeten. Woran denken Sie, wenn Sie sich an die Zeit damals zurückerinnern?
An unser Silvesterkonzert 1973. Wir spielten vor 3000 Leuten in New York, zusammen mit Blue Oyster Cult und Iggy Pop. Sie gaben uns 30 Minuten, und nach einer Viertelstunde fing mein Haar an zu brennen. Ich konnte noch nicht so gut Feuerspucken, wissen Sie. Und dann wollte uns das Publikum nicht mehr von der Bühne lassen, alle waren begeistert, Musikzeitschriften brachten auf der Titelseite Fotos von mir, brennend. Plötzlich lief es sehr, sehr gut. Und dafür, dass es noch kein Internet gab, sprach es rasend schnell herum wer wir sind.

Wussten Sie nach dieser Show, dass Großes passieren würde?
Ich weiß noch, dass ich die ganze Neujahrsnacht vor Aufregung nicht schlafen konnte. Unsere Phantasie kannte tatsächlich keine Limits, unsere Träume waren groß. Doch ich wusste immer, dass man hart arbeiten muss, damit aus Träumen die Realität wird. Und dass du Opfer bringen musst. Es ist ein schweres Leben. Du verlierst Freunde, Ehen zerbrechen, nur sehr wenige Bands überleben 45 Jahre.

Ihre Mutter Flora, eine aus Ungarn stammende Jüdin, die Anfang Dezember mit 92 Jahren verstorben ist, überlebte mehrere Konzentrationslager. Wie ist Ihr Verhältnis zu Deutschland?
Es könnte nicht besser sein. Ich freue mich auf Schnitzel, Apfelstrudel mit Schlag, Gulaschsuppe (sagt das alles auf Deutsch). Ich mag das Essen sehr gerne und liebe die schönen deutschen Frauen.

Und sonst?
Ich bin ein Bewunderer der deutschen Geschichte. Preußen, Bismarck, ich liebe diese Epoche. Deutschland ist ein faszinierendes Land und tatsächlich ja auch ein sehr junges Land. Vor 1870 gab es kein Deutschland in der heutigen Form, denn alle waren immer im Krieg miteinander. Frankreich, England oder sogar die Vereinigten Staaten waren zu dem Zeitpunkt schon längst gegründet und prosperierten.


Kiss auf Abschieds-Tour

Die amerikanische Hardrock-Band kommt unter dem Motto „End of the Road“ nach Deutschland und tritt am 30. Mai um 19.30 Uhr auf dem Königsplatz in München auf. Karten gibt es im Ticketshop unserer Zeitung.

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