Coburg Mutter wollte mit Babyleichen umziehen

Von Norbert Klüglein
Anzeichen für eine verminderte Schuldfähigkeit konnten die Gutachter bei der Angeklagten nicht feststellen: Psychologin Karolin Pöhlmann und Psychiater Cornelis Stadtland. Foto: Henning Rosenbusch

Ein Psychiater erkennt keine Anzeichen für verminderte Schuldfähigkeit bei der Angeklagten. Sie zeigt aber Symptome von Sammelwut.

 
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Coburg/Wallenfels - Die wegen Babymordes angeklagte Andrea G. wollte offenbar die acht toten Kinder mitnehmen, wenn sie in eine neue Wohnung zieht. Das hatte die Angeklagte einer Diplom-Psychologin in einem Gespräch in der Justizvollzugsanstalt Bamberg anvertraut. Trotz dieses recht bizarren Wunsches sieht der psychiatrische Gutachter Cornelis Stadtland keine Gründe, die für eine verminderte Schuldfähigkeit bei der 45-Jährigen sprechen.

Vor dem Landgericht Coburg sagte der Münchner Experte am Donnerstag, dass er bei der Wallenfelserin weder eine Persönlichkeitsstörung noch andere psychische Krankheiten feststellen konnte. Er attestierte der Frau allerdings einen riskanten Alkoholkonsum, der jedoch nie krankhaft geworden sei, und Symptome von "Horting". Darunter versteht man das zwanghafte Sammeln von Gegenständen und das Sich-nicht-trennen-Können von Dingen. "Es ist eine Art Erledigungsblockade", erklärte der Psychiater. "Horting" ist seiner Meinung nach auch dafür verantwortlich, dass die Frau die Leichen ihrer Kinder aufbewahrte und sogar mit ihnen umziehen wollte. Nach Einschätzung des Psychiaters lebte Andrea G. jedoch in einer schwierigen Beziehung. Da wirkten Menschen manchmal gestörter, als sie sind, betonte Stadtland.

Diplom-Psychologin Karolin Pöhlmann erinnerte sich vor Gericht an ein Gespräch mit der Angeklagten, in dem diese einräumte, sie sei nach der Trennung von ihrem Mann mehrmals an ihrer ehemaligen Wohnung vorbeigefahren, um nachzuschauen, ob sie die Kinderleichen gefahrlos herausholen könne. Die Entdeckung der sterblichen Überreste habe die Angeklagte als Schock erlebt, aber auch gleichzeitig als Erleichterung, berichtete Pöhlmann weiter. "Nun ist die Heimlichtuerei vorbei", habe sie gesagt. Der Wunsch, den getöteten Kindern nah zu sein, überraschte die Diplom-Psychologin nicht. "De facto ist es so, dass Frauen ihre toten Kinder um sich haben wollen", erklärte sie. Das sei Teil eines Kontrollbedürfnisses.

Der Angeklagten bescheinigte die Gutachterin eine leicht überdurchschnittliche Intelligenz. "Hinweise auf hirnorganische Beeinträchtigungen konnte ich nicht feststellen", betonte die Diplom-Psychologin. In den Gesprächen in der Haftanstalt habe sich Andrea G. als tatkräftig und extrovertiert dargestellt und versichert, dass sie auch in Stresssituationen handlungsfähig sei. Auseinandersetzungen gehe sie lieber aus dem Wege und empfinde sich selbst als nicht aggressiv. "Allerdings sinkt ihre Frustrationstoleranz, wenn sie sich angegriffen fühle", stellte Pöhlmann fest. Die Psychologin machte deutlich, dass die Selbsteinschätzung der Angeklagten durchaus im Widerspruch zur Außenwirkung und zum tatsächlichen Empfinden stehen könne. Bei Andrea G. bemerkte die Gutachterin nämlich die Neigung, negative Aspekte in ihrem Erleben auszublenden. Ferner sei die Bereitschaft zur Selbstreflexion gering ausgeprägt. Die unter Mordverdacht stehende Mutter sei sich bewusst gewesen, dass sie immer wieder schwanger geworden ist, sagte die Gutachterin ferner. "Sie wollte sich damit aber nicht auseinandersetzen."

Die gleiche Ansicht vertrat auch Psychiater Cornelis Stadtland. Er stufte das Verhalten von Andrea G. als Mischung zwischen einer verheimlichten und einer verleugneten Schwangerschaft ein. Eine schwere Persönlichkeitsstörung erkenne er bei der Angeklagten nicht. "Wer unter so etwas leidet, ist nicht in der Lage, einen halbwegs geraden Lebensweg zu gehen, wie es Frau G. gelungen ist", begründete Stadtland.

Er warnte auch davor, von der Tat auf eine Diagnose zu schließen: "Es ist nicht zulässig zu sagen, dass einer, der seine Kinder kurz nach der Geburt tötet, auch psychisch krank sein muss." Gleichwohl sei Andrea G. "eine Frau mit zwei Gesichtern", die sich in der Öffentlichkeit als gut gekleidet und selbstbewusst präsentiert habe. Im Familienkreis sei sie aber verschlossen gewesen und sei durch Unehrlichkeiten und fast zwanghaftes Kaufverhalten aufgefallen.

Die Heimlichtuerei ist vorbei.

Die Angeklagte im Gespräch

mit der Psychologin

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