Veranstaltungstipps Wingendfelder: "Wir sind eine Band, die polarisiert"

Das Gespräch führte Olaf Neumann
Wingenfelder besteht aus den Brüdern Kai und Thorsten Wingenfelder. 2010 wurde ihr Bandprojekt aus der Taufe gehoben – seitdem begeistern die beiden ihre Fans mit ihrem ganz eigenen Stil. Foto: Anne DeWolff

Die Köpfe von Fury in the Slaughterhouse machen mit ihrem Bandprojekt Wingenfelder erfolgreich Musik. Wir sprachen mit Sänger Kai Wingelfelder.

 
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Das Album „Sieben Himmel hoch“ enthält 20 neue Songs. Was löste in Ihnen diesen Kreativitätsschub aus?
Das weiß ich auch nicht. Vor dieser Produktion lag ein Jahr mit Fury In The Slaughterhouse. Das war so nicht geplant. Wir dachten, wir hätten ganz viel Zeit zum Schreiben, weil wir mit Fury eigentlich nur zwei Shows in der TUI Arena in Hannover spielen wollten. Und dann haben sich unsere Planungen komplett gedreht, weil diese Shows sofort ausverkauft waren. Was dazu führte, dass wir hinterher noch eine ganze Tour gespielt und zwei Platten in die Top 5 geballert haben. Aber die mussten wir ja erst einmal machen. Im Endeffekt verkauften wir auf unsere alten Tage über 130.000 Tickets und legten das erfolgreichste Jahr unserer Karriere hin.

Auf dem Fury-Jubiläumsalbum „30“ gab es auch sechs neue Songs. Kommt da noch mehr?
Nein. Wir spielen jetzt noch ein paar Shows und dann ist erst mal Schicht im Schacht. 2022 haben wir ein Angebot fürs Niedersachsenstadion (lacht). Da denken wir drüber nach. Wir machen alle fünf Jahre ein Klassentreffen. Wenn wir dann Bock auf ein neues Album haben, machen wir das. Und wenn nicht, dann nicht.

„Sieben Himmel hoch“ haben Sie zusammen mit Ihrem Bruder Thorsten aufgenommen. Im Studio hat Sie der Keyboarder der Foo Fighters unterstützt. Wie kamen Sie mit Rami Jaffee zusammen?
Unser Keyboarder und Besitzer des Studios, in dem wir den Großteil des Albums aufgenommen haben, kannte Rami und die Foo Fighters, da diese dort auch schon mal einen Song eingespielt haben. Irgendwann hat mein Bruder Thorsten Rami dort getroffen, und Rami sagt zu ihm, wenn wir ihn mal bräuchten, sollen wir ihn anrufen. Das haben wir tatsächlich auch gemacht. Wir sind dann nach Paris gefahren und haben in der Wohnung von Frederic Scamps, dem Keyboarder von Johnny Halliday, zusammen mit Rami sechs Tracks aufgenommen. War ein aufregender Tag für uns!

Wie kam es zu dem Song „Bis nach Berlin“, einer ziemlich ungewöhnlichen David-Bowie-Hommage?
Genau genommen ist es gar keine Bowie-Hommage. Es ist der Versuch, ein Lied über das Migrationsproblem zu machen, das wir in diesem Land haben und nicht verleugnen können. Und zwar ohne dabei den Zeigefinger auszufahren. Die Geschichte handelt von zwei Jungs aus einem wahrscheinlich fundamentalistisch-muslimischen Land, wo man fürs Musikhören üblicherweise einen Kopf kürzer gemacht wird. Diese Jungs haben einen Traum, weil sie Bowie lieben und er nichts mit dem Land zu tun hat, wo sie leben. Sie wollen nach Berlin gehen, weil das für sie der Ort der Freiheit ist. David Bowie ist das Transportmedium der Geschichte. Damit will ich aufzeigen, dass viele Menschen, die in unser Land kommen, wahrscheinlich eine Sehnsucht nach Freiheit haben. Sie wollen Dinge tun, die ihnen sonst verwehrt bleiben. Es kommt natürlich auch jede Menge kriminelle Energie nach Deutschland, aber darüber wollte ich keinen Song schreiben, sondern lieber darüber, was in der Diskussion meistens vergessen wird. Nämlich dass es wahnsinnig viele Menschen gibt, denen wir helfen sollten, weil es uns extrem gut geht. Sonst wird sich dieses Problem nicht lösen lassen und alles wird noch furchtbarer werden als es jetzt schon ist.

Die Stimmung gegenüber Flüchtlingen scheint sich bereits geändert zu haben.
Das war auch nicht anders zu erwarten bei den ganzen Populisten, die hier rumlaufen. Vielleicht ist es deswegen gerade wichtig, solch ein Lied zu machen. Man sollte die Fahne auf irgendeine Weise hoch halten. Unser Song versucht das weniger auf populistische, sondern auf poetische Weise.

