Coburg Auf der Suche nach La Mannschaft

Mir san Traumspiel: Ab heißt es jeden Freitag trainieren, bis Ende Januar soll der Kader feststehen. Der Autor (vorne zweiter von rechts) war nur einmal dabei. Foto: Henning Rosenbusch

Sind so Kleine-Jungs-Träume. Das Münchner Olympia-Stadion. Paul Breitner passt auf Kalle Rummenigge. Und ich bin mittendrin. Nicht auf den Rängen, sondern dort, wo die Wahrheit ist: aufm Platz. Kalle leitet mit der Hacke weiter.

 
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Sind so Kleine-Jungs-Träume. Das Münchner Olympia-Stadion. Paul Breitner passt auf Kalle Rummenigge. Und ich bin mittendrin. Nicht auf den Rängen, sondern dort, wo die Wahrheit ist: aufm Platz. Kalle leitet mit der Hacke weiter. Ich mach das Ding in den Winkel, die 70 000 jubeln. Und nach dem Aufwachen wartet die B-Klasse-Reserve. Immer wieder sonntags.

Freitagabend, Trainingsauftakt der Traumspielmannschaft. Das sind sie also, die Jungs, die meinem Traum im Sommer nächsten Jahres leben dürfen. 26 kommen aus den eigenen Reihen. Soll heißen: aus dem Fanclub Red Residenz Coburg, der sich mit seiner Bewerbung für ein Freundschaftspiel gegen den FC Bayern München im Sommer nächsten Jahres durchgesetzt hat. Der Rest rekrutiert sich aus rund 60 Interessenten aus ganz Oberfranken und Südthüringen.

Der Torwart wirft den Ball zu mir. Vor vielleicht 20 Jahren habe ich zuletzt Fußball gespielt. Die großen Träume sind Erinnerung, das Talent noch da - kleiner denn je. Bei meinen Mitspielern aus der alleruntersten Klasse verhielt es sich seinerzeit - im Wesentlichen - nicht anders. Jetzt aber wuseln um mich herum Jungspunde, die teilweise Landesliga spielen. Also lieber kein Risiko. Immerhin: Der Keeper bekommt den Ball von mir sofort so wieder, dass er sich nicht strecken muss.

Norbert Scholz, der Präsident des Fanclubs und sein Trainerstab, haben aus den 60 externen Bewerbungen 20 ausgesucht, die sich nun jeden Freitag mit den 26 Residenzlern "zusammenfinden" sollen, wie Scholz sagt. Bis Ende Januar muss die Traumspielmannschaft stehen: 30 aus 46, "plus drei, vier in Reserve", die laut Scholz möglichst alle zum Einsatz kommen werden.

Ich bin das zweite Mal am Ball und werde mutig. Auf der anderen Seite läuft ein Mitspieler. All die Gegner, die ich vor 20, 30 Jahren einmal hatte, hätten meinen perfekten Innenspann-Pass niemals abgefangen. Aber die waren halt so fix wie ich. Der junge Mann, der jetzt dazwischen sprintet, ist Torschützenkönig in der Landesliga. Der Leistungsunterschied zwischen dem Stürmer und mir dürfte noch einmal wesentlich größer sein als zwischen ihm und Robben in die andere Richtung.

Unter den Kandidaten für das Spiel gegen die Bayern sind hochtalentierte junge Bezirksoberliga-, Landesliga- und Bayernligaspieler ebenso wie verdiente Fanclubmitglieder aus der Kreisklasse. Wer jeweils wie viele Minuten gegen den Champions-League-Sieger von 2013 auflaufen darf, orientiert sich natürlich auch daran. "Klar ist, dass wir nicht gewinnen werden. Aber wir wollen uns auch nicht 0:60 abschießen lassen", betont Scholz.

