Coburg - Sie hat sich als Romanautorin, Lyrikerin, Herausgeberin und Dramen-Übersetzerin einen Namen gemacht. Die Schriftstellerin Elisabeth Plessen bekennt jedoch: "Am liebsten sind mir Romane, weil ich darin eine ganze Welt erfinden kann." Durch die Fragen, die sie den Roman-Figuren stelle, könne sie "mehr über das Leben herauskriegen, als es im alltäglichen Leben möglich wäre". Romane schreiben hat nach Plessens Ansicht auch etwas Konservatives, weil man dadurch etwas von der ständig sich verändernden Welt festhält.

Am kommenden Donnerstag, 28. Januar, wird Elisabeth Plessen um 20 Uhr in der Coburger Reithalle Einblicke in ihre Werk geben. Dort liest sie neben ihrem Schlüsselroman, "Mitteilung an den Adel", eine Erzählung aus dem Erzählband "Lady Spaghetti" sowie Gedichte. Derzeit, das berichtet sie im Gespräch mit der Neuen Presse, widmet sie sich wieder besonders der Lyrik. "Das hat zum Teil mit meiner Lebenssituation zu tun", sagt die langjährige Lebensgefährtin von Theaterregisseur Peter Zadek, der am 30. Juli 2009 gestorben ist. Bei ihrer Coburger Lesung wird sie im Gespräch mit Intendant Detlef Altenbeck und Dramaturg Christof Wahlfeld auch auf diese künstlerische Lebensgemeinschaft eingehen, die 1980 begann.

Erstarrte Familie

Elisabeth Charlotte Marguerite Augusta Gräfin von Plessen wird am 15. März 1944 in Neustadt in Holstein als Sproß einer alten Adelsfamilie geboren. Im Jahr 1097 wurde das Geschlecht der Plessen erstmals urkundlich erwähnt. Sie wächst auf in einer erstarrten Familie, in der Tradition groß geschrieben wird. Das Trauma eines von Erzieherinnen aufgezogenen Kindes, das in der authoritären, patriarchalischen Umgebung ihrer auf Repräsentation bedachten Eltern wenig Liebe erfährt, verarbeitet sie in ihrem Emanzipationsroman "Mitteilung an den Adel". Das Buch sorgte bei seinem Erscheinen 1976 für einen Skandal in konservativen Kreisen, wurde jedoch von der linksliberalen Presse und den Lesern bejubelt.

Unterm Ladentisch verkauft

"Es war, als ob ich schmutzige Wäsche rausgehängt hätte", erklärt Elisabeth Plessen im Gespräch. "Das war das Skandalöse. Die Haltung war: Adel verpflichtet, man wahrt die Form, man trotzt nicht - schon gar nicht als Tochter." Der Affront ging so weit, dass die großen Buchhändler in Kiel und Lübeck das Buch "nur unterm Ladentisch" verkauften, erinnert sich die Autorin. Der Empörung in den Adelsfamilien stand aber auch die Erleichterung der gleichaltrigen Frauen gegenüber, deren Bestimmung nicht Berufstätigkeit sondern standesgemäße Heirat war.

Der Roman ist "eine Mischung aus Erlebtem und Dazuerfundenem", erklärt Plessen. So habe beispielsweise ihr Vater tatsächlich eine Aufzeichnung seiner Kriegserlebnisse geschrieben, doch Fragen, wie sie Romanheldin Augusta ihrem Vater "C. A." stellt, "solche Fragen hat mir mein Vater nie gestattet", betont die Autorin. Auch Elisabeth Plessen brach mit dem Elternhaus, entschied sich für ihren eigenen Weg. Der Roman erschien, als ihr Vater bereits gestorben war. Mit der Familie sei dann lange Zeit Funkstille gewesen, und bis heute habe es nie ein wirkliches Gespräch über ihr Buch gegeben.

Nach Internatsbesuch bei Heidelberg studierte Elisabeth Plessen in Berlin und Paris Philosophie, Geschichte und Germanistik. 1970 promovierte sie an der Technischen Universität Berlin mit einer literaturwissenschaftlichen Arbeit bei Walter Höllerer. Die Studentenzeit in den 68er-Jahren hat Elisabeth Plessen geprägt. "Es begann etwas aufzubrechen. Wir Studenten wurden wach", erinnert sich die Autorin. Die politische und intellektuelle Debatte in der Bundesrepublik sei in die Extreme gespannt gewesen. Rückschritte hätten sich mit der Kanzlerschaft Kohls ergeben. In der "bleiernen Nachkriegszeit" habe es keine Aufarbeitung der Nazi-Diktatur gegeben. Ähnliches beobachtet Plessen in der Nicht-Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit. "Die Wiedervereinigung ist in falsche Bahnen gelaufen." Die "Kolonialisierung der DDR" und die Einteilung in "Zwei-Klasse-Menschen" findet die in Berlin lebende Autorin empörend.

Kuschen statt Denken

Heute fehlt ihrer Meinung nach eine kontroverse intellektuelle Debatte. "Heute hat man überall so ein bisschen eingeschlafene Füße. Man denkt heute nur noch ans Materielle. Ängste werden geschürt, damit die Menschen kuschen und nicht mehr zum Denken kommen."

Das Interesse am Theater entdeckt Elisabeth Plessen schon bevor sie Peter Zadek kennen lernt. Szenische, dialogische Passagen finden sich schon in dem Roman "Mitteilung an den Adel". Als erstes Stück übersetzt sie ein Stück von Ernest Hemingway. "Dialoge haben mich immer interessiert", betont die Autorin. "Zadek mochte meine Sprache und so habe ich dann für ihn Theaterstücke übersetzt. Er hatte Probleme mit Übersetzungen. Alles musste in seine Phantasie passen. Da war ich ihm eine Brücke." Bei den ersten Leseproben war sie noch dabei, doch den Probenprozess begleiten mochte sie nie. "Wiederholungen sind für mich so eine Art Knast", erklärt sie. Selbst inszenieren wollte sie nie, da sie sich "in Gruppen immer sehr befangen" fühle.

Plessen übersetzt Ibsen, Tschechow und immer wieder Shakespeare. Auch im Coburger Landestheater wurden die letzten beiden Shakespeare-Inszenierungen ("Hamlet", 2007; "Der Kaufmann von Venedig", 2008) in ihren Übersetzungen gespielt. "Ich versuche so nah wie möglich am Autor dran zu bleiben", betont Plessen, die den Blankvers erhält und auch die sexuellen Anzüglichkeiten nicht verbrämt. Shakespeare habe viele Analogien verwendet in seinen Stücken, aber nie kommentiert. Deshalb versuche sie auch beim Übersetzen, sich jedes Kommentars zu enthalten.

Das zeitgenössische Theater krankt ihrer Meinung nach daran, dass die jungen Regisseure "die Ehrfurcht vor den Autoren verloren" haben. Um ihre eigene Eitelkeit zu befriedigen, würden Texte als bloßes Spielmaterial benutzt und Schauspieler, die eigentlich Träger eines Textes sind, in Konzepte gepresst. "Dabei kommt eine große Beliebigkeit heraus!" Diese könnte ihrer Einschätzung nach mit dafür verantwortlich sein, das das Publikumsinteresse rückläufig ist. Sie schlägt vor, doch mal das Experiment zu wagen, sich wieder auf die Autoren zu besinnen und zu sehen, ob das Publikum dann zurück kommt. "Es muss ja gar nicht immer so extravagant sein. Vielleicht wollen die Leute auch einfach mal wieder gerne, dass man ihnen eine Geschichte erzählt."