Was kann Musik bewirken?
Musik ist ein jahrtausende altes Kulturgut. Sie kann Menschen verbinden, aber leider auch aufs Schlachtfeld führen. Sie ist ein Transportmedium für die unterschiedlichsten Gefühle. Meistens löst sie bei uns Menschen etwas Positives aus. Mein Vater sagte mir früher immer: „Wo gesungen wird, da lass dich nieder, denn böse Menschen haben keine Lieder“. Da habe ich ihm immer geantwortet: „Doch, das Horst-Wessel-Lied!“ Am Ende des Tages ist an dem Spruch aber etwas dran, denn es gibt keine Feier ohne Musik. Sie berührt uns in der Tiefe unserer Seele und lässt uns weinen und lachen.

Und was macht einen Künstler aus?
Künstler sind das Thermometer einer Gesellschaft und auf irgendeine Weise besondere Menschen. Sie sind bereit, für die Kunst wahnsinnig viele Dinge aufzugeben. Und sie haben eine Begabung, die andere nicht haben. Ich bin z.B. fasziniert von Leuten, die fotorealistisch malen können. Das ist Handwerk, aber da muss man erst einmal hinkommen.

Zu wie vielen Teilen ist Songschreiben ein Handwerk?
Das weiß ich nicht. Man kann auch einen Song raushauen, ohne Profi zu sein. Mit drei Akkorden und vier Zeilen bringt man unter Umständen Menschen zum Weinen. Kerstin Ott z.B., die eine totale Amateurin war, hat genauso einen Song für ihre beste Freundin geschrieben, und zwei DJs haben daraus den größten Hit des Jahrs 2017 gemacht. Das funktioniert ohne großes Handwerk.

„Wir bleiben nicht für immer jung“ heißt es in einem Song. Wie alt fühlen Sie sich in einem Business, das immer jüngere „Stars“ generiert?
Ich war neulich auf der Echo-Verleihung. Ich hätte es lieber nicht tun sollen, denn ich traf dort auf die Lochis! (lacht) Peter Maffay ist sofort nach der Show gegangen, das hätte ich auch machen sollen, aber ich hatte da zu viele Freunde, die ich nur selten sehe. Ich bin aber gegangen, bevor Farid Bang in eine Schlägerei verwickelt wurde! Das Alter ist mir übrigens scheißegal. Ich merke körperlich, dass ich nicht mehr 22 bin, aber geistig bin ich noch genauso ungestüm wie mit 23. Auf der Platte gibt es einen Song für meine Tochter, die sich in der Puberttät befindet. Er heißt „Hör bloß nicht auf zu träumen“. Das kann ich auch jedem 62-Jährigen empfehlen.

Empfinden Sie Ihr Leben mit Ende 50 noch immer als ein Abenteuer?
Volles Brett! Super! Wenn das kein Abenteuer ist, dann weiß ich es auch nicht. Ich mache immer noch totalen Blödsinn. Ein guter Kumpel ist gerade am Nordpol, um dort zu drehen. Mit Mitte 50 bin ich mit ihm um die ganze Welt geflogen. Wir haben die Türen aus Hubschraubern ausgebaut und uns rausgehängt, um aus 40 Metern Höhe über dem Pazifik irgendwelche Ladungen auf Schiffen zu filmen. In der Fury-Pause habe ich für die Reederei Beluga gearbeitet. Nur solchen Blödsinn gemacht. Männerabenteuer. Das würde ich sofort wieder tun.

Ist auch das Musikmachen ein Abenteuer?
Von Musik leben zu wollen, obwohl es Spotify gibt, ist auch ein Abenteuer! Ich lebe von dem, was mir Spaß macht, und das ist echt schön. Unser Publikum kauft zum Glück noch CDs und geht auf Konzerte. Ich bin seit 30 Jahren selbständig. Mein Leben ist wie eine Sinuskurve. Aber ich kann mich nicht beschweren, ich habe drei gesunde Kinder und auch meine Frau ist kreativ und entwirft Lampen.

„Aufgeben ist tödlich“ heißt es im Titelsong „Sieben Himmel hoch“. Lautet so Ihr Lebensmotto?
Manchmal ist das mein Lebensmotto, und manchmal sitze ich da und würde unheimlich gern aufgeben und Briefträger werden. Das ist einfach so, wenn man ein Sinuskurvenleben führt. Nur wenn es einem mal richtig dreckig gegangen ist, kann man es auch wertschätzen, wenn es einem richtig gut geht. Ich kann eigentlich gar nicht aufgeben, ich habe drei Kinder. Vielleicht setze ich mich manchmal still und heimlich in die Ecke und jammere, aber das bringt niemanden weiter.

