Wiesenweihen, die ursprünglich als Bewohner von Feuchtgebieten galten, haben seit einigen Jahren ihre Lebensgewohnheiten umgestellt. Sie suchen sich jetzt Nistmöglichkeiten in Getreidefeldern. Das eröffnet ihnen zwar neue Lebensräume und hat dazu geführt, dass die Zahl der Brutpaare bayernweit wieder von 62 um die Jahrtausendwende auf 221 im vergangenen Jahr angestiegen ist. Gleichzeitig birgt der Umzug von der Flussaue auf den Getreideacker neue Gefahren. Nisten die Bodenbrüter unbemerkt, kann es sein, dass die Gelege beim Dreschen von Weizen, Gerste oder Roggen - was witterungsbedingt immer früher im Jahr stattfindet - zerstört und die Jungvögel getötet werden. "Deshalb ist es wichtig, dass wir ein Vorkommen so früh wie möglich entdecken und zusammen mit den Landwirten Schutzmaßnahmen ergreifen", erklärt Frank Reißenweber.
Um die seltenen Greifvögel, die sich hauptsächlich von Kleinsäugern wie Mäusen, Insekten oder Würmern ernähren, aufzuspüren, müssen die Vogelbeobachter des Landesbunds für Vogelschutz schon früh im Jahr aktiv werden. "Wiesenweihen ortet man am besten im April", weiß Reißenweber. Dann kehren die Tiere aus ihren Winterquartieren zurück, die sie südlich der Sahara im Herzen von Afrika haben und beginnen mit ihrem auffälligen Paarungsritual. "Um dem Weibchen seine Fähigkeiten zu zeigen, steigt das Männchen in die Höhe, um sich dann wie ein Blatt vom Himmel fallen zu lassen, oder wirft dem Weibchen im Flug Nahrung zu", beschreibt Christoph Saile vom LBV die beeindruckende Luftakrobatik. Aus diesem Verhalten könnten die erfahrenen und zum Teil im Rahmen des Artenhilfsprogramms auch noch gezielt geschulten ehrenamtlichen Vogelbeobachter dann den späteren Neststandort ableiten. Einer dieser Beobachter ist Reiner Hermes aus Weitramsdorf.
Wie Frank Reißenweber berichtet, wären dem Pensionär bereits im Mai die guten Flieger im westlichen Landkreis unweit der Grenze nach Unterfranken aufgefallen. Tagelang habe der Pensionär dann in einem Tarnzelt im Schilf der Alster zwischen Oberelldorf und Unterelldorf gehockt und mit Fernglas und Teleobjektiv das Kornfeld von Udo Wohlmacher beobachtet.
Am Abend des 28. Juli schreibt Hermes dann voller Freude an den Biologen des Landratsamtes: "Heute Abend war ich drei Stunden in meinem Versteck und habe den Acker beobachtet, es hat sich nix getan. Als ich mich auf den Heimweg gemacht habe, kam das Männchen angerauscht und hat dem Weibchen Futter gebracht. Die saß schon seit einer Stunde, etwa 300 Meter von mir entfernt, in einem Acker, völlig untätig. Mit dem Futter ist die Dame dann über den Acker geflogen und dann ging die Post ab. Ich habe alle drei Junge gesehen!"
Damit hat Hermes oberfränkische Ornithologie-Geschichte geschrieben. Zwar hätte es schon immer mal Sichtungen von Wiesenweihen gegeben, erzählt Reißenweber. Aber der Beweis für eine erfolgreiche Brut sei noch nie zwischen dem Vogtland im Osten und dem Coburger Land im Westen gelungen.
Hieb und stichfest machte Reiner Hermes seine Sichtung wenig später mit Fotos vom Nest und den Jungvögeln, die zwischen den Triticale-Halmen Deckung suchen. Die haben der Vogelbeobachter und seine Frau übrigens mit eine Drohne angefertigt. "So mussten sie sich nicht dem Nest nähern", erklärt Reißenweber.
Mittlerweile sind die Jungvögel so weit entwickelt, dass sie das Nest verlassen haben und über den Äckern bei Unterelldorf ihre Kreise ziehen. Wahrscheinlich wird die kleine Familie Mitte des Monats ihr Sommerquartier verlassen und nach Afrika ziehen.
Ob die Tiere im kommenden Jahr wiederkommen? "Auszuschließen ist das nicht", meint Frank Reißenweber. Wiesenweihen seien gebietstreu. Das beweist übrigens die Flügelmarke, die der Muttervogel trägt. Sie wurde vor fünf Jahren als Küken in der Nähe von Schweinfurt gekennzeichnet. Dort hat sich eine stabile Population aufgebaut, die sich über Ochsenfurt und Würzburg ins Heldburger Land ausgebreitet hat.