Weltpokalsieger-Besieger hat der FC St. Pauli 2002 auf Trikots drucken lassen, nachdem er in der Bundesliga den FC Bayern geschlagen hatte. "Mir san Traumspiel", steht auf meinem. Eigentlich müsste es heißen: "Zweimal zwei und aus die Maus". Vier Minuten habe ich trainiert, zweimal war ich am Ball. Macht unterm Strich: eine Rückgabe zum Torwart und ein Fehlpass. Schon nach ein paar Bewegungen ist allen klar, was ich von Anfang an wusste: Ich bin der Erste, der draußen ist. Wiewohl: Als Nummer 47 war ich eh nur - sagen wir: Traumspiel-Träumer.

André Schorr kommt dem Ganzen schon wesentlich näher als ich. Er gehört zwar nicht zu den ganz großen Cracks in der Region, ist aber ein Urgestein von Red Residenz und kann recht ordentlich mit der Kugel umgehen. Der Stürmer ist 33 Jahre alt und kickt beim SV Tambach in der Kreisklasse, der 3. Liga von unten. Wenn André Schorr schön fleißig zum Training kommt, sich dort "anständig reinhaut", wie er sagt, darf er im Sommer gegen Weltmeister spielen. Ob er von diesem einem Ding träumt, das er macht. Vielleicht ein Lucky Punch gegen Manuel Neuer - ausgerechnet? "Wohl eher nicht", meint André. "Ist aber auch egal. Einmal an den Ball kommen, das wär doch schon was."

Auch der Präsident will "so zehn Minuten" dabei sein. Er macht den Anstoß, da kann nicht allzu viel passieren. Und dann? "Unser Ziel ist es, 11 000 Zuschauern in Coburg ein Spektakel zu liefern." Es wird gründlich gewechselt werden, und natürlich dürften die Amateure aus den höherklassigen Vereinen mehr Einsatzzeit bekommen. Eines verspricht Scholz allen: "Ihr erlebt ein sportliches Highlight, von dem ihr euren Urenkeln noch erzählen werdet."

Zum zehnjährigen Jubiläum der Traumspiel-Idee hat der FC Bayern versprochen, mit allen Nationalspielern zu kommen. Sind sie nicht verletzt, bekommt es André Schorr, der Kreisliga-Stürmer, also beispielsweise mit Phillip Lahm, Mats Hummels, Jérôme Boateng und David Alaba zu tun. "Es ist natürlich auch die Frage, mit welchem Ehrgeiz die da rangehen", meint Schorr. "Wenn sie ernst machen, sehen wir dem Ball nur hinterher - wenn wir ihn überhaupt sehen." Was für Schorr bedeuten würde: Die Gegner anlaufen, bis die Lunge brennt, ohne einen einzigen Ballkontakt. Nicht eher Albtraum statt Traum? "Um Gottes Willen. Millionen von Fußballern würden sonstwas dafür geben, an meiner Stelle zu sein."

Ob André Schorr tatsächlich zum Zuge kommt, entscheidet Chefcoach Stefan Späth. Er ist der Herr der Träume. "Die Jungs müssen mitziehen", sagt er. Soll heißen: Jeden Freitag zum Training zu kommen, ist Pflicht. Für alle. Späth betont das so ausdrücklich, weil sämtliche Traumspiel-Aspiranten natürlich auch in ihren Vereinen gebunden sind - der eine mehr, der andere weniger. "Aber wir müssen zu einer Mannschaft zusammenwachsen", fordert der Teamchef und da sei es unumgänglich, dass jeder mitzieht, auch, wenn es eine zusätzliche Belastung ist.

Um Kondition geht es bei den Trainingseinheiten am Freitag eher weniger. "Die müssen sich die Jungs schon bei ihren Vereinen holen." Die Spieler sollen sich kennenlernen, sich aufeinander einspielen, Laufwege trainieren, wie das ganz oben im Fußball-Olymp heißt. Dort spricht man auch von La Mannschaft. Was in der Welt von André Schorr und Co. nichts anderes als "eingeschworene Truppe" bedeutet. "Die wollen wir sein, die müssen wir sein, die werden wir sein", sagt Präsident Scholz. Und wenn man ihm so zuhört, dem Traumspiel-Macher, dann spürt man es fast körperlich: Manchmal werden sie tatsächlich wahr: die großen Träume der kleinen Jungs.

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