Welchen Tribut fordert der Rock’n'Roll?
Dieser Job ist sehr anstrengend. Vor allem gegen Ende einer Plattenproduktion. Bei uns heißt das immer „die Todeszone“. Denn dann kommen alle Fragen hoch. Plötzlich findest du dein Album fürchterlich und schläfst nicht mehr. Dann kommt die Plattenfirma mit Vorschlägen an. Das ist wie eine künstlerische Geburt, die auch weh tut. Erst wenn das Ding draußen ist, herrscht Ruhe.

Wie kam es zu dem Song „Verbrennen“?
Manchmal hat man das Gefühl, dass man am liebsten diesen ganzen Dreck, den die Welt hervorbringt, auf einen großen Haufen schieben würde. Um ihn dann anzuzünden. Mit allem, was dabei übrig bleibt, könnte man wieder vernünftig starten. Es geht nicht darum, Menschen, Völker oder Meinungen auszumerzen, aber Eigenschaften und die Dinge, die diese Eigenschaften hervorgebracht haben. Die gehen mir manchmal total auf den Sack. Ich hatte Lust, mit meinem Bruder ein Lied zu machen, das ein bisschen böse ist.

Haben Sie das Gefühl, dass im Moment das Böse überwiegt?
Nein, das Dumme überwiegt! Das Böse und das Dumme sind ganz beschissene Freunde. Im Moment sind sie komischerweise auch noch gute Freunde. Und das ist dann noch blöder. Denn das Böse ist meistens intelligent und in der Lage, das Dumme zu beeinflussen. Genau das erleben wir gerade. Und dazu hat es auch noch alle möglichen Werzeuge wie Facebook und Instagram zu Verfügung. Dort kann sich selbst der Blödeste geil finden, wenn er irgendjemanden beschimpft. Wo Kinder sich gegenseitig mobben und keine Gespräche mehr geführt werden. Selbst Kriegserklärungen laufen über Twitter. Das ist ein anstrengendes und merkwürdiges Jahrzehnt.

Bespielen Sie selber die Sozialen Medien?
Ja, weil das die einzige Möglichkeit ist, wie man sich heutzutage als unabhängiger Musiker noch mit seinen Fans kurzschließen kann. Fernsehwerbung z.B. kostet wahnsinnig viel Geld, was wir nicht haben. Wir haben keine 200.000 gekaufter Facebook-Freunde, aber wir wissen, wenn wir auf den Knopf drücken, dann passiert da was. Das ist für uns die einzige wahre Maschine, um Promotion zu machen. Für etwas anderes bleibt auch gar keine Zeit.

Was machen die Musiker von Wingenfelder anders als die Musiker von Fury In The Slaughterhouse?
Mit Wingenfelder kann ich die Dinge so machen, wie ich es gern möchte. Mein Bruder und ich sind musikalisch ziemlich deckungsgleich. Ich bin vielleicht ein bisschen wilder und experimenteller als er, aber wir sind der Meinung, dass wir mit dieser Band viel ausprobieren können. Und bei Fury kommt ein lustiges Häuflein zusammen, das in der einzelnen Variante musikalisch eher unbedeutend ist. Aber in dem Moment, wo wir sechs zusammenkommen, entsteht etwas Magisches. Ich weiß nicht, woran das liegt. Unsere Art zu spielen ist sehr locker und entspannt. Wir haben unsere eigene Nische gefunden, die mag man oder nicht. Wir sind eine Band, die polarisiert, aber wir haben in den vergangenen 365 Tagen wahnsinnig viel Spaß gehabt.

Sind die alten Spannungen gelöst worden?
Nein, es gibt sie immer noch, das macht uns ja aus. Aber wir haben unsere dämliche Art, damit umzugehen, abgelegt. Das hat etwas mit der Lässigkeit des Alters zu tun. Das macht es viel angenehmer, weil wir uns ja eigentlich mögen. Wie in jeder Beziehung gibt es auch bei uns Macken. Man muss nicht gleich in die Luft gehen, sondern kann sich auch lächelnd einigen. Wir haben das Jahr mit Fury nach dem Swingerclub-Prinzip gelebt: Alles kann, nichts muss. Mit Fury haben wir ein Jahr lang in einer ganz anderen Größenordnung gespielt, während wir mit Wingenfelder in Clubs auftreten. Aber ich freue mich drauf, weil diese Gigs immer sehr warm und herzlich sind. Und ich freue mich auch auf diesen einen Monat mit Fury. Wir spielen u.a. an Orten, an denen ich schon immer mal spielen wollte.

Wingenfelder auf Tour

Das Duo geht auf „Sieben Himmel Hoch“-Tour und tritt am 3. November um 20 Uhr im Gewerkschaftshaus in Erfurt auf. Karten gibt es im Ticketsho punserer Zeitung.

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