Veranstaltungstipps Revolverheld: "Wir mussten uns neu erfinden"

Das Gespräch führte Olaf Neumann
 Foto: Benedikt Schnermann

Revolverheld macht deutschsprachige Musik – mit Erfolg. Vor Kurzem ist das fünfte Album „Zimmer mit Blick“ erschienen. Wir sprachen mit dem Sänger Johannes Strate.

 
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Johannes Strate, wie findet man die „Stille im Lärm“?
Indem ich immer wieder auch Sachen nur für mich mache. Ich verreise mal für ein Wochenende alleine oder gehe auf Tour alleine spazieren. Früher konnte ich das nicht so gut, aber in den letzten Jahren habe ich gelernt, alleine zu sein. Das macht vielleicht auch das Alter.

Ein Lied auf Ihrem Album heißt „Liebe auf Distanz“. Wie autobiografisch ist dieser Song?
Sehr. Ich hatte mit meiner Freundin vier Jahre eine Fernbeziehung zwischen Hamburg und Köln. Es war das klassische Love-on-the-Weekend-Ding. Das kann einen ganz schön zermürben und irgendwann fragt man sich, ob das alles Sinn macht. Gottseidank haben wir durchgehalten und irgendwann ist sie nach Hamburg gekommen.

Muss man sich Ihr Leben als eine Mischung aus Nähe und Distanz vorstellen?
Ein bisschen schon. Zum Glück bin ich meistens nur in Deutschland, Österreich und der Schweiz unterwegs. An einem freien Tag fliege ich immer nach Hause oder meine Familie kommt mich irgendwo besuchen.

Müssen Sie bei diesem ständigen Hin und Her vorsichtig sein, dass die Seele noch hinterherkommt?

Es sind manchmal wirklich so viele Eindrücke, dass meine Seele sich eingeengt fühlt. Dann werde ich mürrisch und abweisend. Ich bin heute aber nicht mehr so gestresst und gehetzt wie noch vor zehn Jahren. Es gibt so viele Sachen, die wichtiger sind als der Job. Gerade wenn man ein Kind hat, relativiert sich vieles von dem, was man sonst als dramatisch empfindet.

Was kann für einen Musiker wichtiger sein als Songs zu schreiben und Konzerte zu spielen?
Manchmal ist es einfach wichtiger, mit meinem Jungen schwimmen oder auf den Spielplatz zu gehen. Es ist immer die Frage, in welcher Lebensphase ich gerade bin. Eigentlich halten Job und Privatleben sich bei mir die Waage.

Welches ist das „dickste Haar in der Suppe“ Ihres Lebens?
Ich versuche immer mehr, das Leben so zu nehmen wie es ist – mit allen Rückschlägen und schönen Dingen, die passieren. Ich bin sehr demütig, was mein Leben angeht. Mir geht es sehr gut, ich habe eine tolle Familie und eine tolle Band. Deswegen gibt es eigentlich kaum Haare in meiner Suppe. Und wenn, dann schlucke ich sie einfach runter.

Welchen Tribut fordert die Kunst? Ist ein bahnbrechendes Werk ohne Weiteres zu haben?
Nein, das ist in der Tat sehr anstrengend. Da muss man schon gucken, dass man nicht auf der Strecke bleibt. Songschreiben ist ein emotional sehr anstrengender Prozess. Entweder man gibt viel von sich preis oder man schreibt eine Geschichte auf, die einen sehr aufwühlt. Wenn ich einen traurigen Song schreibe, bin ich danach erst einmal selbst tief traurig. Ich bin sehr sensibel und kann mal himmelhoch jauchzend und mal zu Tode betrübt sein.

Können Sie immer noch fühlen, wie Sie das erste Mal bei einem Song geweint haben?
Das Gefühl hatte ich schon öfter. Bestimmte Songs von Sting oder Eddie Vedder berühren mich sehr. Sie waren und sind für mich eine große Motivation, selber etwas zu kreieren.

