Coburg Steinweg: Matratzen als Lärmschutz

Von Christoph Scheppe

Erna Klappstein lebt seit 70 Jahren im Steinweg. Die Kneipenszene bringt sie an den Wochenenden um den Schlaf. Vom Ordnungsamt fühlt sich die 92-Jährige im Stich gelassen. Sie vergleicht es mit Seelsorgern, die nur beschwichtigen.

 
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Coburg - "Für das Ordnungsamt bin ich längst ein rotes Tuch." Erna Klappstein weiß nicht mehr, wie oft sie in den vergangenen Jahren dort schon vorstellig geworden ist, um sich über den Kneipenlärm im Steinweg zu beschweren. "Es kommt mir so vor, als säßen dort nur Seelsorger. Die versprechen Abhilfe und beschwichtigen", macht die 92-Jährige ihrem Unmut Luft.

Seit 70 Jahren lebt sie im Steinweg. Zu Zeiten der Diskothek CO I, sagt sie, sei nicht nur die Lautstärke erträglich, sondern auch um Punkt 1 Uhr Ruhe gewesen. Aber was sich hier seit einigen Jahren abspiele, gehe auf keine Kuhhaut. "Dröhnende Musik von 22 bis 5 Uhr, Geschrei auf der Straße: Mir graut's vor den Wochenenden", beschreibt Erna Klappstein ihre Gefühlslage.

Nur mit Schlaf- und Beruhigungstabletten sei es ihr möglich, "wenigstens für drei bis vier Stunden die Augen zuzumachen", berichtet die 92-Jährige. Weil aber Medikamente allein nicht mehr ausreichen, dämmt sie die Doppelfenster ihres Schlafzimmers mit Schaumstoffmatratzen. "Das hilft. Aber es ist doch kein Zustand, wenn man sich am Wochenende verbarrikadieren muss", spricht sie dem Steinweg heute jegliche Lebensqualität ab. An eine Dämmaktion hat sie schmerzliche Erinnerungen: "Da bin ich mit der Matratze und dem Fuß am Rollator hängengeblieben und gestürzt." Die starken Prellungen kurierte die 92-Jährige bei ihrer Tochter aus.

Vor einigen Jahren habe das Ordnungsamt nach langem Drängen mal eine Lärmmessung durchgeführt. Dazu seien 2. Bürgermeister Norbert Tessmer und Ordnungsamtsleiter Gerhard Berwind von 24 bis 2 Uhr in ihrer Wohnung gewesen, erzählt Erna Klappstein. "Aber irgendwie müssen die Kneipenwirte einen Tipp bekommen haben, denn anders als sonst herrschte plötzlich Totenstille."

Für Erna Klappstein ist nicht nachvollziehbar, warum die Stadt dem Treiben im Steinweg keinen Riegel vorschiebt. Das beklagt auch eine Mieterin, die im selben Haus wohnt, aber anonym bleiben will. "Wenn hier tagsüber einer seine Kippe wegwirft, ist der Ordnungsdienst gleich zur Stelle und kassiert 50 Euro." Nachts mutiere der Steinweg zur "rechtsfreien Zone", in der weder Lärmbelästigungen noch andere Verstöße geahndet würden. "Warum hier mit zweierlei Maß gemessen wird, ist nicht nachvollziehbar. Die Leidtragenden sind wir als Anwohner", kritisiert sie die Verantwortlichen im Rathaus. Das Ordnungsamt schiebe der Polizei den Schwarzen Peter zu, die Polizei dem Ordnungsamt. "Wir kommen uns vor wie Ping-Pong-Bälle."

Vom Stadtrat wünsche sie sich, dass er in Sachen Steinweg durchgreife, sagt Erna Klappstein. "Die Kneipen sollten von 2 bis 6 Uhr dichtmachen müssen", appelliert sie an die Kommunalpolitiker, die Sperrzeit zu verlängern.

Das tut auch Eva Wiesner vom gleichnamigen Fotogeschäft. Mit der Kamera dokumentiert sie seit Jahren die Zustände und Sachbeschädigungen im Steinweg: "Urin an den Fassaden sowie Kot und Erbrochenes im Eingangsbereich der Geschäfte sind an der Tagesordnung." Ihr stinkt es gewaltig, dass sie jedes Wochenende die Hinterlassenschaften der Kneipengäste beseitigen muss.

Oftmals entdeckten die Wiesners auch Spuren in ihrem Wohn- und Geschäftshaus. "Wenn einer an die Wand gepinkelt hatte, lief das Rinnsal unter der Haustüre durch in den Flur. Deshalb haben wir eine Pinkelrinne mit direktem Kanalanschluss installiert", berichtet die Geschäftsfrau. "Ich habe nichts gegen Feiern in gewissem Rahmen. Aber der Steinweg ist in der Nacht ein rechtsfreier Raum." Lärmgrenzwerte Seite 10

Es ist doch kein Zustand, wenn man sich am Wochenende verbarrikadieren muss.

Erna Klappstein, Steinweg-Bewohnerin


Wir kommen uns vor wie Ping-Pong-Bälle.

Steinweg-Anwohnerin






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