Veranstaltungstipps Years & Years: "Ich war besessen von den Spice Girls"

Das Gespräch führte Steffen Rüth
 Foto: PR/Years & Years

Die britische Electro-Pop-Sensation Years & Years feierte 2015 ihren internationalen Durchbruch. Wir sprachen mit Sänger Olly Alexander.

 
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Olly, was wollten Sie mit „Palo Santo“ erreichen?
Wir wollten nicht einfach ein Pop-Album machen. Sondern: Wir wollten das ultimative Pop-Album aufnehmen. Ich habe ein riesiges Herz für Popmusik, ich liebe das alles – Britney, Beyoncé, Christina, auch Girlgroups wie TLC fand ich immer schon absolut hinreißend. Hymnische Refrains und tolle Stimmen haben es immer schon geschafft, mich zu entzücken.

Was ist Ihre früheste bewusste Erinnerung an Popmusik?
Die Spice Girls. Ich war sieben Jahre alt und besessen. Diese Lieder waren so sorglos, so frohsinnig, so leicht. Ja, ich habe mir sogar heimlich gewünscht, ein Spice Girl zu sein. Ich fand die Outfits auch so toll.

Sie wären also lieber ein Girlgroup-Mitglied als ein Boygroup-Mitglied gewesen?
So ist es. Frag‘ mich nicht, warum das so ist. Es war eben so. Auf Boybands fuhr ich nicht so richtig ab. Was männliche Sänger angeht, faszinierten mich eher die besonderen Stimmen, die Soulmeister. Stevie Wonder, Ray Charler, auch Jeff Buckley habe ich bewundert. Vor ein paar Jahren allerdings habe ich mir die Backstreet Boys angesehen, und ich muss sagen: Schon ziemlich gut.

Der neue Song „Karma“ hat ein bisschen was von Justin Timberlake, oder?
Da hast Du recht, mich erinnert „Karma“ an den frühen Justin. Als er noch nicht so überproduziert war, sondern schlichten, coolen R&B gemacht hat. Auf dem ersten Album haben wir diesen R&B-Einfluss nur angedeutet, dieses Mal ist der Geschmack voll mit drauf.

„Sanctify“ ist voller Synthesizer, auch „If You’re Over Me“ geht noch klarer und direkter in Richtung Pop. War es nach dem großen Erfolg von „Communion“ eigentlich einigermaßen leicht für Sie, sich auf neue Musik zu konzentrieren?
Ja und nein. Ich war mächtig heiß darauf, Neues zu schreiben nach zwei Jahren mit ganz vielen Konzerten. Ich bin schließlich Songwriter und für mein Leben gern kreativ. Dazu habe ich in den letzten Jahren Dinge erlebt, von denen ich als kleiner Junge geträumt habe. Das war schon mächtig inspirierend. Was jedoch nicht heißen soll, dass es nicht echt schwierig war. Wir hatten keine wirkliche Vision, wie die neuen Songs klingen sollten. Ich probierte unendlich viel aus, und deshalb hat es ganz schön lange gedauert.

Die Popmusik der Neunziger steht Pate bei „Palo Santo“. War die Musik früher inspirierender?
Spontan hätte ich jetzt fast mit „ja“ geantwortet, aber machen wir es uns damit nicht zu einfach? Die Vergangenheit durch die rosarote Brille zu betrachten und die Gegenwart runterzumachen, wird den Tatsachen nicht gerecht. Nostalgie führt immer dazu, dass man die Vergangenheit in einem besseren Licht sieht als sie es tatsächlich war. Der Vorteil heute ist, dass Popmusik sehr demokratisch geworden ist. Die Technologie macht es möglich, dass jeder am Laptop zum Weltstar werden kann.

In den Videos zu „Sanctiy“ und „If You’re Over Me“ tanzen Sie sich die Seele aus dem Leib. Haben Sie immer schon gern getanzt?
Als Kind habe ich nichts lieber gemacht als zu tanzen. Ich war der totale Freestyler, und im Grunde hat sich daran bis heute nichts geändert. Tanzen befreit.

Sie singen „Sanctify My Body With Pain“ also „Segne meinen Körper mit Schmerzen“. Wie ist das gemeint?
Zum einen sind Clubs für mich so etwas wie queere Kirchen, mit dem Unterschied, dass wir dort nicht hingehen, um uns unsere Sünden vergeben zu lassen, sondern, um welche zu begehen (lacht). Im übertragenen Sinne spreche ich in „Sanctify“ über die meist immer noch sehr schwere und traumatische, auf lange Sicht aber auch reinigende und heilende Erfahrung, die das Coming Out mit sich bringt.

