Coburg - Mancher fabuliert aus finanziellen Gründen, viele tun es aus Passion. Für Johannes Wilkes hingegen ist das Schreiben ein Akt der Psychohygiene: "Die Mordfantasien müssen raus", bekennt der Autor und rollt drollig-bedrohlich mit den Augen. Für gewöhnlich überkommen ihn die schaurigen Visionen an den friedlichsten Plätzen, im Strandkorb beispielsweise - weshalb der Wahl-Erlanger aus Dortmund seine ersten literarischen Blutspuren auf Spiekerooge hinterließ.

Neuerdings ist aber auch Franken nicht mehr sicher vor seiner kriminellen Energie - warum, und was das mit dem sanftmütigen Dichter Friedrich Rückert zu tun hat, erfuhr ein überschaubares und sehr vergnügtes Publikum am Donnerstagabend im Andromedasaal des Schlosses Ehrenburg. Womit sich eine kriminologische Küchenweisheit in modifizierter Form bestätigte: Zwar kehrte nicht der Täter an den Tatort zurück, aber doch sein geistiger Vater.

Ausgerechnet im gediegenen Ambiente fränkischer Bibliotheken und Archive tragen sich nämlich jene Entleibungen zu, die sich auf 272 Seiten so spannend wie unterhaltsam zum "Fall Rückert" verdichten. Denn alle Mordorte waren einst Wirkungsstätten des unermüdlichen Sprachkundlers und Poeten, für den der Serienkiller offenbar ein ganz spezielles Faible hegt. Und so führen die Ermittlungen den liebesbedingt in Mittelfranken gestrandeten Ruhrpott-Kommissar Mütze und seinen schöngeistigen Lebensgefährten Karl-Dieter von der Erlanger Universitätsbibliothek über Schweinfurt, Bamberg und die Fränkische Schweiz bis in den Neuseser Rückertpark, wo das unnatürliche Ableben eines Gärtners zu beklagen ist. Und schließlich in die Landesbibliothek, in der einst auch Friedrich Rückert Bücher wälzte: "Das große Finale muss in seiner Lieblingsstadt stattfinden", versichert Johannes Wilkes.

Er weiß, wovon er spricht: Als Vorsitzender des Erlanger Rückert-Kreises kennt der 55-Jährige Leben und Werk, Neigungen und Abneigungen des großen fränkischen Romantikers, der in Erlangen 15 sehr produktive Jahre verbrachte - "aber froh war, von dort wegzukommen".

So ergeht es auch heute noch den meisten, behauptet Wilkes mit Verweis auf die deutschlandweit niedrigste Halbwertszeit: Jeder zweite Einwohner verlässt die Stadt nach fünf Jahren wieder. Doktor Wilkes zählt zur anderen Hälfte: Seit 25 Jahren lebt und arbeitet der dreifache Vater als Kinder- und Jugendpsychiater in der Uni- und Siemensstadt, in die ihn damals wohl die Zentrale Studienplatzvergabe verschlug: "Nach Erlangen kommt man nicht freiwillig", bemerkt er trocken.

Die Assimilation scheint in seinem Falle indes recht günstig verlaufen zu sein: Diverse Veröffentlichungen des in seinem Schaffensdrang an Friedrich Rückert erinnernden Nebenerwerbs-Autoren sind seiner Wahlheimat gewidmet, zuletzt "Das kleine Franken-Buch".

Mit seinem profunden Wissen über Land und Leute versteht der Autor seine launige Lesung, die den Titel Performance verdient, witzig zu garnieren: Die Zuhörer erfahren Erfreuliches über die Kriminalitätsrate der Stadt Fürth, Bedenkliches über die Lesegewohnheiten in der Fränkischen Schweiz, Schmeichelhaftes über die Coburger Bratwurst und natürlich Erstaunliches über die Geistesgaben des Sprachgenies Friedrich Rückert.

Vor allem freilich genießen sie die höchst lebendige Rezitationskunst eines mit komödiantischem Talent und Entertainerqualitäten gesegneten Krimischreibers: Wenn Wilkes diabolischen Blickes mit raunender Stimme seinen Mordfantasien Raum schafft, knistert die Luft im Andromedasaal vor Suspense.

Der Weltpoet

Noch bis 17. April zeigt die Stadt Coburg im Kunstverein die große Sonderausstellung "Der Weltpoet". Originalobjekte aus dem Nachlass, Inszenierungen und
interaktive Elemente laden ein, Leben, Werk und Zeit des Dichters und Orientalisten Friedrich Rückert zu entdecken, der die letzten Jahre seines Lebens in Coburg-Neuses verbrachte und hier 1866 starb.

Rahmenprogramm:

16. März, 19 Uhr, Kunstverein:

"Schriftliches von Friedrich Rückert". Grundschüler interpretieren Texte Friedrich Rückerts.

6. April, 19 Uhr, Kunstverein:

Zeitreise - Friedrich Rückert aus neuen Perspektiven.

Mit der Lehrerband der Rückert-Mittelschule "Teachers of the Revolution" und Max Scheler.