Johannes, bei einigen Ihrer neuen Lieder lässt das Stadion schön grüßen. Hymnen wie „Kreise“ oder „Leuchtschrift (Große Freiheit)“ erinnern an Coldplay. Ist das die Liga, in die Sie drängen?
Na, soll ich jetzt „nein“ sagen (lacht)? Ich denke beim Komponieren schon auch ans Livespielen, klar. „Kreise“ ist für mich sowieso die wichtigste Nummer der Platte, sie vereint zwei große Gefühle: Traurigkeit und Sehnsucht auf der einen, Hoffnung auf der anderen Seite. Je nach deiner eigenen Stimmungslage ist das Lied entweder nachdenklich oder voll aufmunternd. Sowieso bin ich sehr selbstbewusst, was die neuen Songs angeht und wirklich stolz auf dieses Album.

Steht das irgendwo in Ihrem Plattenvertrag, dass Sie das sagen müssen?
Nein, das meine ich wirklich von Herzen. Es tut gut, wenn man sieht, wie die Entscheidungen, die man über Jahre getroffen hat, richtig waren und Sinn ergeben. Die Verkaufszahlen steigen noch immer mit jedem Album, die Hallen werden größer und größer. Es läuft. Und auch ich werde immer besser, bringe mir neue Sachen an Klavier und Gitarre bei, komme mit meiner Sprache stärker auf den Punkt. Bei Lindenberg, Westernhagen oder Grönemeyer hat es auch erst drei, vier Platten gebraucht, bis der erste Meilenstein kam. Vielleicht sagt man später mal über „Kreise“, das sei mein „Bochum“ gewesen.

Stilistisch lassen Sie sich auf dem Album nicht festnageln. Im weitesten Sinne ist alles Pop, aber kaum ein Stück klingt wie das nächste.
Das war Absicht! Die Platte sollte so richtig schön bunt werden. Ich wollte einfach mal alles zeigen, was ich kann. Live haben wir immer schon viel Soul, Funk und HipHop gemacht, das sollte jetzt auch mal aufs Album. Ich will mich in kein Soundkorsett stopfen. Das ist vielleicht auch das, was mich von anderen Jungs mit Gitarre unterscheidet.

Über das Genre „Jungs mit Gitarre“ wurde sich zuletzt ein wenig lustig gemacht. Wie findesn Sie das?
Völlig in Ordnung. Ich mache ja selbst auf der Bühne meine Gags über die anderen, und die lästern sicher auch über mich. Wir nehmen das nicht so ernst, wenn wir in eine Schublade geworfen werden. Sicher, wir sind schon alle deutschsprachige Popsänger, die eher die emotionalen Sachen erledigen. Aber jeder hat seinen eigenen Dreh. Allein vom Sound und mit meiner etwas höheren Stimme kann ich mich gut von den anderen abgrenzen.

„Zwischen Mann und Kind“ heißt einer der neuen Songs. Ist man mit 35 nicht so langsam erwachsen?
Das ist die Frage. Die Zeile spukt schon seit Jahren in meinem Kopf herum, jetzt endlich ist mir ein Song dazu eingefallen. Wir Künstler sind ja irgendwo in der Berufsjugendlichkeit hängengeblieben, einerseits. Auf der anderen Seite führt man ein kleines Unternehmen, hat Mitarbeiter, ein Team. Alles in allem steckt noch viel vom jugendlichen Johannes in mir. Ich mag das Unbeschwerte, ich ziehe immer noch gerne nachts um die Häuser und lebe den Rock’n‚Roll. Ich bin auch noch nicht zu alt für so ein Leben. Mit 50 will ich allerdings nicht mehr mit Käppi rumlaufen.

Ihre Freundin Ina Müller ist Anfang 50. Findet sie Ihre Berufsjugendlichkeit cool oder sagt sie „Johnny, werde mal erwachsen?“
Nee, das hat sie noch nie zu mir gesagt. Sie meckert manchmal, dass ich rumrennen würde wie ein Schuljunge, doch wir mögen uns schon so, wie wir sind. Und das bereits seit acht Jahren. Den anderen ändern zu wollen, das würde auch nicht klappen.

Sie lassen sich bei aller Nähe auch viel Freiheit, oder?
So ist es. Wir sind beide Künstler, beide sehr selbständig und irgendwo auch egozentrisch. Ich zum Beispiel bin relativ rastlos und eigentlich lieber im Tourbus und in Hotels als zuhause.

Wohnen Sie immer noch in Ihrer WG im Schanzenviertel?
Ja, seit neun Jahren. Die Schanze ist mein Dorf, zwischendurch habe ich hier auch mal alleine gewohnt, jetzt wieder in einer WG. Ich versuche, mein privates Leben relativ normal zu gestalten. Aber es hat sich verändert. Ich bin wirtschaftlich ganz gut aufgestellt und lebe nicht mehr wie mit 20, als ich mit der Musik anfing und nicht wusste, wie die Miete reinkommen soll. Ich habe einen relativ durchschnittlichen Lebensstandard, glaube ich. Wenn ich irgendwo hin will, dann nehme ich nicht den Chauffeur, sondern die Bahn.

