Stockholm - "Nein, nein, nein!" Der syrische Dichter Adonis wackelt mit dem Zeigefinger hin und her und schüttelt vehement den Kopf. Über den Nobelpreis will er nicht reden. Zu oft hat der 86-Jährige schon als ein Favorit auf die berühmteste Literaturauszeichnung der Welt gegolten - und den Preis dann doch nicht bekommen. Auch vor der diesjährigen Verkündung in der ersten Oktoberhälfte sieht das Wettbüro Ladbrokes ihn weit vorne. Droht der bedeutenden Stimme der arabischen Welt wieder dasselbe Schicksal?

"Ich glaube, er ist zu alt", sagt Stephen Farran-Lee. Der Schwede hockt auf den Treppen, die sein Verlag Natur & Kultur als Sitzgelegenheit an dem geräumigen Stand auf der Buchmesse in Göteborg aufgebaut hat. "Ich habe seinen Namen zum ersten Mal 1987 gehört. Jetzt ist es vielleicht ein bisschen zu spät." Auch der Verleger Svante Weyler, der seine Bücher in der Nähe aufgebaut hat, zweifelt an den Chancen des Syrers. "Er schreibt nicht genug gute Gedichte", sagt Weyler. "Und er würde als Kandidat für die arabische Literatur gesehen. Die Akademie scheut sich vor repräsentativen Kandidaten."

Die Spekulationen vor der Preisvergabe durch die höchst verschwiegene Jury gründen aber häufig auf Proporz. Wann gab es zuletzt einen Preisträger aus Afrika? Wäre es nicht Zeit für einen Dramatiker? Dann könnte es der Norweger Jon Fosse werden, munkeln Kenner auf der größten Buchmesse Skandinaviens. Aber die Schwedische Akademie, die den Preisträger kürt, schreckt vor nordischen Kandidaten zurück, seit sie 1974 mit Eyvind Johnson und Harry Martinson zwei ihrer Mitglieder auszeichnete und Schelte kassierte. Erst ein Mal ging der Preis seitdem an einen Skandinavier: den schwedischen Dichter Tomas Tranströmer 2011. Zum Glück ein ganz unumstrittener Kandidat.

Auch die Akademie ist auf der Buchmesse kurz vor der Preisvergabe vertreten, die Juroren mischen sich unter die Besucher. Der frühere Ständige Sekretär Horace Engdahl signiert sein neues Buch. "Als Journalist in Schweden guckst du in den Herbstwochen vor dem Nobelpreis immer genau hin, wenn du Mitglieder der Akademie siehst", sagt die Literaturkritikerin Åsa Beckman von der Zeitung Dagens Nyheter. "Wir versuchen alle Zeichen zu deuten, die uns etwas darüber sagen, was sie lesen und diskutieren." Doch Engdahl und Co wissen, dass sie beobachtet werden und lassen sich längst nicht mehr in die Karten gucken, meint Farran-Lee. "Das ist fast wie die CIA."

Während der Verleger sich mit Favoriten für den diesjährigen Preis schwertut, setzt die Journalistin Beckman auf den israelischen Schriftsteller David Grossman. "In den Spekulationen hört man häufig seinen Namen." Weylers heißester Tipp ist der Rumäne Mircea Cartarescu. "Cartarescu taugt für einen Nobelpreis. Er war ziemlich lange aktuell, jetzt hat er seine Trilogie vollendet. Er kommt aus Rumänien - alles könnte für Cartarescu sprechen."

In der Gunst der Tipper stehen dagegen wie schon in den vergangenen Jahren der Japaner Haruki Murakami, der kenianische Schriftsteller Ngugi Wa Thiong'o und der US-Amerikaner Philip Roth. Die Profis rechnen keinem von ihnen Chancen aus. Murakami sei "zu hip", sagt Farran-Lee, "nicht die Art Schriftsteller, die die Akademie mag".

Wa Thiong'o laufe Gefahr, wie Roth als ewiger Kandidat zu enden, meint Weyler: "Wir wissen: Wenn jemand drei Jahre auf der Shortlist der Nobel-Jury gestanden und keine Mehrheit gefunden hat, ist er oder sie weg vom Fenster." Manche schafften es später mit neuen Werken wieder auf die Liste und bekämen dann doch den Preis, wie J. M. G. Le Clezio 2008. Doch für den 83-jährigen Roth, der 2012 seinen Rückzug vom Schreibtisch verkündet hatte, könnte es zu spät sein.

Also vielleicht doch Adonis? Sein Verleger Simon Brouwers ist überzeugt: "Er ist einer der besten Dichter der Welt." Und: "Er wäre eine wirklich mutige Wahl."

Zahlen und Fakten

Für viele Literaturfans ist die Vergabe des Nobelpreises das Highlight des Jahres. Einige Zahlen und Fakten rund um die Auszeichnung:

- 112 Preisträger hat die Akademie bislang gekürt.

- 108 Literaturnobelpreise sind seit 1901 verliehen worden.

- 65 Jahre ist das Durchschnittsalter der Nobelpreisträger.

- 50 Jahre bleiben die Nominierungen für den Literaturpreis geheim.

- 27 Preisträger haben ihre Werke auf Englisch veröffentlicht.

- 13 deutschsprachige Autoren sind unter den Preisträgern.

- zwei Geehrte haben den Nobelpreis abgelehnt: Boris Pasternak, der auf Drängen des Sowjet-Regimes verzichtete, und Jean Paul Sartre, der aus Prinzip Ehrungen ablehnte.