Coburg - Am liebsten wäre er gar nicht hier. Lieber zuhause, im Ohrensessel, "bei 'nem Käffchen ein gutes Buch lesen. Mal wieder Hölderlin. Reinste Poesie". Der Sinn fürs Schöne, Wahre, Gute ist Günter Fischer noch immer nicht abhanden gekommen. Soll schon was heißen, nach gut 30 Jahren an der Front. An Orten wie diesem hier, Gymnasium Mannheim-Neckarstadt/Ost, Abschlussklasse. "Mein Gnadenbrot", bemerkt der Lehrer trocken. Aber ohne Zynismus oder Bitterkeit.

Der passionierte Pädagoge ist einer von denen, die im Geiste der von 68er um ihre Ideale ringen, einer, dem es um Menschenbildung geht und nicht um Marktfutter. Der Lehrer als Gärtner, als Menschenfischer: Ein pädagogisches Fossil aus einer Epoche, mit der seine Schüler wenig an der Mütze haben. Der coole Tarek, die intelligente Alexandra, die sensible Beatrice und der zynische Marcel sind Kinder einer neuen Zeit, aufgewachsen mit anderen Realitäten, Werten, Idolen, Problemen. Es kommt, wie's kommen muss, nicht nur auf dem Theater: Aus dem Clash der Generationen werden "Klassenkämpfe".

Die einstige Lehrerin Ruth Johanna Benrath schrieb das Stück mit dem doppeldeutigen Titel, und sie überzeugte mit "knappen, scharfen Dialogen und verblüffender Leichtigkeit" die Jury des Coburger Autorenpreises, den das Landestheater mit Unterstützung des Lions-Clubs 2014 erstmals ausgeschrieben hatte.

Ein Jahr nach der Prämierung sind die "Klassenkämpfe" nun bühnenreif: Am Freitag, 12. Juni, erlebt das junge Stück seine Uraufführung in der Coburger Reithalle. Spannende Wochen liegen hinter allen Beteiligten, die sich bei einem nie zuvor inszenierten Werk nun mal "nicht auf gesichertem Boden" bewegen, wie Dramaturg Dirk Olaf Hanke anmerkt. In Absprache mit der Autorin wurde am Text geschliffen und ein Konzept entwickelt, das die Konflikte zwischen Generationen und Lebensentwürfen und die vielfältige Problematik - Drogen, Migrationshintergründe, Wohlstandsverwahrlosung - abstrahierend aufgreift und sich dabei Bildmetaphern, starker Körperlichkeit und Musik bedient.

Der jungen Regisseurin Judith Kuhnert, die ihr Coburg-Debüt gibt, und ihrem Team geht es nicht um naturalistische Szenen aus dem Schulalltag des 21. Jahrhunderts. Schüler und Lehrer begegnen uns nicht als Charaktere, sondern als Stereotype, die in Laborsituation aufeinandertreffen. Ausgangsfrage des theatralischen Forschungsinteresses: "Kann man sich in diesem Schulsystem überhaupt menschlich begegnen?"

Carola Volles Bühnenbild macht diesbezüglich wenig Hoffnung: Das unbehagliche Klassenzimmer erinnert an einen Käfig, der auf dem Privatbereich der jungen Menschen lastet. Und selbst hier unten verbietet sich der aufrechte Gang, Ducken ist angesagt. Die Schüler sind allerdings durchaus in der Lage aufzubegehren - freilich nicht ganz im Sinne ihres Latein-, Geschichts- und Weltkundelehrers Fischer.

Er meint es wohl zu gut - und ist damit offenbar gar nicht weit von der Realität entfernt: Schülern der Coburger Patenklasse, die die Produktion des Stückes begleiten, kam sein übergriffiger Idealismus irgendwie bekannt vor. "Die kennen das Problem mit Lehrern, die zu nett sind", bestätigt Judith Kuhnert. Auch den Schauspielern, die trotz ihrer Jugend der Schulbank doch schon eine Weile entwachsen sind, half das Feedback beim Finden ihrer Figuren: "Es war ein toller Austausch mit den Schülern", sagt Ingo Paulick. Thomas Straus präparierte sich für die Rolle des Lehrers vor Ort: Er hospitierte zwei Tage an einem Würzburger Gymnasium.

"Das Thema liegt in der Luft", meint Intendant Bodo Busse mit Blick auf die Trends im jungen deutschen Theater. Und er freut sich, mit der überaus erfolgreichen "Tschick"-Produktion und der Uraufführung von "Klassenkämpfe" einen thematischen Bogen über die Spielzeit in der Reithalle spannen zu können. Möglich wurde das, wie er betont, nur durch die großzügige Unterstützung durch den Lions-Club Coburg, der für den Autorenwettbewerb und die Produktion des Siegerstückes insgesamt 25 000 Euro zur Verfügung gestellt hat.

