Coburg - Im Februar 1921 betritt ein Mann im weißen Arztkittel einen Operationssaal des Coburger Landkrankenhauses. Was sich zunächst unspektakulär anhört, birgt eine kleine Sensation: Der Mann ist kein Arzt, sondern Schriftsteller und zwar kein geringerer als Thomas Mann.

Der Literat, 1875 in Lübeck geboren, war auf Einladung der ortsansässigen "Gesellschaft für Literatur und Musik" (1918-1928) in die Vestestadt gekommen, um am Abend des 12. Februar eine Lesung abzuhalten. "Eine hochbedeutsame Anregung für die gebildete Leserwelt", so lobt die Coburger Zeitung den literarischen Abend. Vom Auftritt ist man schlichtweg begeistert: "Thomas Mann, der mit federnder Elastizität an den Tisch herantrat, ist der berufene Interpret seiner Werke".

Drei Erzählungen gibt der Schriftsteller bei der Lesung zum Besten, darunter Auszüge aus den damals noch unveröffentlichten "Bekenntnissen des Hochstaplers Felix Krull". Mit den Lausbubengeschichten zieht Weltliteratur in Coburgs Gesellschaftshaus ein - heute allerdings weiß kaum einer mehr um die Verbindung des Literaturnobelpreisträgers (1929; Die Buddenbrooks) zur alten Residenz Coburg.

Während seines Aufenthaltes in Coburg wohnt Thomas Mann bei dem Chirurgen Dr. Franz Colmers, seit 1909 Direktor des Landkrankenhauses. Die beiden Männer begegnen sich im Februar 1921 zum ersten Mal; dass sich zwischen ihnen eine langjährige Freundschaft entspinnt, verwundert angesichts der gemeinsamen Interessen nicht. Mit Thomas Mann, der Medizin und Musik als "Nachbarsphären" seiner Kunstübung bezeichnet, und dem literaturbegeisterten Franz Colmers treffen zwei Brüder im Geiste aufeinander.

Lange nach dem Coburger Aufenthalt Thomas Manns entspann sich eine Brieffreundschaft zwischen den Gleichgesinnten; die Korrespondenz aus den Jahren 1936 bis 1945 lagert heute im Kellerarchiv der Harvard University in Cambridge/ Massachusetts. Es ist, was es ist: Das unverbrüchliche Zeichen einer Männerfreundschaft.

Um seinem neu gewonnenen Freund Anschauungsunterricht par excellence zu bieten, schleuste Franz Colmers den wissbegierigen Schriftsteller also in den Operationssaal ein. Verkleidet als Mediziner wohnte der spätere Nobelpreisträger hier zwei Kropf-Operationen bei - zu einer Zeit, als er gerade am "Zauberberg" arbeitete. Medizinische Feldstudien, das ist allemal besser als Bücherwissen, dachte sich der Literat und forschte in Coburg nach Herzenslust, um den siebenjährigen, freiwilligen Aufenthalt von Protagonist Hans Castorp im Sanatorium möglichst anschaulich darstellen zu können. Eine direkte Verbindung zwischen dem Mann'schen Zauberberg und Coburg, wer hätte das gedacht?

Stippvisite in Heldritt

Und nicht nur in Coburg selbst, auch in Heldritt weilte der große Schriftsteller im Februar 1921. "Über meinen Vater gab es irgendeine Verbindung zu Thomas Mann", sagt Ruprecht von Butler, Jahrgang 1924, heute. Eventuell über die Wehrpflicht, die der Vater, Carl Moritz Hermann von Butler, in Pommern ableistete? Immerhin war der Heldritter Adelsmann nur ein Jahr jünger als Thomas Mann - letzterer allerdings wurde 1916 ausgemustert, wegen Magenschwäche und Nervosität. Wie also nun genau eine Verbindung zwischen Thomas Mann und Carl von Butler zustande kam, bleibt ungewiss. Fest steht: "Aus Erzählungen meiner Kinderzeit weiß ich: Thomas Mann war auch einmal hier im Schloss", sagt Ruprecht von Butler, schränkt aber gleich ein: "Einen Eintrag im Gästebuch meiner Eltern gibt es nicht, es war also nur eine Stippvisite ohne Übernachtung."

Der Kürze des Besuches zum Trotz, freut sich in diesen Tagen vor allem einer, dass die Verbindung Thomas Manns zum Coburger Land wiederentdeckt wird. Prof. Dr. Johannes Kraft, Chefarzt der Geriatrie Coburg, liegt die Verbindung zwischen Medizin und Kultur am Herzen - ebenso wie seinerzeit Franz Colmers.

Die Kunst des Heilens

"Ohne mir dessen ganz bewusst zu sein, ist mir dies hier in meiner Funktion als Chefarzt in diesem Gebäude ebenfalls immer ein wichtiger Baustein eines ganzheitlichen Gesundheitsverständnisses gewesen", sagt er. Seit der Gründung der Geriatrie 1996 fanden mehr als 300 Vernissagen, Konzerte, Dichterlesungen statt, "getreu dem Motto, Heilung ist mehr als technische Höchstleistung am Menschen", so der Chefarzt. "Seelische Prozesse, Schwingungen und Emotionen". All dies spielt nach seiner Einschätzung bei der Genesung eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Trefflich also, dass der Besuch Thomas Manns in Coburg nun wieder in das Bewusstsein der Menschen vor Ort gerückt wird. "Und all dies in dem schönen Gründerzeitgebäude, dem früheren Schlösschen des Barons Gottwaldt."