Nürnberg/Weiden/Hof - Wenn er am Tapeziertisch steht, glaubt er manchmal, der Geist von Kevin Coyne schwebe über ihm. Stefan Voit öffnet die nächste gewaltige Mappe aus grauem Karton, holt den Inhalt heraus und breitet ihn vor sich aus. Stapelweise Zeichnungen mit unterschiedlichen Motiven und in den verschiedensten Formaten. Die meisten knallig bunt. Ein Sammelsurium aus zeitgenössischer Kunst, in das Voit Ordnung bringen möchte, um irgendwann ein Werkverzeichnis zu erstellen. Und ganz besonders, um die Bilder des 2004 mit nur 60 Jahren verstorbenen Kevin Coyne der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Kevin Coyne - Schicksal eines Musikers

Die Urteile des Allmusic-Guide, der kompetentesten Internet-Datenbank in Sachen Jazz, Rock und Pop, sind faktisch unantastbar: Dort meint man, nicht wenige Liedermacher seien zwar bekannter als Kevin Coyne - doch nur eine Handvoll lieferte so gute Arbeit ab wie er. Der aus Derby stammende Songwriter, der am 27. Januar dieses Jahres seinen 75. Geburtstag gefeiert hätte, galt in gleich mehrfacher Hinsicht als ziemlich einzigartig. Zum einen verband er Roots-Blues und Folk durch sein unorthodoxes Gitarrenspiel zu einem uniquen Crossover. Zum anderen besaß Coyne eine unverwechselbare Stimme. Und der Mann konnte Songs schreiben. Lieder aus seiner Feder wie "Eastbourne Ladies" oder "Marlene" wären zu Hits geworden, in einer besseren Welt. Sogar als Ersatz für Jim Morrison, nach dessen Tod bei den Doors, war Coyne ernsthaft im Gespräch. Der berühmte DJ John Peel nahm Coyne und dessen erste Band Siren unter seine Fittiche, gab ihnen einen Plattenvertrag auf seinem Dandelion-Label. Auch lud er Coyne gleich mehrfach zu seinen berühmten Peel-Sessions ein. Doch half alles nichts. Selbst Ex-Mitglieder von Coynes Band wurden bekannter als er: so der Soul-Organist Zoot Money und der spätere Police-Gitarrist Andy Summers. Berühmtheit und eine bessere Welt für sich und seine Familie, das hatte
Coyne sich immer erträumt. Doch das Schicksal wollte es anders: Dieser Künstler sollte die Tiefen des Daseins durchschreiten. Im Jahr 1985 strandete Kevin Coyne mittellos und alkoholkrank in Nürnberg: zerbrochen am ständigen Experten-Lob, das sich jedoch nie in klingende Münze umwandeln ließ. Er blieb - wohl wissend, dass er, nach einem Auftritt im WDR-"Rockpalast" eine kleine, aber feine Fan-Gemeinde hierzulande besaß. Und er raffte sich wieder auf - dank Helmi, der neuen Frau an seiner Seite. Coyne schrieb wieder Lieder, malte wie ein Besessener, gab Live-Konzerte und hatte mit seiner Band sogar regelmäßige Auftritte im Stück "Linie 1" am Nürnberger Theater. So bereicherte Kevin Coyne rund 20 Jahre lang das Kulturleben seiner neuen fränkischen Heimat. In gewisser Weise: bis heute. Thoralf Lange


In einem ehemaligen Laden im Weidener Stadtteil Wöhrd, dessen Schaufenster verhängt sind, verbringt Voit viele Wochenenden. Er ist der Nachlassverwalter des Musikers, Dichters und bildenden Künstlers, der 20 Jahre in Nürnberg gelebt hat. Coyne war ein Getriebener, hat ständig gemalt und gezeichnet. Jeden einzelnen Tag Kunst zu machen, sah er als seine Aufgabe im Leben. So entstanden Tausende von Zeichnungen und Acrylbildern. Eine Fülle an Kunst, die jetzt in dem Laden lagert und auf ihre Entdeckung wartet.