Rund 50 Bewerbungen um den 1. Coburger Autoren-Preis hatte die Jury im vergangenen Jahr zu sichten, rund die Hälfte davon wurde "ernsthaft diskutiert", erklärt Dramaturg Dirk Olaf Hanke. Autorinnen lagen nicht nur quantitativ vorne, sondern lieferten auch die besseren Stücke - und so gingen alle vier Preise im Juni 2014 an Damen. Das drittplatzierte "Hettie doch" von Anne Clausen wurde zwischenzeitlich in Kiel uraufgeführt. Das Coburger Publikum kann die mit zweiten und dritten Preisen ausgezeichneten Stücke und ihre Verfasserinnen am Vorabend der Uraufführung von "Klassenkämpfe" kennenlernen: Bei einer szenischen Lesung am 11. Juni ab 19 Uhr in der Reithalle.

Der Wettbewerb selbst, neben dem es in Bayern nur noch den Münchner Dramatikerpreis gibt, spricht sich zusehends herum in der Szene, die Anfragen häufen sich.

Deutschlandweit rückt er als einziger Stücke-Wettbewerb die aktuelle Situation Jugendlicher und junger Erwachsener in den Fokus. Und dabei soll es bleiben, versichert Hanke: Die Ausschreibung für das 2. Coburger Forum Junger Autoren steht bevor - 2017 darf sich das Coburger Publikum auf die nächste Uraufführung eines preisgekrönten jungen Stückes freuen.

"Klassenkämpfe",

Schauspiel von Ruth Johanna Benrath

Regie: Judith Kuhnert

Bühnenbild und Kostüme: Carola Volles

Dramaturgie: Dirk Olaf Hanke

Mit Eva Marianne Berger, Karina Pele, Oliver Baesler, Ingo Paulick und Thomas Straus

Premiere: 12. Juni, weitere Vorstellungen: 13., 14. Juni, 2., 3., 4., 5. Juli, jeweils 20 Uhr

Theater in der Reithalle, Coburg.

Kann man sich in diesem Schulsystem überhaupt menschlich begegnen?

Regisseurin Judith Kuhnert über ihre

Deutung des Stückes "Klassenkämpfe"

1. Coburger Forum junger Autoren

Ziel des Preises, den das Landestheater Coburg und der Lions-Club Coburg erstmalig vergeben haben, ist die Förderung von Dramatikern am Beginn ihrer Laufbahn. Autorinnen und Autoren wurden eingeladen, Stücke einzureichen, die Themen aus der aktuellen Lebenswirklichkeit Jugendlicher aufgreifen. Mitte Juni präsentiert das

"1. Coburger Forum für junge Autoren" nun die Preisträger des Wettbewerbs: Am 11. Juni werden die zweit- und drittplatzierten Stücke sowie deren Autorinnen Georgia Doll, Anne Clausen und Alexandra Helmig in szenischen Lesungen in der Reithalle vorgestellt. Das Siegerstück "Klassenkämpfe" von Ruth Johanna Benrath erlebt dann am 12. Juni seine Uraufführung.

Die Preisträgerin

Ruth Johanna Benraths Stück "Klassenkämpfe", das mit dem mit 6000 Euro dotierten ersten Preis des 1. Coburger Forums für junge Autoren ausgezeichnet wurde, stellt die Frage nach Toleranz, Demokratie und Macht am Beispiel Schule. Ruth Johanna Benrath, geboren 1966, studierte Germanistik, Philosophie und Geschichte in Heidelberg. Sie schreibt Lyrik und veröffentlichte 2011 ihren mit dem "Frau Ava Literaturpreis" ausgezeichneten Roman "Wimpern wie Gras". Bereits 2009 erschien ihr erster Roman "Rosa Gott, wir loben dich". Mit dem Cellisten Thomas Böhm-Christl inszeniert sie interdisziplinäre Kunstprojekte und tritt als Duo gezinkte sterne auf. Für ihr Stück "Der Junge bei den Fischen" erhielt sie den Deutschen Kindertheaterpreis 2014.

Die Regisseurin

Die gebürtige Starnbergerin Judith Kuhnert, Jahrgangs 1981, studierte nach diversen Regieassistenzen im In- und Ausland Regie für Bühne und Film an der Athanor Akademie für darstellende Kunst in Burghausen. 2010 bis 2013 war sie Regieassistentin und Regisseurin am Staatstheater Darmstadt, wo sie ihren Einstand als freischaffende Regisseurin 2013 mit "Frau Müller muss weg" am Staatstheater Darmstadt gab.