Wie lief Ihr eigenes Coming Out?
Ich war 19, als ich es meiner Mutter sagte. Es war alles sehr locker und fast beiläufig, sie nur „Ach, was“. Eine große Überraschung war das weder für sie noch für sonst jemanden in meinem Umfeld. Was ich aber unterschätzt hatte, war das Coming Out mir selbst gegenüber. Mit mir selbst klarzukommen und mich in meiner Haut wohlzufühlen, war ziemlich hart. Bis heute denke ich viel über meine Identität nach.

Warum war das so schwer?
Ich wuchs in einer Welt auf, in der alles, was nicht heterosexuell ist, misstrauisch beäugt wurde. Wenn du jung bist, ein Jugendlicher, dann schämst du dich deines Schwulseins in einer solchen Kultur. Es ist nicht nur die Sexualität, es ist alles. Als Junge oder Mädchen lernst du meist, dich auf bestimmte Art zu benehmen. Wenn du in diese Schemata nicht reinpasst, auch nicht reinpassen willst, dann hast du es schwer. Ich wollte so sein wie alle anderen. Ich legte keinen Wert darauf, anders zu sein oder das Gefühl zu haben, dass etwas mit mir nicht richtig ist. Es war also nicht so, dass mein Coming Out schlagartig alle diese Wunden verheilt hätte. Ich musste die Schäden nach und nach reparieren, den Schmerz, den du beim Aufwachsen hattest, hinter dir lassen. Deshalb denke ich, dass ein Coming Out auch heute noch schwer und weltbewegend ist, zumindest für einen selbst.

Als Teenager wächst man heute in einer Welt auf, die als offener gilt, was Geschlechtergrenzen und -stereotype angeht.
Da gebe ich dir recht, wir können froh sein über diesen Fortschritt. Und doch quälen sich immer noch viele Jugendliche. Ich bin immer etwas verblüfft, wenn Leute sagen „Hey, heute ist es doch voll einfach, schwul, lesbisch, bi oder sonst etwas zu sein“. Ich muss immer entgegen: Nein, ist es nicht.

Angeblich wollte Ihre eigene Plattenfirma vor drei Jahren deine Homosexualität unter Verschluss halten.
Nein, das ist so nicht wahr. Richtig ist, dass ich Interviewtraining bei einer Medienfachfrau hatte, und sie zu mir sagte „Vielleicht wäre es klug, wenn du nicht über deine Sexualität sprechen würdest“. Aber selbst als kompletter Newcomer wäre mir das zu doof gewesen.

Stimmt es, dass „Sanctify“ auch von Ihrer Beziehung zu einem Hetero-Mann handelt?
Kann ich bestätigen. Viele Leute quetschen sich in ihre sexuelle Identität wie in einen zu engen Anzug. Die klassische Hetero-Kultur erlaubt ihnen dann nicht, irgendetwas anderes zu sein als maskulin. Intimer Kontakt mit anderen Männern gilt in diesen Kreisen als sehr unmännlich, aber warum eigentlich? Sex ist nun einmal nicht stabil, sondern flüssig, er wandelt sich und hat nicht immer etwas mit dem Geschlecht des Gegenübers zu tun, das ist doch kein Drama. Niemand sollte sich davor verschließen.

Und wie war es in Ihrer konkreten Situation?
Der Mann sagte mir, er sei hetero, wir wurden Freunde, und an irgendeinem Punkt kippte das mit uns und wurde etwas Intimeres. Wir begannen eine Liebesbeziehung, zumindest nahm ich das an. Aber er kam damit nicht klar und zog sich vollkommen von mir zurück. Schade.

Geht es auch in der schönen Popballade „Hypnotized“ um diese Beziehung?
Nein. Als ich „Hypnotized“ schrieb, habe ich mich sehr willig von meinen romantischen Vorstellungen überwältigen lassen, wie es ist, sich zu verlieben. Als Kind habe ich unendlich oft „Romeo und Julia“ gesehen. Claire Danes und Leonardo DiCaprio haben sich mir als romantisches Pärchen für immer ins Gedächtnis gebrannt.

Wie sieht es bei Ihnen persönlich aktuell mit der Romantik aus?
Ich habe weitaus weniger Sex als mit Anfang 20, das steht mal fest. Als ich damals nach London zog, Theater spielte, für Filme und TV vorsprach, mein Gott, ein Schlaraffenland tat sich mir auf (lacht). Jetzt, speziell seitdem ich bekannt bin, ist es schwierig geworden. Um mich herum sind gerade nur glückliche Paare, und ich selbst frage mich, ob das mit der Liebe wohl noch mal was wird. Ich sollte das alles wohl etwas entspannter angehen.

Years & Yeares auf Tour

Die britische Elektropop-Band kommt mit dem neuen Album „Palo Santo“ nach Deutschland und gastiert am 3. Februar um 20 Uhr im Zenith in München. Karten gibt es im Ticketshop unserer Zeitung.

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