Haben Sie beim Schreiben der aktuellen Platte Dinge über sich herausgefunden, die Ihnen vorher nicht klar waren?
Das Schreiben verändert mich als Mensch. Ich war jetzt überrascht, wie positiv und gut ich mit elektronischer Musik umgehen kann. Unsere Produktion ist total auf links gedreht. Wir haben zuerst die Synthis und Gitarren aufgenommen und erst dann den Bass und den Gesang. Am Ende kamen das Schlagzeug und viel programmiertes Zeug dazu. Da musste ich schon sehr über meinen eigenen Schatten springen.

Angeblich ärgert zu viel Neues die Zuhörer.
Das kann gut sein, aber wir machen das in erster Linie für uns selbst, damit wir uns die Freude am Musikmachen erhalten. Nach der Unplugged-Platte war uns klar, dass wir uns mal wieder neu erfinden mussten.

Welche Lehrbücher haben Sie diesmal mit im Studio gehabt?
Kris und ich schreiben die Songs. Wir haben uns gegenseitig unsere Ideen vorgespielt und versucht, einen Sound für das Album zu finden. Dann haben wir die Stücke gemeinsam mit der Band arrangiert und sind ins Studio gegangen. Da werden viele Prozesse durchlaufen. Am Ende kommt dabei entweder ein gutes Album raus oder manchmal nur Schrott.

Erwarten Sie von sich nach wie vor sagenhafte Abenteuer und wunderbarste Dinge, die Ihnen als Künstler passieren würden?
Ich bin nicht mehr daran interessiert, dass alles noch schneller, größer und toller wird. Über den Punkt bin ich hinweg. In den letzten Jahren ist es für uns großartig gelaufen, und ich würde mir wünschen, dass wir weiterhin schöne Konzerte spielen können.

Was fasziniert Sie daran, auf einer Bühne zu stehen?
Wenn ein Song, den man irgendwo im stillen Kämmerlein geschrieben hat, von tausenden von Leuten mitgesungen wird, ist das wirklich ein verrücktes Gefühl. Ich bin in dem Moment voller Freude, aber manchmal bin ich auch nervös. Ein bisschen Aufregung ist immer gut, aber ich kann mich nicht die ganze Zeit damit beschäftigen. Dann würde ich ja irre werden.

Muss man alles, über das man singt, selbst durchlebt haben, um authentisch zu sein?
Nein, das muss man nicht. Viele Geschichten werden einem erzählt oder man erlebt sie mit, aber nicht als Hauptperson, sondern nur am Rande. Und natürlich gibt es die künstlerishe Freiheit, aber ein Lied kann trotzdem sehr authentisch sein.

Was ist die Aufgabe eines Künstlers?
Man muss aufmerksamer Beobachter seiner Außen- und Innenwelt sein und das Talent haben, Geschichten so einzufangen, dass die Zuhörer sie nachvollziehen können.

Wollten Sie schon als Kind Musiker werden?
Meine Eltern sind beide Musiker. Ich fand es immer faszinierend, wie viel Spaß sie bei ihren Konzerten hatten und wie viel Freude sie den Menschen machten. Das wollte ich auch. Und ich fand es spannend, selbst etwas zu kreieren. Wenn man es schafft, mit eigen Inhalten Leute zu erfreuen, ist das großartig.

Der melancholische Song „Zimmer mit Blick“ beschäftigt sich mit den unruhigen und gefährlichen Zeiten, in denen wir leben. Was machen die vielen schlechten Nachrichten mit Ihnen?
Ich nehme das natürlich wahr und kann es für mich einordnen. Wichtig ist, dass man dabei eine Haltung hat. Es geht nicht, sich immer in seine Komfortzone zurückzuziehen, was wir in dem Song als „Zimmer mit Blick“ bezeichnen. Man kann in der heutigen Zeit nicht mehr sagen: „Davon habe ich nichts gewusst“. Wir müssen alle unsere Komfortzone verlassen und gucken, was wir zu dem Großen und Ganzen beitragen können. Das haben die Generationen vor uns auch gemacht. Unsere Großeltern mussten sich noch nachts im Bunker verstecken; das ist für uns undenkbar. Aber so weit weg ist das gar nicht. Das wir es seitdem geschafft haben, all diese Länder und Mentalitäten in Europa zusammenzuführen, ist eine große Errungenschaft. Wir können es nicht hinnehmen, dass irgendwelche populistischen Kräfte das wieder auseinandersprengen. Wir müssen zusammenstehen und zusehen, dass der gesunde Menschenverstand am Ende siegt.