Stefan Voit hat schon viel dafür getan, dass Coynes Werk nicht in Vergessenheit gerät. Voit ist 58 Jahre alt, lebt in Weiden und ist von Beruf Kulturredakteur. Der Mann mit dem markanten Kinnbart, der runden Brille und den roten Sneakers ist auch in seiner Freizeit in Sachen Kunst unterwegs. Die Weidener Literaturtage hat er bereits mit mehreren von ihm kuratierten Ausstellungen bereichert: Werke von Günter Grass, Armin Mueller-Stahl, Linda McCartney, Herlinde Koelbl und Klaus Voormann waren zu betrachten. Für die nächste Schau erinnerte sich Voit an Coyne, den er vorher hauptsächlich als Musiker wahrgenommen hatte. Er fragte bei Kevin Coynes Witwe Helmi an. Die freute sich über das Interesse. Mehr als 200 Bilder waren dann 2012 in Weiden bei einer Retrospektive zu sehen. Es war die erste große Ausstellung nach dem Tod des Künstlers. Helmi Coyne und Stefan Voit wurden zu Freunden. Irgendwann sagte sie zu ihm: "Wenn du willst, kannst du dich um den Nachlass meines Mannes kümmern." Voit wollte.

Inzwischen hat Stefan Voit bereits sieben erfolgreiche Coyne-Ausstellungen organisiert. Nicht nur zahlreiche Kunstinteressierte kamen, sondern auch viele treue Fans des Rockmusikers. Zur jüngsten Schau im Chamer Cordonhaus erfüllte sich Voit einen großen Wunsch: einen Katalog. Darin sind die humorvollen, oft auch sarkastischen Bilder und Zeichnungen nach Themen gegliedert. Verrückte Sachen, die
Coyne gemalt hat: Tiere, Selbstporträts, Familienszenen; auch Sex und die Liebe waren seine Motive. Wegbegleiter von Kevin Coyne haben für das Büchlein ihre Erinnerungen aufgeschrieben. Voit freut sich über den Katalog. Finanziert hat er ihn über Sponsoren und durch Crowdfunding. "Damit kann ich mich jetzt bei Galerien bewerben", sagt Voit.

Stolz zeigt er das bunte Umschlagbild, blättert durch die Seiten. Die nächsten Ausstellungen hat er
längst vorbereitet: Nach einer Ausstellung in Wörgl in Tirol gibt’s im Frühjahr eine große Schau beim Kunstverein in Hof und zu Pfingsten 2019 in Frankreich, wo Coyne als Musiker viele Fans hatte. Inzwischen ist Voit auch Tourneemanager: Für Singer/Songwriter Robert Coyne, den Sohn.

Oftmals verschwinden alle Werke, wenn Künstler sterben und niemand da ist, der sich um den Nachlass kümmert. "Dann sind sie weg
vom Fenster", sagt Voit. Er sieht
das als großes Problem, das auch
Museen nicht abfangen können.
"Sie können nicht alle Nachlässe aufkaufen."

Helmi Coyne ist sehr froh, dass Voit die Werke aus dem Dornröschenschlaf erweckt hat. "Er ist ein super aktiver, kunstbegeisterter Enthusiast und unermüdlich in seiner Kontaktpflege zur Kunstszene", lobt sie ihn. Sie selbst hätte gar nicht die Kraft, sich mit den Werken zu befassen: "Mir geht das alles viel zu nahe." Für sie ist es ein Wink des Schicksals, dass sich alles so ergeben hat. "Wenn mir Helmi nicht ihr Vertrauen geschenkt hätte, dann wäre ich nicht so tief eingestiegen", sagt Stefan Voit. Und, dass er es sehr schade fände, wenn dieses bedeutende Werk in Vergessenheit geraten würde.