Coburg / Ebern / Schweinfurt - In den Konzertsälen könnte man regelmäßig eine Feder fallen hören, wenn Gustav Mahlers "Ich bin der Welt abhandengekommen" gesungen und von einem träumerischen Orchester begleitet wird. Eine Vision vom großen Schweigen, von der Sehnsucht nach einem "stillen Gebiet" abseits vom "Weltgetümmel". "Es ist Empfindung bis in die Lippen hinauf, die sie aber nicht übertritt", hat Mahler selbst über den Liedtext gesagt. Mahlers Vertonung hat das vielleicht schönste von Friedrich Rückerts "Kindertotenliedern" und den Autor selbst unvergesslich gemacht.

Vor 150 Jahren starb Friedrich Rückert in Coburg - in der Vestestadt wird deshalb des Dichters in diesem Jahr mit einer Vielzahl von Veranstaltungen gedacht. Auch Ebern feiert "seinen Sohn", der rund ein Jahrzehnt lang mit Unterbrechnungen hier lebte: Die Familie war mit dem damals 21-jährigen Friedrich 1809 nach Ebern gezogen.

Sprudelnde Produktivität

Wenige wissen, dass Rückert nach dem frühen Tod seiner zwei Lieblingskinder Luise und Ernst - sie fielen einer Scharlach-Epidemie zum Opfer - in einem Schmerz, der nicht enden wollte, mehr als 400 solcher "Kindertotenlieder" geschrieben hat. Und dass der als Dichter zu Lebzeiten erfolgreiche, heute aber ziemlich vergessene Friedrich Rückert ein Sprachgenie gewesen ist, der mindestens 45 Sprachen beherrschte - unter anderem Altäthiopisch, das biblische Aramäisch, Hindustani, Koptisch, Malaiisch, Sanskrit, Syrisch - und als Mitbegründer der deutschen Orientalistik gilt. Den Koran und viele alte arabische Volkslieder hat er einfühlsam übersetzt.

Von seiner Lyrik und Prosa kennt man nur noch ein paar ziemlich sentimental vertonte Ohrwürmer ("Aus der Jugendzeit", "Du bist die Ruh, der Friede mild"). Seine sprudelnde Produktivität, seine mühelose Beherrschung der literarischen Formen, so kritisieren Wissenschaftler heute, stehe in keinem Verhältnis zur oft dürftigen Aussage. Immerhin: Rückerts Adventslied "Dein König kommt in niedern Hüllen" (1834) steht noch im Evangelischen Gesangbuch. Und eine merkwürdige Redensart ist ins Deutsche eingegangen: "Mein lieber Freund und Kupferstecher!" Ein Zitat aus Rückerts Reiseberichten aus Italien, wo er in Rom den deutschen Zeichner - und Kupferstecher! - Carl Barth kennenlernte.

Geharnischte Sonette

1788 in Schweinfurt in bürgerlichen Verhältnissen geboren, studierte Rückert Jura in Würzburg, wechselte aber bald zur Sprachwissenschaft und Ästhetik, wurde in Hildburghausen Mitglied der Freimaurerloge "Karl zum Rautenkranz", war Dozent in Jena und Gymnasiallehrer, um sich schließlich als Privatgelehrter wieder in Würzburg niederzulassen. Unter dem Pseudonym Freimund Reimar schrieb er "Geharnischte Sonette" gegen die napoleonische Besatzung.

Mit seiner Behauptung, das griechische Geistesleben sei eigentlich orientalischen Ursprungs, und seinem leidenschaftlichen Plädoyer für die Aufwertung der Philologen - die letztlich zu den Philosophen gehörten - hatte er sich bei Fachkollegen unbeliebt gemacht. Sein politisches Engagement brachte ihm ebenso behördliche Rügen ein wie unkonventionelle Kleidung und Haartracht.

Von 1819 bis 1826 lebte Rückert als Privatgelehrter in Ebern und Coburg. In dieser Zeit beschäftigte er sich unter anderem mit Teilübersetzungen des Korans. Er heiratete Luise Wiethaus-Fischer aus Coburg, das Paar bekam zehn Kinder.

Beim Stuttgarter Cotta-Verlag redigierte der aufmüpfige Dichter den poetischen Teil des "Morgenblatts für gebildete Stände". Dann wurde er doch noch Professor - für orientalische Sprachen und Literaturen, 1826 in Erlangen. 1841 berief ihn König Friedrich Wilhelm IV. nach Berlin, machte ihn zum Geheimen Regierungsrat und verlieh ihm den Orden Pour le Mérite. Nach sieben Jahren kam Rückert zurück nach Coburg auf den Nattermannshof in Neuses. Er verzichtete auf jede akademische Tätigkeit und wählte dafür die Ruhe und Abgeschiedenheit seiner Dichterstube. Er wurde immer mehr zum Einsiedler, vor allem nach dem Tod seiner Frau Luise 1857. Die letzten Lebensjahre Rückerts, der am 31. Januar 1866 starb, waren geprägt vom Wunsch, bald mit Luise vereint zu sein. np/epd