Coburg Klinkenputzen in den Praxen

Von Christoph Scheppe

Nach dem Umzug sucht Herbert Beyersdorfer einen Hausarzt in Coburg. Fündig geworden ist er noch nicht. Mit seinem Problem steht er nicht alleine da.

 
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Coburg - Zurück zu den Wurzeln: Dass er nach dem Berufsleben irgendwann mal wieder in seine Heimatstadt Coburg zurückkehrt, stand für Herbert Beyersdorfer stets fest. Den Plan hat der 75-Jährige jetzt in die Tat umgesetzt und seine Zelte in Lichtenfels abgebrochen. Seit wenigen Tagen wohnt er mit seiner Lebensgefährtin im Baltenweg. Doch rundum glücklich ist er nicht, denn ihn plagt ein Problem. "Ich finde im Stadtgebiet keinen Hausarzt, der mich als Patient aufnimmt", berichtet der Rentner. Bei vier erfolglosen Anläufen habe er "Wir können keinen mehr aufnehmen" zu hören bekommen und sich als "Bittsteller" abgespeist gefühlt.

Dabei wollte Beyersdorfer sich nicht untersuchen lassen, sondern lediglich ein Rezept für eine Gesichtscreme, auf die er seit Jahren angewiesen ist. Sonst, sagt er, "sehe ich aus wie ein Streuselkuchen." In einer Praxis sei ihm gar beschieden worden, sich deswegen Mitte März nochmals zu melden oder am besten seinen bisherigen Hausarzt in Lichtenfels zu kontaktieren. "Das ist ein Witz und völlig unakzeptabel", geht Beyersdorfer im Gespräch mit der Neuen Presse mit Gesundheitssystem und Hausärzten hart ins Gericht. Erst nach langem Hin und Her sei ihm dann in einer Lautertaler Praxis das gewünschte Rezept ausgestellt worden. "Als Patient von Coburg nach Lichtenfels oder sonst wo hinfahren, ist eine Zumutung. Und nach den Kosten fragt auch keiner", schimpft der 75-Jährige.

Nach den einschlägigen gesetzlichen Regelungen ist der Vertragsarzt grundsätzlich verpflichtet, die Behandlung von gesetzlich Krankenversicherten zu übernehmen. "Er kann aber in begründeten Ausnahmefällen die Behandlung von neuen Patienten ablehnen, zum Beispiel dann, wenn die Praxis bereits überlastet ist", erläutert Birgit Grain, Pressereferentin der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB), die rechtliche Situation. Für die Überlastung müsse jedoch ein Nachweis erbracht werden. Eine Überprüfung durch die KVB sei anhand der Fallabrechnungen jederzeit möglich.

Problematischer stellt sich die Sachlage dar, wenn eine Behandlung bereits begonnen wurde oder wenn es um die Ablehnung einer weiteren Behandlung geht. Die Kündigung eines Behandlungsvertrages mit einem Patienten ist nach KVB-Angaben nur ausnahmsweise zulässig. Zwar sei das Arzt-/Patientenverhältnis von seiner Ausprägung her "höchstpersönlicher Natur" und könne daher - sollte dieses Vertrauensverhältnis nachhaltig gestört werden - von beiden Seiten beendet werden. "Allerdings darf ein Arzt von der Kündigungsmöglichkeit grundsätzlich erst Gebrauch machen, wenn und soweit sichergestellt ist, dass sein Patient anderweitig behandelt werden kann", so die Pressereferentin. Wenn die Weiterbehandlung des Patienten nicht gesichert ist, könne der Vertragsarzt den Behandlungsvertrag nur kündigen, wenn es hierfür einen wichtigen Grund (Beschimpfungen, Beleidigungen, Drohungen) gebe.

Herbert Beyersdorfer ist mitnichten ein Einzelfall, sagt Dr. Hans-Günther Kirchberg, Facharzt für Allgemeinmedizin und Vorsitzender des ärztlichen Kreisverbands Coburg. Aus Erfahrung wisse er, dass viele Patienten in der Vestestadt einen Hausarzt suchen. Wenn es nach der KVB gehe, müssten "wir solange Patienten aufnehmen, bis wir vor lauter Arbeit tot umfallen". Dem habe das Sozialgericht aber Grenzen gesetzt. Wegen dieser Diskrepanz wolle an das Thema keiner so richtig ran, mutmaßt Kirchberg. Andererseits müsse man sich von der Vorstellung verabschieden, dass der nächste Hausarzt "nur 200 Meter ums Eck ist", verweist Kirchberg auf ein "gewisses Maß an Mobilitätsbereitschaft". Nach seinen Erkenntnissen gebe es sowohl in Coburg als auch in den angrenzenden Landkreisgemeinden noch Kollegen, die neue Patienten aufnehmen würden.

Anders als Bayern hat sich Thüringen des Problems angenommen. Dort dürfen Hausärzte, deren Behandlungszahlen unter dem Durchschnitt liegen, keine neuen Patienten ablehnen. Diese Regelung gehe - zumindest vom Grundsatz her - in die richtige Richtung, sagt Dr. Hans-Günther Kirchberg. Für eine differenzierte Betrachtung plädiert hingegen Klaus Kinzinger, niedergelassener Hausarzt in Coburg und stellvertretender Bezirksvorsitzender des Hausärzteverbands Oberfranken. Die Durchschnittsfallzahl sei nicht repräsentativ, weil sie beispielsweise gesundheitliche oder andere Einschränkungen des jeweiligen Arztes nicht berücksichtige.

Dass es Patienten in Coburg nicht leicht haben, einen neuen Hausarzt zu finden, stellt Kinzinger nicht in Abrede: "Die Problematik ist da." Dennoch tue man alles, um die Sicherungspflicht kollektiv zu gewährleisten. Seit November habe er eine Warteliste ausgelegt, auf der sich neue Patienten eintragen können. "Wir haben am Tag im Schnitt vier Anrufe. Aber nur einer hat seinen Namen auf die Liste gesetzt", sieht Kinzinger darin ein Indiz, "dass sich die Suche verteilt". In Lautertal gebe es beispielsweise eine Praxis, die noch neue Patienten aufnehme. "Vier Kilometer mit dem Auto fahren ist zumutbar", sagt der Hausarzt. Außerdem sei Lautertal auch per Stadtbus gut angebunden.

Patienten müssen sich von der Vorstellung verabschieden, dass der nächste Hausarzt 200 Meter ums Eck ist.

Dr. Hans-Günther Kirchberg, Facharzt für Allgemeinmedizin

und Vorsitzender des ärztlichen Kreisverbands Coburg

Wir tun alles, um die Sicherungspflicht kollektiv zu gewährleisten. Aber das Problem ist da.

Klaus Kinzinger, Facharzt für Allgemeinmedizin und

stellvertretender Bezirksvorsitzender des Hausärzteverbands

Patienten-Hotline

Nach Auskunft der KVB sind in Coburg 20 Hausärzte niedergelassen.

Sollten Patienten Probleme haben, einen Hausarzt zu finden, können sie sich beispielsweise an ihre jeweilige Krankenkasse oder auch an die Patienten-Infoline (089/5454640420) der KVB wenden.

Weitere Informationen sind unter www.kvb.de/service/patienten/

im Internet abrufbar.

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