Coburg Von der Ackerstadt zum Kleinod

Von Christoph Scheppe

"Perle im Coburger Land", "Oberfränkisches Rothenburg" oder "Rothenburg en miniature": Solche Bezeichnungen fallen immer wieder, wenn von Seßlach die Rede ist.

 
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Seßlach - Keine Frage: Ein intakter mittelalterlicher Stadtkern, eine komplett erhaltene Wehrmauer, malerische Winkel und Gassen sowie liebevoll restaurierten Anwesen verleihen der Kleinstadt Seßlach ein besonderes Flair, dessen Strahlkraft weit über die Region hinaus wirkt - sogar bis nach Hollywood. Im Jahr 2002 diente die Altstadt als Kulisse für einige Szenen des Films "Luther" mit Joseph Fiennes und Sir Peter Ustinov in den Hauptrollen.

Heute ist Seßlach eine pulsierende Kleinstadt mit florierendem Gewerbe, guter Infrastruktur und hoher Lebensqualität. Das steht in Kontrast zu dem Bild, das noch vor vier Jahrzehnten den historischen Stadtkern prägte, weshalb landauf, landab von der Ackerstadt die Rede war. Jüngere wanderten wegen der nicht mehr zeitgemäßen Landwirtschaft und kaum vorhandener Arbeitsplätze ab, Handwerk und Handel verloren ihre Existenzgrundlage, Gebäude wurden dem Verfall preisgegeben. . .

In dieser bedrohlichen Situation entschloss sich der damalige Stadtrat 1975, den sich abzeichnenden wirtschaftlichen Niedergang zu stoppen. "Im Zuge der Flurbereinigung gab es Mitte der 1970er-Jahre erste Überlegungen für eine Erneuerung der Altstadt. Aber leider fehlte dafür das Geld", blickt Altbürgermeister Hendrik Dressel, Stadtoberhaupt von 1984 bis 2014, zurück. Als Bund und Freistaat 1975 ein Zukunftsinvestitionsprogramm zur Konjunkturförderung auflegten, schrieben viele Experten Seßlach eine prädestinierte Rolle zu. So kam es, dass der historische Stadtkern 1978 in die heute als Städtebauförderungsprogramm bekannte Maßnahme aufgenommen wurde. "Das war die erste Entscheidung, die vom Stadtrat nach der Gebietsreform getroffen wurde", spricht Dressel rückblickend vom "größten Glücksfall in der Seßlacher Geschichte". Zumal mit dem Münchener Architekten Klaus Schulz ein versierter Sanierungsträger mit "exzellenten Kontakten zur Obersten Baubehörde und andere Institutionen" zur Seite stand.

Doch bevor die Planer zur Tat schreiten konnten, galt es, Art und Umfang der unter denkmalpflegerischen Gesichtspunkten durchzuführenden Sanierung festzulegen, zumal das Budget auf 2,7 Millionen D-Mark begrenzt war. Denn im Stadtrat gab es unterschiedliche Meinungen. Letztlich setzten sich mit einer Stimme Mehrheit diejenigen durch, die laut Dressel "am schlimmsten Flecken anfangen wollten". So kam es, dass der Startschuss im "Krähwinkel" (Hofmannsplatz), fiel.

In der Heimgasse wurde eine "Musterpflastergasse" angelegt, weil der Denkmalschutz strikt gegen bituminöse Straßen-, Wege- und Freiflächenbeläge war. Die Bürger konnten entscheiden, welche Pflaster-Varianten zum Tragen kommen. Klar war den Verantwortlichen auch, dass die landwirtschaftlichen Höfe ausgesiedelt werden mussten, um Platz für Handel, Dienstleister und Handwerk zu schaffen. Ebenso galt es, bei den Hausbesitzern Überzeugungsarbeit zu leisten, Leerstände zu beseitigen und ihre Anwesen auf Vordermann zu bringen. Das Resultat einer ersten Umfrage war ernüchternd. "Nur zwei Anlieger konnten sich vorstellen, ihr Haus herzurichten", erinnert sich Hendrik Dressel.

Während die Umgestaltung von Straßen, Gassen und Plätzen voranschritt, ließen private Investitionen weiter auf sich warten. Deshalb ergriff Dressel, 1984 zum Bürgermeister gewählt, mit dem Stadtrat die Initiative. Das der Stadt gehörende "Buhlsche Haus" wurde nach Grundsätzen der Denkmalpflege saniert. "1000 Leute waren im November 1986 beim Tag der offenen Tür in dem kleinen Haus und haben gesehen, was man aus alter Bausubstanz alles machen kann", spricht Dressel von einem "Schlüsselprojekt" für private Hausbesitzer und dem "besten Handwerker-Förderprogramm".

Das beflügelte peu á peu die innerstädtische Konjunktur und schaffte Arbeitsplätze sowie neue Dienstleistunszweige. Die Gastronomie lebte ebenso auf wie der Tourismus. Attraktiver Wohnraum im Verbund mit hoher Lebensqualität und moderner Infrastruktur - 1985 war die Kleinstadt eine der ersten Orte bundesweit, die komplett mit Breitband verkabelt war - machten Seßlach nicht nur für Auswärtige wieder interessant. Dressel: "Die Kinder derer, die Seßlach mangels Perspektiven verlassen hatten, kamen vielfach zurück."

Das Bundes-Bauministerium sieht heute in Seßlach "ein sehr erfolgreiches Beispiel für die Sanierung einer historischen Kleinstadt im ländlichen Raum". Bereits 1988 waren die Bemühungen von Verwaltung und Bürger als "bundesweites Musterbeispiel" gewürdigt worden, als Seßlach als Landessieger und eine von zwölf Kommunen den Preis "Bürger, es geht um Deine Gemeinde" verliehen bekam. Wie viel Geld inzwischen über weitere Förderprogramme geflossen sind, lässt sich laut Hendrik Dressel nicht beziffern. "Klar ist, dass es sich gelohnt hat und lohnt. Vieles ist schon erreicht, aber auch noch Einiges zu tun", sagt der Altbürgermeister und schiebt nach: "Wir brauchen keine Bewahrungskultur, sondern müssen uns weiterentwickeln."

Seit 1. Mai 2014 ist Martin Mittag Bürgermeister. Die Einschätzung seines Vorgängers teilt er zu 100 Prozent. "Inzwischen gibt es neue Herausforderungen, denen wir Rechnung tragen müssen", sieht er die Notwendigkeit, einerseits Erreichtes kontinuierlich zu optimieren und andererseits zukunftsorientierte Prozesse anzustoßen. "Unser großes Aufgabenfeld ist das neue Innenstadtkonzept", sagt Mittag. Das beinhalte Themen wie Barrierefreiheit, Seniorenarbeit und ärztliche Versorgung ebenso wie neue Tourismus-Strategien, Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur und Handlungsoptionen für Wirtschaft und Gewerbe. "Wir sind intensiv dabei, unsere Hausaufgaben zu machen, um die Attraktivität Seßlachs auf hohem Niveau zu halten", hofft der Bürgermeister auf weitere Unterstützung durch die Städtebauförderung.

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Untersiemau

Die Städtebauförderung war der größte Glücksfall in der Seßlacher Geschichte.

Hendrik Dressel,

Altbürgermeister

Inzwischen gibt es neue Herausforderungen, denen wir Rechnung tragen müssen.

Martin Mittag,

Bürgermeister

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