Dass es in Coburg nicht nur Xavier-Naidoo-Fans gibt, zeigte sich am Montagabend, als über 200 Personen den Saal des Pfarrzentrums St. Augustin füllten. Sie waren nicht gekommen, um Mannheim-Pop zu lauschen, sondern um sich am geistreichen Formulieren des Roger Willemsen zu erfreuen. Und natürlich war man auch gespannt, wie er denn so ist, der bekannte Fernsehmann Roger Willemsen.

Nun, wie ist er? Sympathisch, eloquent, charmant – also schon so, wie man ihn aus seinen TV-Formaten kennt. Diesmal allerdings hatte er schwere Kost im Gepäck, nicht das geistreiche, pointierte Unterhalten stand im Vordergrund, sondern Lebens-, Daseins- und Schicksalsbetrachtung.

Zunächst aber freute sich Irmgard Clausen, Inhaberin der Buchhandlung Riemann, über den so zahlreichen Zuspruch des Publikums, und sie versprach nicht nur einen spannenden Lese-Abend, sondern auch Wein und Wasser „für danach“. Dies war denn auch gleich für Willemsen eine Steilvorlage, denn so ein Abend, „der mit der Aussicht auf eine Besäufnis beginnt“, sei doch sehr viel versprechend.

Und dann legt Roger Willemsen los. Er beplaudert sein Publikum, dankt für die Sensibilität des Lesers und dafür, dass sie ihm für diesen Abend 75 Minuten ihrer Lebenszeit schenken.

„Der Knacks“ heißt die Neuerscheinung aus dem S. Fischer Verlag. Ganz persönlich beginnt das Buch: mit Roger Willemsens Erinnerungen an den Tod seines Vaters. Dies führte – so analysiert er – zum Knacks in seinem Leben. Dem Autor geht es um „Ermüdungsbrüche“: „Der Knacks von innen … ist der Falte vergleichbar.“ Das Trauma hinterlässt eine Narbe, der Knacks eine Falte: „Die Narbe verrät die Verletzlichkeit, die Falte die Zeitlichkeit des Menschen“, philosophiert Willemsen, und auch: „Der mit dem Knacks: der beschädigte Held, der in sich selbst Gescheiterte“.

Schier atemlos erzählt Willemsen, dass keine Literatur ohne den Knacks auskomme, dass ihn selber die Literatur sensibilisiert habe für den Mangel, für die Abwesenheit, dafür, dass etwas nicht reicht, dass etwas fehlt.

Der chronologische Lebenslauf – so Willemsen – bilde unser Leben nicht ab. Vielmehr fehlen „diffuse Existenzstimmungen“, die nur peripher mit den Daten zu tun haben. „Mich interessieren die nicht unkaputtbaren Charaktere“, bekennt der Autor, und beklagt, dass wir in den Bildern des Perfekten ersaufen. Er prangert das vorherrschende, quantifizierende Weltbild an, wünscht sich stattdessen ein qualifizierendes, das den „liebenden Blick“ erfordere.

Willemsen erzählt, plaudert, weiß sein Publikum in den Bann zu ziehen. Man fragt sich: „Atmet der überhaupt mal?“ Und das wäre gar nicht so schlecht mit dem Luftholen, dann hätte auch der Zuhörer Gelegenheit, die wie aus einem Schrotgewehr verschossenen Sätze mal kurz zu bedenken. Aber weiter, weiter, keine Zeit, kein Atemholen: Willemsen ist so begeistert von seiner „Knacks“-Philosophie, da will er denn auch möglichst viel davon rüberbringen.

Doch bleibt (allzu) vieles in diesem 300-Seiten-Buch im Ungefähren; es findet „irgendwie, irgendwann, irgendwo“ statt. Der „Mehltau der Gewohnheit“ wird ebenso beklagt wie die „Taubheit der Routine“. Recht beliebig und oberflächlich werden Plattitüden aneinander gereiht, larmoyant beklagt Willemsen, dass wir sowieso nichts ändern können, und er kommt zu fragwürdigen Schlussfolgerungen wie dieser: „In jedem Leben kommt der Augenblick, in dem die Zeit einen anderen Weg geht als man selbst: Es ist der Moment, in dem man aufhört, Zeitgenosse zu sein. Man lässt die Mitwelt ziehen“. Der Einzelne in seiner Isolation ist ohnmächtig, bei Willemsen versinkt er in sein Scheitern, muss sich mit der vermeintlichen Unabänderlichkeit der Verluste und Schäden abfinden.

Nach etwa 90-minütiger Präsentation des Buches, wartete noch weitere Arbeit auf Roger Willemsen: seine Fans standen Schlange beim Signieren, um so den Lieben einen Hauch von Prominenz auf dem Gabentisch präsentieren zu können.

Roger Willemsen: „Der Knacks“. 300 S., gebunden. S. Fischer Verlag, ISBN 978-3-10-092105-5, 18,90 .