Coburg Mordswut unterm Cordhut

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 Quelle: Unbekannt

Erwin Pelzig ist die Ratingagentur des kleinen Mannes. Beim ersten Coburg-Besuch seit sieben Jahren stuft er Kapitalverbrecher und Politmarionetten knallhart herab und weist uns den Weg: "Dem Zufall gehört die Zukunft.

 
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Coburg - Na endlich. Wir hatten uns schon ernsthafte Sorgen gemacht. Sollten sie ihm abhanden gekommen sein, irgendwo auf der Karriereleiter? Aber, nein, es gibt sie noch. Das Weizenbier, der Rotwein und der Sprudel auf dem Tischli auf der Bühne im ausverkauften Kongresshaus signalisieren: Ein Pelzig kommt niemals allein, jedenfalls live. Aber mit der Eintracht der drei Gläser hat sich's auch schon: Der Stammtischsegen hängt hörbar schief.

Politisch gingen sie ja noch nie konform, der grämliche Wertewahrer Dr. Göbel, der pragmatische Vollproll Hartmut und Erwin Pelzig, der scharfsichtige Polit-Fuchs im fränkischen Schafspelz. Aber über alle weltanschaulichen Differenzen hinweg waren die drei Unikümmer, die der Kabarettist Frank-Markus Barwasser in sich vereint, doch stets ein eingeschworenes Team.

Die sieben krisenschweren Jahre seit ihrem letzten Coburg-Besuch haben jedoch auch ihnen Blessuren zugefügt: Der Ton wird rauer, wenn die drei sich in die Haare geraten, soziale Kälte frostet ihr Gefrotzel, der Neid sitzt mit am Tisch. Und obendrein bringt ihr Parallelleben in sozialen Netzwerken Pelzig und Hartmut in reale Kalamitäten - die sich dem zeitgeistfernen Offline-Fossil Dr. Göbel natürlich in keinster Weise erschließen.

Es beginnen die Sternminuten dieser zweieinhalb kabarettistischen Sternstunden, wenn Frank-Markus Barwasser sein Cordhütli lüpft, am Tisch Platz nimmt und sich augenblicklich in die moralische Dreifaltigkeit verwandelt. Ulkiger denn je verwickelt er seine Helden in hitzige Wortgefechte über die Ethik der Biogemüsekiste und die Chancen der Parlamentslotterie. Zum Brüllen komisch ist's, wenn er fliegend die Rollen wechselt, dumpf in Hartmuts Weizenkelch blökt, pikiert an Göbels moralinsaurem Rotem nippt oder erregt Pelzigs Wasser kippt.

Sobald er die beige Narrenkappe wieder aufsetzt, ist Erwin Pelzig wieder allein - mit sich und uns und den vielen viel zu großen Fragen dieser verrückten Welt. Am liebsten würde er's ja machen wie die anderen: Sich einfach alles schönreden, die Kapitalverbrecher, die Politmarionetten, "den ganzen Lebenspfusch" eben.

Einfach mal alle fünf gerade sein lassen: Pelzig probiert's, fläzt sich auf seinen Stuhl und hofft, dass "eine schöne Frau aus dem Publikum" ihn von seiner kognitiven Dissonanz erlöst. Keine Coburgerin traut sich, also passiert doch noch, was sein Programm verheißt: "Pelzig stellt sich."

Er stellt sich der Wut, aber auch der Ratlosigkeit, die einen schon mal überkommt beim Blick auf eine Gesellschaft, die nur noch von "gegenseitigem Selbstbetrug" zusammengehalten wird. Pelzig seziert sie gründlich, er ist die Ratingagentur des kleinen Mannes, ein gnadenloser Analyst des marktkonformen Parlamentarismus, in dem Wahlen nur noch als "Demokratiefolklore" dienen.

Jede Diagnose gerät Pelzig alias Barwasser zum Aphorismus: Politik definiert er als "fröhliche Moderation der traurigen eigenen Bedeutungslosigkeit", die SPD erinnert ihn an "ein frierendes Zirkus-Lama in der Fußgängerzone, das vom Mitleid ernährt wird, aber meistens im Weg steht", den Bundespräsidenten ernennt er bündig zum "Betthupfer der Demokratie", und die Funktionsweise des Kapitalismus bringt er präzise auf den Punkt: "Eine gesunde Wirtschaft braucht kranke Menschen."

Patentrezepte hat auch Pelzig nicht, doch eine Idee: "Dem Zufall gehört die Zukunft." Eigentlich schon die Gegenwart, wie er anhand des Aufstiegs des "fachlich maximal unbefangenen" Dr. med. Rösler zum Wirtschaftsminister belegt. Dessen Nachfolger bestimmt Pelzig kostengünstig per Losentscheid - der Coburger Johannes Schiller hat das zweifelhafte Glück-, auch den Job der Bundespräsidentin bringt er auf diesem Wege an die Frau (Silke Jung), und sogar Deutschlands Atommüllmassen unter die Coburger Erde.

Nein, das Schönreden ist nun wirklich nicht Erwin Pelzigs Metier. Aber so ganz ohne Zuversicht will er uns denn doch nicht entlassen, schließlich birgt auch die Angst ein Fünkchen Hoffnung: "Nur wer die Hosen voll hat, sucht den frischen Wind."

Polit-Fuchs im fränkischen Schafspelz: Frank-Markus

Barwasser alias Erwin Pelzig.

Foto: Frank Wunderatsch


Nur wer die Hosen voll hat, sucht den frischen Wind

Erwin Pelzig


Eine gesunde Wirtschaft braucht kranke Menschen

Erwin Pelzig


Termine

15. Mai, 22.45 Uhr, ZDF:

"Pelzig hält sich"

5. Juni, 22.15 Uhr, ZDF:

"Neues aus der Anstalt"

"Pelzig stellt sich" live:

8. Juni, 20 Uhr, Veitshöchheim/Würzburg, Mainfrankensäle

9. Juni, 19.30 Uhr Schweinfurt, Stadttheater

10. Juni, 20 Uhr Suhl CCS

23. Juni 20 Uhr Bayreuth, Stadthalle


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