Wie bringt man Populisten aus dem Takt?
Mit Dialog. Die Populisten nutzen die Unwissenheit und die Ängste derjenigen aus, die es nicht besser wissen. Man muss mit den Menschen sprechen, die komische Parolen von sich geben. Das hat die Politik wahrscheinlich versäumt. Deswegen kann die AfD von links und rechts die Versprengten abgreifen. Die müssen jetzt wieder mit integriert werden. Und was Klimapolitik angeht, muss man sich überlegen, mit welchem Verkehrsmittel man in welches Land reist. Oder was man wo einkauft. Es ist ehrlich gesagt einfach, sich ein Konsumverhalten anzueignen. Das wird für die nächsten Generationen selbstverständlich werden. Ich glaube nicht, dass mein Sohn jemals in seinem Leben mit einer Plastiktüte einkaufen gehen wird. Er wird auch nicht mit einem Benzinmotor einkaufen fahren und sich im Winter eine Schale Erdbeeren aus Neuseeland kaufen.

In was für einer Welt soll Ihr Sohn einmal leben?
Hoffentlich in einer aufgekärten Welt mit einem liebevollen Miteinander. Ich hoffe sehr darauf, dass die Aufklärung in bestimmten Ländern weiter voranschreitet und diese Regionen ein friedliches Miteinander finden. Manchmal kann man nicht glauben, dass das je funktioniert. Aber man darf die Hoffnung nicht aufgeben. Die Erste Welt muss ihre Arroganz ablegen, denn sie ist zum großen Teil für die Probleme in der Dritten Welt verantwortlich. Sie muss dort sinnvoll beim Aufbau helfen. Mir ist klar, dass Weltpolitik nie schwarz und weiß ist, sondern immer irgendwie grau. Aber ich glaube, es ist schon viel getan, wenn man bestimmte Sachen hinterfragt. Es ist z.B. eine super Bewegung, dass in den USA gerade die Schüler für strengere Waffengesetze auf die Straße gehen. Ich glaube, am Ende wird die Waffenlobby einknicken.

Haben Sie die Hoffnung, mit Ihrer Arbeit etwas anzustoßen?
Ja, das glaube ich. Ich bin niemand, der auf einer Demo vorneweg rennt und nur politische Lieder schreibt, aber ich schreibe Songs, die bestimmte Dinge thematisieren. Vielleicht hören das ja Menschen, die bis dato völlig unpolitisch waren und fangen dann an, sich zu informieren.

Gab es in Ihrem Leben ein Ereignis, das Sie politisiert hat?
Mein Vater hat mich so erzogen. Er gründete bei uns auf dem Dorf die Vorgängerpartei der Grünen. Ich bin in den 80er Jahren auf Antiatomkraftdemos mitgelaufen. Die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl war ein Ereignis, das mich sehr geprägt hat. Ich durfte als Kind bei Regen nicht raus, was ich total absurd fand. Daran habe ich gemerkt, dass auf der Welt ganz viel schief läuft: Kernenergie – was für ein Quatsch! Wir machen die Natur kaputt und die Tiere sterben aus.

Sind Ihre Eltern glücklich mit dem, was Sie machen?
Ja, sehr. Ich konnte immer machen, was ich wollte. Als Teenager habe ich gegen meine Eltern rebelliert, einfach nur, weil ich das musste. Aber sie waren überhaupt nicht spießig, sondern sogar sehr modern. Manchmal sagt man, unsere Generation sei spießiger als die Generation unserer Eltern.

Revolverheld auf Tour

Die deutsche Pop-Rock-Band tritt am 19. August um 19.30 Uhr auf dem Schlossplatz in Coburg auf. Karten dafür gibt es im Ticketshop unserer Zeitung.


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