Die Literatur-Welt zu Gast bei Freunden: Sportlich startete am Freitagabend die Reihe „Coburg liest“ in der Coburger Reithalle mit dem Roman-Marathon. Vier Autoren präsentierten vor dem interessierten Lese-Publikum die facettenreiche Bandbreite der zeitgenössischen Literatur. Über Liebe und Passion schreiben sie, über Verletzungen und Verlust, über heute und damals. Und das Spannende: Obwohl sie alle in der deutschen Sprache zu Hause sind, ist ihr Blickwinkel europäisch und von unterschiedlicher Herkunft geprägt.

Nach der Begrüßung durch Buchhändlerin Irmgard Clausen und der Eröffnung durch Bürgermeister Norbert Tessmer, der die Bedeutung des 5. „Coburg liest“ im Rahmen einer kleinen, feinen Literaturszene hervorhob, lasen im ersten Teil der Veranstaltung Knud Romer und Katja Lange-Müller.

Ein Stück jüngerer deutscher Geschichte präsentierte die gebürtige Ostberlinerin Katja Lange-Müller (geb. 1951). In ihren Roman „Böse Schafe“ erzählt sie von einer unglücklichen, leidvollen Liebesgeschichte im geteilten Berlin von 1987. Die Aushilfsblumenhändlerin und ehemalige Schriftsetzerin Soja hängt nach wie vor an ihrer großen Liebe Harry, obwohl ihr nichts geblieben ist als ein Schulheft, in dem Harry über das schrieb, was ihn während ihrer gemeinsamen Zeit beschäftigte. Nur Soja kommt darin nicht vor, und so macht sie sich daran, nach dem Aidstod des Geliebten, diese Lücken zu füllen. Dabei wird immer deutlicher, was Harry, der Ex-Knacki und Drogensüchtige, ihr alles verschwiegen hat.

Katja Lange-Müller – sie hat ebenfalls den Schriftsetzerberuf gelernt und begann mit dem Schreiben während ihrer Nachtwachen als Pflegerin in einer psychiatrischen Klinik – vereint in ihrem Buch nüchternen Realismus mit manchmal lakonischem Humor. Die ausgewählte Episode des Kennenlernens von Soja und Harry amüsierte das Publikum.

Aus Kopenhagen angereist kam für den Roman-Marathon der deutschstämmige, aber in Dänemark aufgewachsene Knud Romer (geb. 1960). Dass der ehemalige Art Director die Kunst des Werbens perfekt beherrscht, bewies er in der unterhaltsamen Darstellung seines Werdegangs. Als Kind las er die großen Dichter wie Rilke, Eichendorf oder Novalis und schon als 13-Jähriger war ihm klar, dass er deutsche Poesie schreiben wollte. Und er wollte im renommierten Insel-Verlag veröffentlichen wie vorher Hesse, Rilke und Benjamin. Wie er es über ein Dauerstudium der Literatur zu nichts gebracht habe, als materiell erfolgreicher Werbemensch zu werden, dann abzustürzen und schließlich doch der Berufung zur Schriftstellerei nachzugehen, das schilderte Romer hinreißend.

„Wer blinzelt hat Angst vor dem Tod“ heißt Knud Romers Romandebüt, mit dem er in Dänemark einen Skandal auslöste. Als die deutsche Übersetzung tatsächlich beim Insel-Verlag erschien, so erzählt er, erlitt er einen Nervenzusammenbruch. Als Kind deutsch-dänischer Eltern erlebt Knud in den sechziger und siebziger Jahren in Dänemark, wie lange die Verletzungen des Zweiten Weltkriegs noch nachwirken. Seine Mutter ist Deutsche und für die Mitschüler ist Knud ein „deutsches Schwein“. Die Mutter muss sich als „Hitlerliebchen“ beschimpfen lassen, doch keiner weiß, dass ihr erster Verlobter von den Nazis hingerichtet wurde. Quer durch Dänemark und Deutschland bis nach Oberfranken führt die Geschichte von Romers Familie über drei Generationen. In Coburg stellte er unter anderem Onkel Hermann aus Münchberg vor, der Stalingrad überlebte, aber darüber den Verstand verloren hat und „Knüdchen“ bei jedem Besuch einen weiteren Granatsplitter schenkt, den sein Körper wieder freigegeben hat.

Nachdem die Pausen-Pianomusik, gespielt von Manuel Werner, verklungen war, eröffnete die in Berlin lebende Autorin Marica Bodrozic den zweiten Teil des Romanmarathons. 1973 in Dalmatien geboren und in Herzegowina aufgewachsen, folgte sie ihren Eltern 1983 nach Deutschland. Wie Moderator Dr. Reinhard Heinritz erläuterte, fand sie in der deutschen Sprache ein Medium, ihre eigene Kindheit neu zu entdecken. In den unter dem Titel „Der Windsammler“ vereinten Erzählungen entführt sie in eine mediterrane Welt, wo die Schönheit von Natur und Landschaft, die Poesie der Erinnerungen von den harten Fakten eines Lebens unter den Bedingungen von Diktatur und Krieg kontrastiert werden. Auf elf dalmatinischen Inseln sammelt sie Versatzstücke der Wirklichkeit, um sie in moderne Märchen münden zu lassen. Die Erinnerung an die Toten des jugoslawischen Gulag wird in „Die Meeresseite der Orange“ lebendig. „Spielarten einer Katzenballade“ erzählt von Liebe und Sehnsucht.

Ein bisschen Fitzcarraldo blitzt auf in dem Roman „Eine Frage der Zeit“. Der französisch-schweizerische Autor Alex Capus (geb. 1961) erzählt von der abenteuerlichen Reise eines deutschen Dampfschiffes und seines Wiederaufbaus am Tanganikasee. Drei norddeutsche Werftarbeiter reisen 1913 nach Deutsch-Ostafrika, lassen sich beeindrucken von der exotischen Kulisse und der schönen Gouverneurin, erleben aber auch den brutalen Alltag in der Kolonie. Zur gleichen Zeit wird ein englischer Oberleutnant von Churchill damit beauftragt, zwei Kanonenboote quer durchs afrikanische Festland an den Tanganikasee zu schleppen und „dort ein Loch in das deutsche Dampfschiff zu machen, um es zu versenken“.

Bevor er den neugierigen Zuhörern diesen exzentrischen britischen Offizier vorstellte, der mit seinen nackten Schwimm- und Ertüchtigungsübungen die wohlanständige Kolonialgemeinde gegen sich aufbringt, schilderte Alex Capus humorvoll seinen eigenen Arbeitsalltag. Er skizzierte den vierfachen Familienvater, der in der Normandie geboren ist und in der Schweizer Kleinstadt Olten lebt, als ob er selbst seine eigene Romanfigur sei. Dem Roman um die drei Papenburger Schiffsbauer, die 1913 nach Afrika geschickt werden, liegt eine wahre Geschichte zugrunde, die Capus gründlich recherchiert hat. Sogar mit dem realen Dampfschiff, das es heute noch gibt, ist er selbst auf dem Tanganikasee gefahren.

Trotz fortgeschrittener Stunde war das Interesse der Besucher an den vier Autor/innen groß. Und die vier Gäste beantworteten gerne die Fragen zu ihrem Arbeitsstil, wie sie zum Schreiben gekommen sind und zu ihren nächsten Projekten.