1. Klasse?
Manchmal. Je nach Uhrzeit und Strecke. Gerade im ICE von und nach Berlin kennt man immer zig Leute, da will man schon mal seine Ruhe (lacht).

Sie haben vor den Albumaufnahmen eine große Reise nach Australien gemacht. Wie war das?
Großartig. Ich hatte mich für zwei Monate komplett rausgezogen. Erst war ich Inselhüpfen in Thailand, und dann bin ich spontan das erste Mal nach Australien geflogen. Ganz alleine. Ich war der klassische Backpacker, die meisten der Leute, die ich so traf, hatten gerade Abi gemacht oder waren am Studieren.

Was haben Sie alles gemacht?
Och, ich habe mich treiben lassen. Bisschen Touriprogramm, aber nicht viel, Sydney, Fraser Island, Jeeptour, Brisbane. Es war wunderschön.

„Im Lied „Unser Himmel ist derselbe“, das Sie in Australien geschrieben haben, sagen Sie„Ich fühl‘ mich wieder wie 18“. Waren Sie auf der Suche nach diesem Teenagergefühl?
Ja. Ich hatte sowas damals alles nicht gemacht, ich war auch in der Oberstufe nicht für ein Jahr in Amerika wie so viele andere in meinem Jahrgang. Ich bin total froh, dass ich das jetzt durchgezogen habe.

War es wichtig, diese Reise allein zu machen?
Ja. Ich wollte ausprobieren, wie das ist. Ich habe zwei Dinge dabei gelernt: Dass ich gut mit mir selbst klarkomme. Und dass ich bei komplett Fremden ein relativ schüchterner Mensch bin. Leute anzusprechen, war gar nicht so leicht, auch weil ich irgendwie immer der Älteste war.

Wo hatten Sie die Idee zu „Unser Himmel ist derselbe“?
Auf Fraser Island. Wir saßen abends zusammen, dreißig Leute aus aller Herren Länder, einer brachte ein Didgeridoo mit, es war eine grandiose Stimmung, die ich unbedingt festhalten wollte.

Wer wird denn auf der Bühne das Didgeridoo spielen, das ja gar nicht so leicht zu lernen ist?
Das macht unser Bassist Robin. Bis zum Herbst hat er noch Zeit, das zu lernen.

In „Hundert Leben“ erinnern Sie sich an die Jugend. Irgendwie zieht sich dieses Thema durchs Album.
Das ist mir auch aufgefallen. Mitte 30 ist wohl das passende Alter für eine erste Bilanz. Früher habe ich immer nur nach vorne geguckt, jetzt blicke ich auch mal zurück und denke „Was war denn bislang?“ Nämlich zwanzig Jahre Dorfleben im Münsterland und fünfzehn Jahre Stadtleben in Hamburg.

Wo fühlst Du dich wohler: In der Stadt oder auf dem Land?
In der Stadt. Die Reizüberflutung tut mir gut. Es ist wichtig für mich, dass ich Geschichten erlebe und auch mal Grenzen überschreite. Als Songschreiber bin ich immer auf Empfang.

Du sagst in dem Stück, dass Du jetzt genauso aussiehst wie dein Vater mit 40. Stimmt das?
Ja, ganz extrem. Meine Theorie ist: Ab etwa 30 fängst du nicht nur an, wie deine Eltern auszusehen, sondern auch, dich wie deine Eltern zu benehmen. Mein Vater und ich, wir trinken zum Beispiel beide unseren Kaffee am liebsten, wenn er schon fast kalt ist. Rein äußerlich ähnele ich mit den blonden, schulterlangen Haaren allerdings gerade mehr meiner Mutter.

In deiner Plattenfirma gab es Unmut über die neue Frisur. Bist Du sauer deswegen?
Alle finden die Haare schlimm, also lasse ich sie weiterwachsen. Jetzt erst recht. Das begann aus Faulheit, dann kam die Neugier, und jetzt ist es Trotz. Als ich aus Australien zurückkam, hatte ich sogar einen richtigen Vollbart. Vielleicht lasse ich auch den wieder sprießen.

Was sagt deine Freundin eigentlich zu „Zieh dich aus“?
Sie schmunzelt. Der Song ist meine Hommage an Prince, sehr oberflächlich, und sehr funky. Es geht um einen kurzen Moment der Geilheit, den ich mit einem Augenzwinkern festgehalten habe. Ich weiß: Das ist wahnsinnig sexistisch, aber auch das ist Teil der Realität. Der klischeehafte Mann guckt meistens Fußball und trinkt Bier, und manchmal will er eben Sex. Ich bin halt auch nur so ein Mann, zumindest ab und zu.

Johannes Oerding live
Der Sanger und Songschreiber gibt am 25. Oktober um 20 Uhr ein Konzert im Haus Auensee in Leipzig. Karten dafür gibt es bei im Ticketshop unserer Zeitung.